Polen:Die Polizei als Instrument der Partei

Polen: Polizisten schirmen das Haus von PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński gegen Demonstrantinnen ab.

Polizisten schirmen das Haus von PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński gegen Demonstrantinnen ab.

(Foto: Wojtek Radwanski/AFP)

Immer häufiger wird die Polizei gegen friedlich demonstrierende Regierungskritiker eingesetzt. Kritiker sprechen von Zuständen wie zur Zeit des Kriegsrechts in den Achtzigerjahren.

Von Florian Hassel, Warschau

Die Kundgebung am Abend des 20. Januar war ein Protest wie andere der letzten Monate in Polens Hauptstadt: Frauenrechtlerinnen, über Covid-Beschränkungen erzürnte Unternehmer und andere Bürgerrechtler demonstrierten im Zentrum gegen die Politik der Regierung. Die Polizei beharrte, die Kundgebung sei illegal - und setzte schließlich Tränengas ein.

Es war nicht das erste Mal, dass polnische Polizisten aggressiv gegen friedliche Demonstranten vorgingen. Vor allem seit den Frauenprotesten gegen das im Herbst 2020 vom parteikontrollierten Verfassungsgericht ausgesprochene faktische Abtreibungsverbot nahmen Übergriffe deutlich zu: etwa beim Einsatz von Tränengas und neuen Schlagstöcken an Teleskoparmen. Die Anti-Folter-Experten des polnischen Bürgerrechtskommissars, ein Organ im Verfassungsrang, stellten in einem Report vom 11. Januar regelmäßige Rechtsverletzungen und Gewaltanwendung durch die Polizei fest.

Selbst vor Parlamentariern macht die Polizei nicht halt. Als Polinnen am 28. November gegen das Abtreibungsverbot demonstrierten, wollte sich die Abgeordnete Barbara Nowacka nach festgenommenen Demonstrantinnen erkunden. Sie zeigte einem Polizisten ihren Abgeordnetenausweis - als Antwort sprühte ihr dieser Tränengas ins Gesicht.

Polens Polizei ist zentral organisiert. Ihr im Generalrang stehender Kommandeur untersteht Innenminister Mariusz Kamiński, einem engen Vertrauten von Polens faktischem Regierungschef Jarosław Kaczyński. Kamiński wurde im März 2015 wegen Amtsmissbrauchs zu drei Jahren Haft verurteilt. Er darf ein öffentliches Amt nur bekleiden, weil sein Parteifreund, Präsident Andrzej Duda, ihn im November 2015 vor dem endgültigen Abschluss des Strafverfahrens begnadigte. Rechtswidrig, wie Polens damals noch unabhängiges Oberstes Gericht 2017 folgenlos feststellte. Am Samstag lobte Präsident Duda im Fernsehsender TVN24 auch das "ungewöhnlich professionelle Vorgehen" der polnischen Polizei.

Die Polizei stört Redner, setzt Tränengas ein

Die ging schon im Mai 2020 massiv vor, als Tausende unzufriedene Unternehmer und andere Regierungsgegner in Warschau in der Corona-Krise gegen die Schließungen von Restaurants und anderen Geschäften protestierten. Die Polizei störte Redner mit lauter Musik, kreiste Teilnehmer ein und setzte Tränengas und Schlagstöcke ein, um "illegale" Versammlungen aufzulösen. Doch Juristen zufolge sind nicht die Proteste illegal, sondern das Vorgehen von Polizei und Regierung.

Die berufen sich beim Verbot von Demonstrationen auf Regierungserlasse, die Massentreffen in Corona-Zeiten verbieten. Diese Erlasse sind etlichen Juristen zufolge rechtswidrig. Denn Artikel 57 der Verfassung garantiert jedem Polen Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit - ein Recht, das nur per Gesetz eingeschränkt werden darf. Ein solches Gesetz aber fehlt.

Als etwa Polinnen nach dem Abtreibungsurteil des Verfassungsgerichts am 22. Oktober friedlich protestierten, nahm die Polizei Personalien auf, stellte Strafbefehle aus und klagte Dutzende Teilnehmerinnen vor Gericht an. Derlei Handlungen der Polizei hatten - und haben - "keinerlei Rechtsgrundlage", so Bürgerrechtskommissar Adam Bodnar.

Später protestierten Hunderttausende Polinnen und Polen quer durchs Land. Angesichts der Größenordnung der Proteste blieb die Polizei zunächst passiv. Doch Kaczyński, Chef der Regierungspartei PiS und für Sicherheit zuständiger Vize-Ministerpräsident, war unzufrieden. Polnischen Medien zufolge befahl er ein hartes Vorgehen.

