Süddeutsche Zeitung

Polen:Nach der Wahl ist vor der Wahl

Polens Regierungspartei PiS vertagt Sitzungen des Parlaments in die neue Legislatur. Begründung: So hätten die Abgeordneten mehr Zeit im Wahlkampf. Die Opposition zeigt sich entsetzt.

Von Florian Hassel, Warschau

Eigentlich hatte das polnische Parlament bis zum Wochenende noch einiges zu erledigen. An diesem Freitag sollte der Sejm die letzte Sitzung der Legislaturperiode abhalten, damit Kandidaten vor der Parlamentswahl am 13. Oktober noch Zeit für den Wahlkampf haben. Doch jetzt werden die ausstehenden Diskussionen über die Arbeit des umkämpften Obersten Gerichts und Ergebnisse einer umstrittenen Untersuchungskommission erst nach der Wahl stattfinden - aber mit dem alten Parlament: Das Parlamentspräsidium beschloss in der Nacht zum Donnerstag mit den Stimmen der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die beiden letzten Sitzungstage auf den 14. und 15. Oktober zu verschieben - also auf nach der Wahl. Begründung der von der PiS gestellten Parlamentspräsidentin Elżbieta Witek für das Verfahren: Mit der Verschiebung hätten die Abgeordneten mehr Zeit im ohnehin kurzen Wahlkampf.

Doch der Abgeordnete Jarosław Sachajko erinnerte, dass die PiS-Mehrheit selbst den frühen Wahltag 13. Oktober beantragt hatte, um der erstarkten Opposition wenig Zeit für Stimmwerbung zu geben. "Wir waren schockiert", sagte die zur Opposition zählende Vizeparlamentspräsidentin Barbara Dolniak der Gazeta Wyborcza über die nächtliche Verschiebung.

Oppositionsführerin Małgorzata Kidawa-Blońska vermutete, die Pis rechne damit, die absolute Mehrheit zu verlieren, und wolle in den vertagten Sitzungen mit der alten Mehrheit Blitzgesetze verabschieden. Andere spekulieren, die PiS wolle Zeit gewinnen, um Oppositionelle zum Überlaufen zu bewegen, sollte sie ihre absolute Mehrheit verlieren.

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Quelle:
SZ vom 13.09.2019
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