Süddeutsche Zeitung

Polen:Warum die PiS Reparationen zum Thema macht

  • Die polnische Regierungspartei PiS nutzt Themen wie Kriegsschäden und Reparationen für den Wahlkampf.
  • Von 2017 bis Mai 2019 hat sich in Warschau eine Parlamentariergruppe mit der Bewertung der Kriegsschäden beschäftigt, doch konkret passiert ist seitdem nichts.
  • Schon mehrfach haben in der Vergangenheit Vertreter polnischer Regierungen einen Verzicht auf Reparationen erklärt; die PiS-Regierung hat Reparationsforderungen noch nie offiziell auf die Tagesordnung gesetzt.

Von Florian Hassel, Warschau

Wenn Arkadiusz Mularczyk zur Pressekonferenz lädt, wissen Polens Medien, worüber sie berichten werden: über Millionen Tote, über die Zerstörung polnischer Städte und Dörfer, über die Ausplünderung der Wirtschaft des Landes und den Raub seiner Kulturgüter durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg. Seitdem Jarosław Kaczyński, der Vorsitzende der rechten PiS-Partei und graue Eminenz der Regierung, das Thema im Juli 2017 aufgriff, leitet Mularczyk im Parlament eine Arbeitsgruppe zur Bewertung der Kriegsschäden.

Schließlich, so verkündete Kaczyński damals, bereite sich die polnische Regierung auf eine "historische Gegenoffensive" vor: Reparationsforderungen an Deutschland in Milliardenhöhe. Denn es gebe "keinerlei rechtliche Grundlagen, aufgrund derer die Deutschen uns Reparationen verweigern könnten". Seitdem sind Reparationen regelmäßig Thema. Außenminister Jacek Czaputowicz spricht davon, Ministerpräsident Mateusz Morawiecki tut es, im meinungsmachenden Staatsfernsehen TVP wird darüber berichtet. Einen Tag vor dem Gedenken an den deutschen Überfall auf Polen lässt sich Präsident Andrzej Duda von der Bild-Zeitung mit den Worten zitieren, es handle sich um "eine Frage von Verantwortung und Moral" - und das Parlament werde Deutschland noch "eine Rechnung vorlegen".

Sonst aber ist von der historischen Gegenoffensive bis heute nichts zu sehen. Erst am 4. Mai 2019 beendete die Parlamentariergruppe nach etlichen Verzögerungen ihre Arbeit am Kriegsschäden-Report. Mularczyk zufolge ging der Bericht an Präsident Duda, Regierungschef Morawiecki und an Kaczyński. Über die Veröffentlichung werde politisch entschieden. Diese Entscheidung steht bis heute aus. Und bis heute hat Warschau Reparationsforderungen nie offiziell auf die Tagesordnung gesetzt: weder bei Treffen der Außenminister noch bei Gesprächen von Regierungschef Morawiecki mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, nicht bei Treffen Kaczyńskis mit ihr und auch nicht bei den gemeinsamen Kabinettssitzungen, die im jährlichen Wechsel in Warschau oder Berlin stattfinden.

Dafür gibt es Gründe: Polens damaliger Regierungschef Marek Belka bekräftigte am 27. September 2004, der Verzicht der polnischen Regierung von 1953 auf Reparationen sei gültig. Es gebe "weder aus rechtlicher noch politischer Sicht" Grundlagen für Reparationsansprüche - übrigens auch nicht für aus Polen nach Kriegsende vertriebene Deutsche. Am 8. August 2017 bekräftigte Vizeaußenminister Marek Magierowski offiziell: "Die Haltung der polnischen Regierung hat sich seit 2004 nicht geändert."

Derlei Stellungnahmen und polnische Verzichtserklärungen spielen für die auf Geheiß Kaczyńskis gebildete Parlamentarierkommission bezeichnenderweise keine Rolle: Mit Themen wie Kriegsschäden, Reparationen und anderen antideutschen Ressentiments versuchten Morawiecki und Kaczyński sich den Wählern als Wahrer polnischer Interessen zu verkaufen - erst vor der Europawahl im vergangenen Mai, nun vor der Parlamentswahl am 13. Oktober. "Doch in Wirklichkeit unternehmen sie nichts in dieser Sache", analysierte die polnische Ausgabe des Magazins Newsweek. Einer Umfrage vom März zufolge unterstützen 46 Prozent der Polen Reparationsforderungen, 40 Prozent sind dagegen, 14 Prozent unentschieden.

Das Reparationsthema dient auch als Ablenkungsmanöver in Zeiten, in denen die Europäische Kommission gegen Polen vorgeht und der Gerichtshof der EU begonnen hat, polnische Gesetze zur Justiz für rechtswidrig zu erklären. Parlamentarier Mularczyk trommelt nicht nur in Warschau, sondern auch in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und im Europäischen Parlament für das Thema Reparationen.

PiS-Fraktionskollege Janusz Szewczak konterte Kritik an mangelnder Rechtsstaatlichkeit durch die EU Anfang April mit einer Berechnung der Kriegsschäden. "Bevor die Deutschen Polen nicht die aufgelaufene Rechnung für den Zweiten Weltkrieg bezahlt haben, und wir reden von mindestens 900 Milliarden Dollar, sollten sie außerordentliche Zurückhaltung wahren, wenn es um Angriffe auf die polnische Regierung geht."

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SZ vom 31.08.2019/lalse
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