Ältere fühlen sich an die Niederschlagung der Proteste 1968 erinnert

Bei einem Protest am 18. November etwa machten Maskierte in Zivil Schlagzeilen, die Demonstrantinnen angriffen und etwa mit Teleskopschlagstöcken auf sie einprügelten. Die Demonstrantinnen riefen nach der Polizei, da sie in den Angreifern rechte Hooligans vermuteten. Tatsächlich gehörten die ohne Uniform auftretenden Angreifer zum Anti-Terror-Kommando BOA, das dem Polizeichef untersteht. Der Einsatz sei mutmaßlich rechtswidrig, wohl mit Zustimmung Kaczyńskis erfolgt und ähnele Vorgehen zu Zeiten des polnischen Kriegsrechts 1981 oder wie aktuell unter Diktator Lukaschenko im weißrussischen Minsk, kommentierte das Wochenmagazin Polityka. "Vor unseren Augen verwandelt sich Polens Polizei aus einer staatlichen Institution zum Schutz der Sicherheit in ein privates Instrument in Händen der regierenden Partei."

Weitere Skandale folgten. Journalisten wurden rechtswidrig festgenommen, neben Nowacka auch andere Parlamentarier mit Tränengas bedacht. Beim Protest vom 28. November verfolgten Polizisten protestierende Studenten auf das Gelände des Warschauer Politechnikums und setzten Tränengas und Prügel ein - was ältere Polen an die Niederschlagung von Studentenprotesten im März 1968 erinnerte und Polens Senatspräsident Tomasz Grodzki als Trend zu autoritärem Regieren kritisierte. Die Autonomie und Unverletzlichkeit von Hochschulen sind in Polens Verfassung festgeschrieben. Polizisten dürfen ein Hochschulgelände nur nach ausdrücklicher Genehmigung des Rektors betreten.

Unverhältnismäßige Gewalt ist bei Polens Polizei nicht erst im Einsatz gegen Anti-Regierungs-Proteste ein Problem. Zwar war die Zustimmung zur Polizei nach Reformen seit Ende des Kommunismus gestiegen. Doch vor allem bei Festnahmen gehen polnische Polizisten mitunter unverhältnismäßig gewaltsam vor, klären Festgenommene nicht über ihre Rechte auf, verweigern den Zugang zu Anwalt oder Arzt, bekräftigte das Anti-Folter-Komitee des Europarates in einem Bericht vom 28. Oktober. Derlei seit Jahren festgestellte "ernsthafte Mängel" seien "dauerhaft und systemisch", so die Europaratsexperten. Einer Ibris-Umfrage von Mitte November zufolge vertrauen der Polizei nur noch 44 Prozent der Polen, 20 Prozent weniger als nur drei Jahre zuvor.

Lohnerhöhungen ließen Kritiker in der Polizei verstummen

Längst nicht alle Kommandeure sind einverstanden mit der Rolle der Polizei als prügelnder Arm der Partei. Schon Anfang September riefen ehemalige Polizeikommandeure Polizisten auf, sich nicht weiter missbrauchen zu lassen. Doch ihre Skrupel wurden vielen Polizisten abgekauft. Ende Juli beschloss die Regierung ein - Mitte September in Kraft getretenes - Gesetz, das nach schon zuvor erfolgten Gehaltserhöhungen weitere hohe Sonderzahlungen für erfahrene Polizisten und weitere Vergünstigungen einführte. "Die Proteste gegen politischen Missbrauch endeten, als die Kasse kam", stellte ein Polizeigewerkschafter resigniert in der Gazeta Wyborcza fest.

Polizei, Staatsanwaltschaft und Geheimdienste versuchen auch, Polinnen die Lust an neuen Protesten zu nehmen. Seit Januar wird über ein Gesetz diskutiert, dass es der Polizei ermöglichen soll, Strafen für angeblich illegale Proteste gleich an Ort und Stelle einzukassieren. Staatsanwälte sollen etwa auf der Grundlage von Artikel 165 des Strafgesetzbuches gegen Organisatorinnen ermitteln, der bis zu acht Jahre Gefängnis für Personen vorsieht, die zum Schaden des Lebens oder der Gesundheit anderer handeln. "All diese Demonstrationen, die Sie unterstützen ... haben schon viele Menschen das Leben gekostet. Ihr habt Blut an den Händen und verstoßt gegen Artikel 165", wetterte Vize-Premier Kaczyński am 18. November im Parlament. Tatsächlich gab Gesundheitsminister Adam Niedzielski zu, dass die Massenproteste unter freiem Himmel, bei denen die Teilnehmer Schutzmasken trugen, in Polen nicht zu mehr Covid-19-Erkrankungen führten.

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