Polen:"Ordentliche Gesetzgebung"

Lesezeit: 2 min

Leitete lange ein Krankenhaus, nun die "Gute Stube der Nation": Der Chirurg Tomasz Grodzki will als Präsident des polnischen Senats Gesetzgebung im Schnellverfahren verhindern. (Foto: Grzegorz Banaszak/dpa)

Polens Opposition nutzt ihre neue Stärke im Senat und stellt dort nun den Präsidenten.

Von Florian Hassel, Warschau

Auf den ersten Blick war es ein verlockendes Jobangebot: Beauftragte des polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki fragten den 60 Jahre alten Lungenchirurgen Tomasz Grodzki, ob er nicht Gesundheitsminister werden wolle. Auf den zweiten Blick indes war das Angebot eines Ministeramts der Versuch, einen Oppositionspolitiker zu kaufen. Denn Grodzki ist Abgeordneter im Senat, Polens oberer Parlamentskammer. Dort stellt die Opposition seit der Parlamentswahl vom 13. Oktober nun eine Mehrheit - mit 52 von 100 Senatoren.

Der Senat muss Gesetzen des Sejm, der unteren Parlamentskammer, zustimmen. Seit die nationalpopulistische Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) ab Ende 2015 beide Kammern mit absoluter Mehrheit kontrollierte, stimmte der Senat unter PiS-Senatspräsident Stanisław Karczewski Gesetzen oft unter Verletzung der Regeln im Expressverfahren zu. Und die PiS wollte, dass dies so blieb: Also versuchte sie, Grodzki und andere oppositionelle Senatoren mit Ministerämtern zu ködern. Vergeblich: Kein oppositioneller Senator lief zur Regierung über. So wählten 51 Senatoren Grodzki am Dienstagabend zum neuen Senatspräsidenten.

Der aus Stettin stammende Chirurg, der in seiner Heimat 18 Jahre ein renommiertes Krankenhaus leitete, ist damit nun der dritte Mann im Staate. Schon in den letzten vier Jahren war Grodzki Senator und erlebte mit, wie "ein 300 Seiten langes Gesetz erst wenige Stunden vor einer Debatte den Senat erreichte". Dort stimmte die PiS-Mehrheit etlichen umstrittenen oder gar offen verfassungswidrigen Gesetzen sofort zu; notfalls auch nachts.

Ab sofort werde in Polen zumindest im Senat wieder ordentliche Gesetzgebung betrieben, kündigte Grodzki nach seiner Wahl an: Und zwar mit echten Diskussionen, Fachkommissionen, öffentlichen Anhörungen, "und erst dann wird entschieden". 30 Tage hat der Senat, um vom Sejm angenommene Gesetze zu beraten und ihnen zuzustimmen, sie abzulehnen oder mit Änderungen zurückzuschicken. Im Sejm hat die PiS weiter die absolute Mehrheit und kann Ablehnungen des Senats überstimmen - doch nun erst deutlich später.

Der Senat genießt als politische "Gute Stube der Nation" mehr Ansehen als der Sejm. Grodzki kann nun ebenso wie Polens Präsident oder der Regierungschef Redezeit für eine Ansprache im Staatsfernsehen TVP verlangen. TVP wird sonst stramm von der PiS kontrolliert und berichtet über die Opposition oft tendenziös oder gar mit erfundenen Meldungen. Der Senat kann zudem im Sejm eigene Gesetzesentwürfe einbringen - und er vertritt das Land gegenüber den im Ausland lebenden Polen: Dies sind etliche Millionen, eine wichtige Wählerressource.

Grodzki ist zwar Mitglied der stärksten Oppositionspartei Bürgerkoalition (KO), doch bisher nicht als politisches Schwergewicht bekannt. Dass er Senatspräsident wurde, verdankt er den Ambitionen drei anderer etalierter Parteikollegen: Diese wurden aus verschiedenen Gründen weder von anderen KO-Politikern, noch von Oppositionellen der ebenfalls im Senat vertretenen Linken und der Bauernpartei auf dem einflussreichen Posten akzeptiert. Der neue Senatspräsident ist ein Kompromisskandidat, der weiß, dass eng mit anderen Politikern zusammenarbeiten muss, wenn er etwas erreichen will. Doch Grodzki gab sich von den Anforderungen des neuen Amtes unbeeindruckt: Das Krankenhaus, das er 18 Jahre leitete, habe doppelt so viele Mitarbeiter gehabt wie der Apparat des polnischen Senats, sagte er nach seiner Wahl.

© SZ vom 14.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: