Süddeutsche Zeitung

Anti-LGBT-Politik in Polen:Unheimliche Beschwörungen

Polnische Regionen und Gemeinden bleiben dabei, sexuelle Orientierungen zu diskriminieren - trotz Strafandrohungen der EU. Die verleumderische Propaganda kennt dabei kaum noch Grenzen.

Von Florian Hassel, Warschau

Es war Post mit eindeutigem Inhalt, die Anfang Juni aus Brüssel kam. In Briefen an die Vorsteher der fünf polnischen Regionen Lublin, Łódź, Małopolska, Podkarpackie und Świętokrzyskie wies die EU-Kommission darauf hin, dass in Übereinstimmung mit EU-Regeln (Artikel 7 der EU-Finanzregeln von 2013 und Artikel 2 der EU-Verträge) Geld aus Brüssel nur derjenige bekommen könne, der die Werte der EU nicht verletzt und niemanden etwa wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert.

Seit 2019 aber hatten Politiker aus Regionen, die von der nationalpopulistischen Regierungspartei PiS geführt werden, und etliche Städte und Gemeinden Erklärungen abgegeben oder Regeln erlassen, die nicht nur Brüssel als Diskriminierung von Schwulen, Lesben und anderen sexuellen Orientierungen auffasst.

Als eines der ersten beschloss am 29. April 2019 der Sejmik, das Parlament der Region Małopolska im Süden des Landes eine an Bürgermeister, Präsident und Regierung gerichtete Erklärung "gegen die Einführung der 'LGBT'-Ideologie". Diese sei auf die "Vernichtung der durch das vieljahrhundertfache christliche Erbe gestalteten Werte orientiert". LGBT-Propaganda bedrohe die traditionelle Familie und "die rechte Entwicklung der jungen Generation".

Krakaus Erzbischof redet von einer Gefahr wie durch einen Krieg

Neben den fünf Regionen haben Dutzende Städte und Gemeinden Anti-LGBT-Erklärungen verfasst oder -Regeln erlassen; Bürgerrechtler verfolgen diese Entwicklung mit einem eigenen Atlas im Internet. Der europäische Interessenverband Liga sieht Polen in seiner Rangliste der Rechte von Schwulen, Lesben und anderer sexueller Orientierungen als Schlusslicht aller EU-Länder.

Mitte Juli verkündete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen indes eine härtere Linie und mögliche Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen und Ungarn - beide müssen bis zum 15. September auf Briefe der EU antworten. Außerdem teilte die EU-Kommission der Führung von Małopolska, der Region um Krakau, per Brief vom 14. Juli mit, dass Fördergelder etwa für den Gesundheitsbereich oder Wirtschaftsförderung einstweilen eingefroren würden: 2,5 Milliarden Euro für die Zeit 2021 bis 2027 allein für Małopolska.

Am Donnerstag sollte nach dem Willen der Opposition nun die Gefahr ausgeräumt werden, die EU-Gelder zu verlieren: Da beriet der Sejmik in Krakau darüber, die Erklärung von 2019 aufzuheben. Doch ehe die Beratung begann, traf hoher Besuch aus Warschau in Krakau ein: Ex-Ministerpräsidentin Beata Szydło und Infrastrukturminister Andrzej Adamczyk. Im Auftrag der PiS-Spitze gaben sie bei einem Treffen am 16. August den Krakauer PiS-Mitgliedern des Sejmik vor, wie die abzustimmen hätten: gegen die Aufhebung der Anti-LGBT-Erklärung. So schilderte es jedenfalls ein PiS-Ratsherr dem Infodienst Onet.

Ein Regionalparlamentarier, Sejmik-Vorsitzender Jan Duda, musste gar nicht mehr überzeugt werden: Der Vater des polnischen Präsidenten Andrzej Duda teilt die Meinung seines Sohnes, der 2020 mehrmals öffentlich gegen "die LGBT-Ideologie" auftrat. Duda senior verkündete am 5. September vergangenen Jahres im Krakauer Radio, bei der Anti-LGBT-Erklärung gehe es um das Wohl der Familie und den "Schutz der Kinder vor früher Sexualisierung".

