Süddeutsche Zeitung

Polen:Verdacht auf Ausspähung

Die Regierung soll Telefone politischer Gegner vor der jüngsten Wahl mithilfe der Pegasus-Software gehackt haben. Das legen nun auch Dokumente des Rechnungshofs nahe.

Von Viktoria Großmann

Es waren wohl doch nicht nur "Fake News" - so hatte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki zunächst noch den Verdacht abwehren wollen, seine Regierung habe politische Gegner mit der Pegasus-Software ausgespäht. Sie soll so den Ausgang der Parlamentswahl im Herbst 2019 beeinflusst haben. Nun geben Dokumente des Obersten Rechnungshofs in Polen Hinweise darauf, wie der Ankauf der Software im September 2017 im Sejm vonstattenging - und dabei sogar noch vor den Abgeordneten verschleiert wurde.

Oppositionsführer Donald Tusk hatte bereits von "der tiefsten und schwersten Krise der Demokratie seit 1989" gesprochen und einen Vergleich zur Watergate-Affäre gezogen, über die US-Präsident Nixon 1972 stürzte. Drei Personen sollen ausgespäht worden sein: die Staatsanwältin Ewa Wrzosek, der Anwalt Roman Giertych und der Senatsabgeordnete Krzysztof Brejza - er hatte 2019 den Wahlkampf der liberalkonservativen Bürgerkoalition KO geleitet, an deren Spitze heute Tusk steht. Die Abhöraktion während des Wahlkampfs zeige, sagte Brejza einem Radiosender, "dass Einfluss auf das Fundament der Demokratie genommen wurde".

Brejza ist sicher, dass die Wahl 2019 anders ausgegangen wäre, wenn nicht sein Smartphone gehackt worden wäre. Der PiS-nahe Fernsehsender TVP hatte damals manipulierte SMS von Brejza präsentiert und den Eindruck erweckt, Brejza koordiniere Hasskampagnen gegen die politischen Gegner. Nach heftigen Attacken auf ihn gab Brejza den Job als Kampagnenleiter auf. In sozialen Netzwerken präsentierte Brejza nun Original und Fälschung der Nachrichten; er habe sich nie erklären können, wie TVP an seine SMS gekommen sei, sagte er. Im Oktober stellte er in der Gazeta Wyborcza die Vermutung an, mit Pegasus ausgespäht worden zu sein. Seine Vermutung bestätigte sich kurz vor Weihnachten.

Die Nachrichtenagentur AP präsentierte eine Untersuchung des kanadischen Forscherteams Citizen Lab von der Universität Toronto, laut der Brejzas Smartphone 33-mal zwischen April und Oktober 2019 angegriffen wurde. Die Software, entwickelt von der israelischen NSO Group, ermöglicht es Angreifern, Nachrichten, Fotos, Passwörter und Browserverläufe abzuschöpfen, sie kann zudem unbemerkt Kamera und Mikrofon auf den Geräten anschalten. Das Telefon des Anwalts Giertych, zu dessen Mandanten hochrangige Oppositionelle gehören, wurde 18-mal angegriffen, ebenfalls vor der Wahl 2019. Das Handy der Staatsanwältin Ewa Wrzosek wurde erst im Sommer 2021 gehackt.

Wrzosek engagiert sich gegen die Justizreformen der PiS, welche laut der EU-Kommission die Rechtsstaatlichkeit in Polen untergraben. Vor allem kämpft Wrzosek für die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft. Wegen ihres Engagements wurde Wrzosek bereits einmal strafversetzt. In der Hacking-Affäre hat sie Anzeige erstattet, allerdings lehnte es die Staatsanwaltschaft ab, ein Verfahren einzuleiten. Begründung: Wrzosek wolle ihr Mobiltelefon nicht aushändigen. Den Medien sagte die Juristin, sie hätte das Gerät zur Verfügung gestellt, sobald Ermittlungen aufgenommen würden. Die Wyborcza verweist auf frühere Fälle, in denen Beweismittel verschwunden seien.

Aus der falschen Kasse bezahlt

Donald Tusk erklärte nun am Dienstag, dass seine Partei PO die Einsetzung einer Untersuchungskommission beantragen werde, um den Einsatz der Pegasus-Software aufzuklären. Regierungssprecher Piotr Müller erwiderte, er sehe für eine solche Kommission keinen Grund. Wer Zweifel habe, solle sich an die Staatsanwaltschaft wenden.

Zuvor hatte ein Abgeordneter der Opposition der Wyborcza ein Dokument des Rechnungshofes übergeben, durch das sich nachvollziehen lässt, wie Pegasus für etwa 5,4 Millionen Euro im Jahr 2017 eingekauft wurde. Demnach wurde die Anschaffung für den Geheimdienst gesetzeswidrig aus der falschen Kasse bezahlt. Vor allem aber wurde der Einkauf offenbar bewusst vor Abgeordneten und Beamten verschleiert. So billigten sie ihn, ohne von der Verwendung zu wissen. Der Name des Fonds, über den der Einkauf lief: Opferhilfe und Bekämpfung von Kriminalitätsfolgen.

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