Präsidentschaftswahl in PolenBürgermeister gegen Boxer

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Warschaus Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski gilt als liberal und EU-freundlich. Das lässt sich von seinen Hauptgegnern nicht sagen.
Warschaus Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski gilt als liberal und EU-freundlich. Das lässt sich von seinen Hauptgegnern nicht sagen. (Foto: Marcin Golba/Imago/NurPhoto)

13 Kandidaten treten am Sonntag zur Wahl eines neuen polnischen Präsidenten an. Einer ist der klare Favorit, wirkt aber nicht sehr siegesgewiss. Politiker und Wähler verbindet eine große Müdigkeit.

Von Viktoria Großmann, Warschau

Es geht schon wieder um alles. Am Sonntag sind knapp 29 Millionen Menschen in Polen aufgerufen, einen neuen Präsidenten zu wählen. Einen wirklich neuen, denn Andrzej Duda darf nach zwei Amtszeiten nicht wieder antreten. Im Wahlkampf geht es auch um bezahlbares Wohnen, Gesundheitsversorgung, die Forderung nach legalem Schwangerschaftsabbruch, um Flüchtlinge, den Krieg in der Ukraine, die Justiz.

Doch vor allem geht es darum, ob die vielstimmige Regierungskoalition von Donald Tusk mit ihrer Ausrichtung von linksliberal bis christlich-konservativ noch die zwei Jahre bis zur nächsten Parlamentswahl gut regieren kann – ungehindert durch einen Präsidenten, der wie Andrzej Duda ständig mit seinem Veto Gesetze blockiert und außerdem den Verfassungsgerichtshof in der Hand hat.

Der PiS-Kandidat warnt, Polen dürfe kein Kammerdiener Deutschlands oder der EU werden

Damit wird die Abstimmung über den Präsidenten auch eine für oder gegen die Regierung des Konservativen Donald Tusk, auf der bei ihrem Antritt im Dezember 2023 so große Hoffnungen lagen. Tusk führt die Partei Bürgerplattform (PO) an, die einen eigenen Kandidaten aufgestellt hat, den Warschauer Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski. Insgesamt treten 13 Kandidaten an. Doch der liberale und EU-freundliche Trzaskowski lag von Beginn an in allen Umfragen weit vorn.

Was kann da noch schiefgehen? Dass der 53-Jährige es in die Stichwahl am 1. Juni schafft, erscheint sicher. Dort wird er wohl auf Karol Nawrocki treffen. Der 42-jährige Leiter des Instituts für nationales Gedenken (IPN) und frühere Boxer und Türsteher tritt für die Partei Recht und Gerechtigkeit an, kurz PiS. Die rechtsnationalistische Partei regierte zwischen 2015 und 2023, zertrümmerte die Gewaltenteilung, griff die Medienfreiheit an und zerstritt sich mit der EU-Kommission. Seit 2023 ist sie stärkste Oppositionspartei, wirft Tusk staatsstreichartiges Verhalten vor und will zurück an die Macht.

Nawrocki will ein „normales Polen“, wie es in seinen Wahlkampfparolen heißt. Regelmäßig erklärt er sich zum Sieger aller TV-Debatten. In der vorerst letzten am Montag betonte er erneut, mit ihm werde Polen kein „kamerdyner“ Deutschlands oder der EU werden. Und die Ukraine müsse erst mal richtig Dankbarkeit zeigen, bevor er sich für ihren EU-Beitritt einsetze.

Der PO-Kandidat wirkt trotz guter Umfragewerte etwas angeschlagen

Trotz klarer Präferenzen in Meinungsumfragen wird viel davon abhängen, wie viele Menschen überhaupt zur Abstimmung gehen. Zur Parlamentswahl im Oktober 2023 verzeichnete Polen einen Rekord. Doch nun befindet sich das Land seit mehr als zwei Jahren im Dauerwahlkampf. Nach der Parlamentswahl kamen im April 2024 erst Kommunalwahlen, dann Anfang Juni die Europawahlen. Wichtige Stimmungstests, aber sie haben das Wahlvolk ermüdet – und auch die Politiker.

Trzaskowski scheint die Anstrengung ins Gesicht geschrieben zu sein, siegesgewiss wirkt er nicht. „Er hat nicht mehr diese Frische“, attestiert ihm die Politikwissenschaftlerin Małgorzata Kopka-Piątek vom Institut für öffentliche Angelegenheiten, einer politischen Forschungsanstalt in Warschau. Trzaskowski hatte vor fünf Jahren nach einem unfairen und verkürzten Wahlkampf im Corona-Sommer 2020 knapp gegen Amtsinhaber Andrzej Duda verloren.

Den Hassreden und der ewigen Hetze gegen EU, Minderheiten, politische Gegner, welche Duda und die ihn unterstützende, damals regierende PiS-Partei auch über das öffentlich-rechtliche Fernsehen verbreiteten, war Trzaskowski mit positiven, optimistischen Zukunftsvisionen entgegengetreten.

