NS-VerbrechenEin Stein als Erinnerungsstütze

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Vor dem Provisorium (von li.): Kulturstaatsminister Weimer, Polens Kulturministerin Wróblewska und Berlins Regierender Bürgermeister Wegner.
Vor dem Provisorium (von li.): Kulturstaatsminister Weimer, Polens Kulturministerin Wróblewska und Berlins Regierender Bürgermeister Wegner. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Wo Adolf Hitler 1939 den Überfall auf Polen verkündete, ist ein Gedenkstein enthüllt worden – allerdings nur als Provisorium. Das schon lange geplante Denkmal lässt auf sich warten.

Von Daniel Brössler, Berlin

Es ist einer jener Momente, die Respekt abverlangen. Rita Süssmuth ist 88 Jahre alt, die Beine wollen nicht mehr. Ob sie sich setzen wolle, fragt Wolfgang Thierse, auch kein junger Mann, der ihr 1998 im Amt des Bundestagspräsidenten nachfolgte. „Geht schon“, sagt Süssmuth. Was sie zu sagen hat, möchte sie stehend sagen. „Es ist heute ein Tag, der mich ganz freudig stimmt“, beginnt sie, „der Anfang ist endlich gemacht.“

Rita Süssmuth steht auf einem kleinen Podest mit Blick auf das Reichstagsgebäude. An diesem Ort stand einst die Kroll-Oper, während der NS-Zeit Tagungsort des Reichstages. Hier verkündete Adolf Hitler am Morgen des 1. September 1939 den Überfall auf Polen, mit dem der Zweite Weltkrieg begann. Und hier steht nun ein Findling als provisorisches Mahnmal für die polnischen Opfer des Nationalsozialismus. Er steht für den Anfang, von dem Süssmuth spricht.

2017 hatte sie mit Wolfgang Thierse, Florian Mausbach, dem ehemaligen Präsident des Bundesamts für Bauwesen, Dieter Bingen, dem damaligen Direktor des Deutschen Polen-Instituts, und Rabbiner Andreas Nachama, damals Direktor der Topographie des Terrors, einen Aufruf für „ein Polendenkmal in der Mitte Berlins zum Gedenken an die polnischen Opfer der deutschen Besatzung 1939–1945“ gestartet. Das griff eine Forderung des früheren polnischen Außenministers und Auschwitz-Überlebenden Władysław Bartoszewski auf. Bartoszewski hatte bekümmert, wie wenig die Deutschen über die Verbrechen der deutschen Besatzer in Polen wissen. Geschlossen wurden die Wissenslücken seither kaum.

Während der schleppenden Planung verdüsterten sich die deutsch-polnischen Beziehungen

Er sei „immer wieder zutiefst erschüttert über die Ahnungslosigkeit, die mitunter über die polnische Geschichte in unserem Land vorherrscht“, sagt der Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-polnische Zusammenarbeit, der CDU-Bundestagsabgeordnete Knut Abraham. Das mache den neuen Gedenkort und das geplante deutsch-polnische Haus „zu einem der wichtigsten, wenn nicht zu dem wichtigsten erinnerungspolitischen Projekt derzeit in Deutschland“. Ein Projekt mit langem Vorlauf allerdings. „Das Ringen war verstörend zäh, die Umsetzung zog sich hin“, erinnert der Historiker Dieter Bingen. Erst nach längeren Debatten fasste der Bundestag im Oktober 2020 den Beschluss für   einen  „Ort des Erinnerns und der Begegnung“.

Während eher langsam die Planungen für einen solchen Gedenkort in Berlin begannen, verdüsterten sich die deutsch-polnischen Beziehungen. Polens über Jahre regierende Nationalkonservative von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) setzten eine Kommission zur Feststellung der von Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg angerichteten Kriegsschäden ein, die 2022 eine Rechnung in Höhe von mehr als 6,2 Billionen Złoty, umgerechnet 1,3 Billionen Euro, präsentierte.

Die Bundesregierung verwies darauf, die Reparationsfrage sei abgeschlossen – was nach einem Regierungswechsel in Warschau vom liberalkonservativen Ministerpräsidenten Donald Tusk im juristischen, aber nicht im moralischen Sinne bestätigt wurde. Ankündigungen des damaligen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) einer humanitären Geste für noch überlebende polnische NS-Opfer versandeten, weil sie auf polnischer Seite als nicht ausreichend angesehen wurden.

Einmarsch deutscher Truppen in Warschau, Anfang Oktober 1939.
Einmarsch deutscher Truppen in Warschau, Anfang Oktober 1939. (Foto: United Archives/via Imago)

Die polnischen Erwartungen richten sich nun auf den neuen Kanzler. Deutschland werde „die Millionen Opfer der Besetzung Polens niemals vergessen“, versicherte Friedrich Merz im Mai während seines Antrittsbesuchs in Warschau.  Die rasche Errichtung eines Denkmals für die Opfer der deutschen Aggression und Besatzung in Polen sei ihm auch  „persönlich ein sehr wichtiges Anliegen“. Auf die Eröffnung des temporären Denkmals freue er sich daher.  Die Bundesregierung werde mit Nachdruck nach einer „dauerhaften Lösung“ suchen.

„Eigentlich wollen wir, dass dieser Stein … so schnell wie möglich wieder hier wegkommt“, sagt Heiko Maas

Das weckte Erwartungen, Merz werde den provisorischen Gedenkort mit dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk eröffnen. Dagegen sprach während des Präsidentschaftswahlkampfs die vonseiten des schließlich siegreichen Kandidaten Karol Narocki geschürte Stimmung gegen Deutschland. Nawrockis Wahl dürfte die Beziehungen weiter erschweren.

Als umso bedeutsamer erscheint die Vollendung der Denkmalpläne. „Eigentlich wollen wir, dass dieser Stein, den wir heute seiner Bestimmung übergeben, so schnell wie möglich wieder hier wegkommt“, formuliert es der frühere Außenminister Heiko Maas (SPD). Er ist Präsident des Deutschen Polen-Instituts, das die Errichtung des provisorischen Gedenkortes zusammen mit dem Berliner Senat vorangetrieben hat.

Ziel sei das endgültige Mahnmal als Ort der Begegnung für Deutsche und Polen. Ein erstes Konzept ist von einer Stabsstelle bei der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas bereits erarbeitet worden. Neben einem „zeitgemäßen Denkmal im öffentlichen Raum“ sieht es ein Bildungsprogramm sowie Ausstellungen vor. Was aussteht, sind ein weiterer Beschluss des Bundestages und eine ausreichende Finanzierung.

Während der Zeremonie sind „Free Palestine“-Rufe von einem Dutzend Gaza-Aktivisten zu hören, die aus wenigen Hundert Metern Entfernung versuchen, die Veranstaltung zu stören. „Wenn die da hinten nicht so laut schreien würden“, kommentiert das der Polen-Beauftragte Abraham, „dann hätten sie eine Gelegenheit zu verstehen und viel zu lernen über Krieg und Frieden, Terror, Opfer, aber auch die zarte Pflanze der Versöhnung“.

Sie wünsche sich,  „dass wir das Tempo nicht verlangsamen und durchhalten“, sagt Rita Süssmuth. Mit den Worten „Nie wieder“ sei sie vorsichtig, „aber wir können das schaffen, das Nie wieder. Wenn wir zusammenhalten“.

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