Und auch die eng mit der PiS verknüpfte katholische Kirche Polens gab die Linie mit vor: Krakaus erzkonservativer Erzbischof Marek Jędraszewski predigte am 11. und 15. September gegen Druck aus Brüssel und Gefahr in Gestalt der "LGBT-Ideologie". Diese komme der Bedrohung im polnischen Krieg gegen die bolschewistische Sowjetunion nach dem Ersten Weltkrieg gleich, und sie bedrohe "die Würde der Frau und des Mannes und den gesamten Gedanken Gottes gegenüber dem Menschen". Vor der Abstimmung im Sejmik traf der Erzbischof auch noch Regionsvorsteher Witold Kozłowski.

Der wetterte dann bei der Diskussion im Regionalparlament am Donnerstag gegen angebliche Schändungen von Altären und heiligen Messen durch LGBT-Aktivisten. Derlei Behauptungen seien frei erfunden, entgegnete die Oppositionsabgeordnete Daria Gosek-Popiołek. Schon Anti-LGBT-Resolutionen seien "keine unschuldigen Erklärungen, sondern verstärken das Gefühl der Angst und geben dem Aggressor eine Rechtfertigung".

Die Krakauer Stiftung "Gleichheit" berichtete bereits Ende 2020 in einem Report von zunehmenden Übergriffen und Diskriminierungen. Bei der Diskussion am Donnerstag ergänzte Magdalena Dropek von der Stiftung Gleichheit, mittlerweile überlege die Hälfte der Angehörigen sexueller Minderheiten in Krakau, aus der Stadt wegzuziehen.

Das machte im Sejmik letztlich ebenso wenig Eindruck wie die Haltung der EU. Präsidentenvater Duda senior nannte die Briefe der EU-Kommission unverbindlichen "Druck während der Verhandlungen". Zudem kenne die EU die lokale Stimmung nicht und verlasse sich auf oft manipulative Informationen der Opposition. Am Ende stimmte der Sejmik mit 22 PiS-Stimmen gegen 15 Oppositionstimmen dafür, die Anti-LGBT-Deklaration in Kraft zu lassen.

Polens Wissenschafts- und Bildungsminister Przemysław Czarnek begrüßte das Votum. Das lässt auf Warschaus Willen zu weiterer Konfrontation mit der EU schließen. "Ich bin stolz auf die Mitglieder im Sejmik von Małopolska und auf alle anderen Einheiten der territorialen Selbstverwaltung, die sich von den sehr guten Erlassen zum Schutz der Familie nicht zurückziehen", so Czarnek.

Einigen wollen schon das Eintreten für Sex unter 18 verbieten

Und geht es nach Kaja Godek, soll ganz Polen bald LGBT-freie Zone werden. Die ultrakonservative Aktivistin spielte schon in der Debatte um Polens verschärftes Abtreibungsverbot eine bedeutende Rolle. Jetzt sammelte die von Godek geführte "Stiftung Leben und Familie" 140 000 Unterschriften für einen Gesetzentwurf namens "Stop LGBT": Dem zufolge soll es ebenso verboten werden, für gleichgeschlechtliche Ehe einzutreten, wie generell für jede nicht-heterosexuelle Sexualität, für gleichgeschlechtliche Partnerschaften oder für Sex vor dem 18. Lebensjahr. Ein Mitglied ihrer Stiftung sagte der Zeitung Gazeta Wyborcza: "Man muss heute auch klar sagen, dass die LGBT-Gemeinschaft in Polen sehr oft Quelle von Pathologien ist, mit Kindesmissbrauch an der Spitze".

Am 9. August übergaben die Aktivisten zwölf Kisten mit den 140 000 Unterschriften im Sejm in Warschau. Das polnische Parlament muss sich nun mit dem "Stop LGBT"-Gesetzentwurf beschäftigen.

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