„Das wird natürlich schwieriger, wenn man zum Regierungslager gehört“, sagt Kopka-Piątek. Trzaskowski wird mitverantwortlich für Tusks Politik gemacht, dessen Regierung längst nicht alle Erwartungen erfüllt. Das liegt nicht nur an Präsident Duda, der die Regierung behindert, wo er nur kann. So sprechen sich zwar sowohl Tusk als auch Trzaskowski für legale Schwangerschaftsabbrüche aus. Doch Tusk findet dafür keine Mehrheit in seiner Regierung. Trzaskowski wird daran als Präsident nichts ändern können.

Wie viel Rückhalt wird es vor der Stichwahl geben?

In seiner Kampagne fischte der ansonsten so tolerant auftretende Hauptstadtbürgermeister auch am rechten politischen Rand, indem er auf einmal – wie zuvor PiS-Politiker – Sozialleistungen für ukrainische Flüchtlinge infrage stellte. Die Zahlungen müssten zumindest genau geprüft und an Bedingungen geknüpft werden, sagte er. Bei liberalen und linken Wählern kommt das nicht gut an.

Diese wird er nach dem ersten Wahlgang verstärkt ansprechen müssen, sagt Politologin Kopka-Piątek. Dann muss Trzaskowski auch das ganze Regierungslager hinter sich vereinen. Denn Donald Tusks Koalitionspartner von der Linken und von der christlich-grünen Partei Polska 2050 haben eigene Kandidaten für die Präsidentschaftswahl ernannt.

Das ist zum einen der 48-jährige frühere Fernsehmoderator Szymon Hołownia von Polska 2050, zum anderen die 43-jährige Linken-Politikerin Magdalena Biejat. Beide müssten sich nach der ersten Wahlrunde idealerweise für Trzaskowski aussprechen. Vor fünf Jahren hatte sich Hołownia, der damals schon antrat und den dritten Platz erreichte, dazu nicht durchringen können. Einige gaben ihm eine Mitschuld an Trzaskowskis knapper Niederlage. Biejat spricht ein jüngeres, sehr liberales, eher weibliches Publikum an, das schon 2020 schwer von Trzaskowski zu überzeugen war und möglicherweise beim zweiten Wahlgang einfach zu Hause bleibt.

Tiktok-Hetze und peinliche Fehltritte

Trzaskowskis Werte stehen laut einer Ibris-Umfrage vom Wochenende bei 31,5 Prozent, Nawrocki könnte demnach 23,6 Prozent erreichen. Es läuft auf den ewigen Zweikampf der seit 20 Jahren bestimmenden Parteien hinaus. Beobachter sehen auch diese Präsidentschaftswahl letztlich nur als Stellvertreterkampf zwischen Donald Tusk und PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński.

Kurzzeitig sah es so aus, als könnte ausgerechnet ein Rechtsextremer dieses sogenannte Duopol sprengen: der Sejm-Abgeordnete Sławomir Mentzen, der für die Partei Konfederacja antritt. In einigen Umfragen hatte er PiS-Kandidat Nawrocki eingeholt. Seine Rhetorik ist noch deutlich schärfer. Der 38-jährige Mentzen will aus der EU austreten, hetzt gegen Flüchtlinge, auch ukrainische, und lehnt Frauenrechte ab. Auf Tiktok ist er ein Star, besonders bei jungen Männern kommt er gut an. Aktuell steht Mentzen auf einem abgeschlagenen dritten Platz. Dass er nach dem ersten Wahlgang eine Empfehlung für Nawrocki abgeben wird, ist nicht sehr wahrscheinlich.

Nawrocki muss als Enttäuschung für die PiS-Partei gelten. Ein peinlicher Fehltritt nach dem anderen wurde bekannt. Zuletzt wurde aufgedeckt, dass er einem älteren Herrn günstig eine Wohnung abgekauft und ihm versprochen hatte, ihn finanziell zu versorgen – was laut Presseberichten nicht geschah. Das sieht schlecht aus für den Kandidaten einer Partei, die gern auf ihre Wohltaten für Rentner verweist. Politische Erfahrung hat Nawrocki nicht und er ist auch kein Parteimitglied, weshalb die PiS-Partei ihn als unabhängigen und unverbrauchten Bürgerkandidaten verkauft.

Trzaskowski hingegen hat eine lange und skandalfreie politische Karriere hinter sich. Der vielsprachige, ausgebildete Dolmetscher und promovierte Geisteswissenschaftler war bereits Europaabgeordneter, kurzzeitig Minister und ist seit 2018 sogenannter Stadtpräsident von Warschau mit immerhin etwa zwei Millionen Einwohnern. Bei der Kommunalwahl vor einem Jahr wurde er im ersten Wahlgang wiedergewählt. Der Weg zum Präsidenten aller Polen aber ist deutlich schwieriger.

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