Das Fischsterben hält an. Erst am Montag wurden 660 Kilogramm tote Fische aus dem Gleiwitzer Kanal gezogen, tags zuvor 570 Kilogramm. Der Kanal ist mit der Oder verbunden. Im August vor zwei Jahren verendeten im polnisch-deutschen Grenzfluss und seinen Zuflüssen nach Schätzungen etwa des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) bis zu 1000 Tonnen Fische, außerdem Muscheln und Schnecken. Was besonders tragisch ist, weil Muscheln Algen vor der Blüte fressen. Doch erneut im vergangenen Frühjahr und Sommer und auch in diesem Jahr sterben Fische massenhaft in polnischen Gewässern und vor allem den Zuflüssen zur Oder.
Woran sich nämlich nichts geändert hat, ist die Ursache: Weiterhin leiten Bergwerke, die Kohle und Kupfer abbauen, viel zu viele salzhaltige Abwässer in die Zuflüsse. Durch den dann zu hohen Salzgehalt im Wasser kam es 2022 in Verbindung mit anderen Bedingungen wie Niedrigwasser und erhöhter Wassertemperatur zu einer Ausbreitung und schließlich zur Blüte der Algenart Prymnesium parvum, genannt Goldalge; die Blüte ist giftig für Fische und andere Lebewesen im Gewässer.
Die frühere PiS-Regierung erklärte sich zum Opfer deutscher Fake News
Was sich geändert hat: der Umgang der polnischen Regierung mit diesem Problem. Die liberal-konservative Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk, seit Dezember im Amt, spricht offen über Ursache und Wirkung. Und begann, wie im Wahlkampf versprochen, tatsächlich sofort damit, sich dem Gewässerschutz zu widmen und auch die eigentliche Ursache und den Ausgangspunkt des großen Fischsterbens von 2022 zu klären. Schon Ende Mai erklärte die stellvertretende Umweltministerin Urszula Zielińska: „Leider besteht die Bedrohung immer noch, die Lage an der Oder ist sehr ernst.“ Regelmäßig veröffentlicht das Umweltministerium Meldungen über Funde toter Fische.
Diese Offenheit ist ein enormer Unterschied zur Verschleierungs- und Schuldumkehrtaktik der rechtsnationalistischen PiS-Regierung, die im Sommer 2022 und 2023 noch im Amt war. Diese reagierte erst gar nicht, dann kaum und erklärte sich schließlich zum Opfer deutscher Fake News, weil erste Vermutungen über die Ursache des Fischsterbens sich nach weiteren Untersuchungen als falsch erwiesen. Deutsche Forscher hatten das Wasser unter anderem auf Quecksilber und Pflanzenschutzmittel untersucht. Eine Zusammenarbeit zwischen der damaligen polnischen Umweltministerin und der deutschen Seite scheiterte. Öffentlichkeitswirksam aber versprach der damalige polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, die Verantwortlichen zu finden und hart zu bestrafen.
Das ist bis heute nicht geschehen, auch die neue Regierung wird den eigentlichen Ursprung der Katastrophe möglicherweise nicht mehr feststellen. Und eine echte Lösung für die Gewässerverschmutzung zu finden, damit tut sich auch die neue Regierung schwer.
Sie setzt zunächst darauf, mit den Betreibern der Bergwerke Vereinbarungen zu treffen, dass diese ihre Abwässer zurückhalten, wenn der Wasserstand zu niedrig ist. Denn je weniger Wasser in den Flüssen und Kanälen ist, desto stärker erhöht sich die Salzkonzentration – was die Algenblüte begünstigt. Es soll geprüft werden, ob die einleitenden Firmen Rückhaltebecken und Entsalzungsanlagen einrichten können. Zudem setzt Vize-Umweltministerin Zielińska auf eine Renaturierung der Oder – auch das der umgekehrte Weg zum Vorhaben der PiS-Regierung, die Oder weiter schiffbar zu machen.
Chemie soll kurzfristig helfen, doch Experten sind skeptisch
Der Umweltorganisation Greenpeace dauert das alles zu lang, sie weist darauf hin, dass längst nicht nur die Oder und ihre Zuflüsse betroffen sind. Auch in verschiedenen polnischen Seen kam es in diesem Sommer bereits zu einem Fischsterben. Zudem sei auch die Weichsel, die etwa durch die Großstädte Krakau und Warschau fließt, bedroht. Auch in diesen Fluss werden Abwässer eingeleitet, und derzeit führt er eher wenig Wasser.
Das polnische Umweltministerium will nun ein aufwendiges System zur landesweiten Gewässerkontrolle einführen, nicht nur an den Oder-Zuflüssen. Dass das sehr teuer wird, daraus macht Urszula Zielińska kein Geheimnis. Immerhin könnten frühzeitige Erkenntnisse über die Wasserqualität helfen, Schlimmeres zu verhindern. Einer der Vorwürfe an die PiS-Regierung im Sommer 2022 lautete, dass sie durch ihr Schweigen und Verschleiern die Katastrophe mit verursacht habe. Denn hätte es früher Informationen gegeben, hätten etwa Kanäle oder Seitenarme abgesperrt werden können.
Derzeit versucht die Regierung, der Alge mit Chemikalien Herr zu werden – was auch unter PiS bereits versucht wurde und was Forscher etwa vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) skeptisch sehen. In dieser Woche will das polnische staatliche Institut für Umweltschutz am Gleiwitzer Kanal mit Wasserstoffperoxid experimentieren und herausfinden, ob sich damit die blühende Alge aufhalten lässt. Das Leibniz-Institut schreibt dazu: „Eine nachhaltige Wirkung wird aus IGB-Sicht damit jedoch nicht erreicht, zumal eine Bekämpfung in fließendem Wasser aufgrund der erforderlichen großen Chemikalienmengen nicht denkbar ist und negative Nebenwirkungen auf andere Wasserorganismen hätte.“
Helfen soll auch ein in diesen Tagen eingeführtes Modell zur Vorhersage des Salzgehalts. Das polnische Institut für Meteorologie und Wasserwirtschaft will Daten zum Zustand der Oder fortlaufend veröffentlichen und sogar 72-Stunden-Vorhersagen zum Salzgehalt treffen – daraus lassen sich Empfehlungen für Industriebetriebe ableiten. Sie müssten dann nur noch befolgt werden.