Der gute Name von Johannes Paul II. soll verteidigt werden. Das beschloss eine Mehrheit der Abgeordneten im polnischen Sejm am Donnerstagabend in einer Resolution. Zuvor hatte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in einem Video auf seinem Facebook-Kanal den "geliebten Papst" in Schutz genommen. Angriffe auf Johannes Paul II. seien der "Versuch, einen zivilisatorischen Krieg auszulösen". Am Palast von Präsident Andrzej Duda erstrahlte am Abend ein zwei Stockwerke hohes Bild des früheren Oberhauptes der katholischen Kirche.
Johannes Paul II., 1978 bis 2005 katholisches Kirchenoberhaupt, ist im katholischen Polen ein Nationalheiliger, er war es schon vor seiner Heiligsprechung durch den Vatikan 2014. Und nun werfen ein niederländischer und ein polnischer Journalist ihm vor, Missbrauchstäter gedeckt zu haben. Vor einer Woche erschien das Buch "Maxima Culpa" des Niederländers Ekke Overbeek in Polen. Overbeek beschreibt mehrere Fälle, in denen Karol Wojtyła noch als Bischof in Krakau von Gewalttaten gewusst haben soll. Die Täter aber habe er im Amt belassen, allenfalls in andere Gebiete versetzt.
Das Außenministerium hat sogar den Botschafter der USA einbestellt
Am Montagabend strahlte der private Fernsehsender TVN24 eine Dokumentation aus, die ebenfalls versucht nachzuvollziehen, wie Fälle von sexualisierter Gewalt gegen Kinder systematisch vertuscht wurden - Johannes Paul II. sei demnach im Falle dreier Priester untätig geblieben, gegen die es Anschuldigungen gab.
Neu sind solche Vorwürfe nicht, aber so massiv wie jetzt wurden sie noch nie erhoben. Nun ist ein Lagerkampf entbrannt, in dem es zumindest der Regierungsseite nicht darum geht, die Vorwürfe zu prüfen. Overbeeks Buch erscheint im Agora-Verlag, der auch die größte regierungskritische Tageszeitung Gazeta Wyborcza herausgibt. Der Sender TVN, der die Papst-Dokumentation ausstrahlte, gehört zum amerikanischen Discovery Channel und befindet sich seit Jahren in einem Dauerstreit mit der Regierung und dem regierungstreuen öffentlich-rechtlichen Fernsehen TV Polska.
Die öffentlich-rechtlichen, regierungsnahe Printmedien und die Regierungspolitiker erklären die Vorwürfe gegen den früheren Papst nun zu einer Kampagne gegen das nationale Idol, gar gegen Polen überhaupt. Der polnische Papst wird für sein Eintreten gegen das kommunistische Regime geschätzt, später warb er für Polens EU-Beitritt. In der Resolution des Sejms ist von einer "beschämenden medialen Hetzjagd" die Rede. Das polnische Außenministerium bestellte den Botschafter der USA ein. In der offiziellen Mitteilung des Außenministeriums ist von einem "hybriden Krieg" die Rede, der Sender ziele mit seiner Tätigkeit darauf ab, die Gesellschaft zu spalten. Angesichts der seit Jahren anhaltenden täglichen Hetze gegen die Opposition in den öffentlich-rechtlichen Sendern erscheint die Formulierung zynisch.
Was die Papstverteidiger besonders stört, sind die Quellen der Journalisten. Beide führten bei ihren jahrelangen, voneinander unabhängigen Recherchen zum einen viele persönliche Gespräche. Sie nutzten aber auch Dokumente der Polizei und des Geheimdienstes aus den Siebzigerjahren - somit aus der Zeit des kommunistischen Regimes. Aus Sicht der Papstverteidiger sind diese Papiere nicht glaubwürdig, weil das Regime Geistliche verfolgte, einsperrte, sogar ermordete. Die Parlamentsresolution spricht von einem "Versuch, Johannes Paul II. mit Material zu kompromittieren, das nicht einmal die Kommunisten zu verwenden wagten".
Die Recherchen der Journalisten stützen sich auch auf kirchliche Dokumente
Auch der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Stanisław Gądecki, weist sämtliche Vorwürfe zurück, die Unterlagen des kommunistischen Geheimdienstes seien "unglaubwürdige Quellen"; er mahnte, das Erbe Johannes Pauls II. nicht zu zerstören.
Allerdings stützen sich die Recherchen der Journalisten auch auf offizielle kirchliche Dokumente, die etwa wiederholte Versetzungen der betroffenen Priester belegen. Zudem kommt in der polnischen Fernsehdokumentation ein Mann zu Wort, der angibt, den damaligen Bischof Karol Wojtyła persönlich über Vorwürfe informiert zu haben.
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Die größte Oppositionspartei, die Bürgerplattform, boykottierte die Abstimmung über die Resolution: die meisten Abgeordneten stimmten einfach nicht ab. Andere Oppositionsparteien wie etwa die Linke stimmten dagegen. Die christsoziale Bauernpartei PSL aber, die bei der Wahl im Herbst eigentlich gegen die Regierung antreten will, stimmte mit der PiS.
Abwägend äußerte sich zumindest Błażej Kmieciak, der Vorsitzende der staatlichen Kommission zur Aufklärung von Kindesmissbrauch. Im Radiosender RFM24 sagte Kmieciak, dass er persönlich die Resolution unnötig finde. Aber: "Für mich ist der größte Schmerz, dass damals - und das ist eine historische Tatsache - die Opfer und ihre Familien ignoriert wurden."