Polen:Fast alles soll verboten werden

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Polinnen demonstrieren in Lublin auf einer Parade für Toleranz. (Foto: Aleksander Kalka/imago)

In Polen wird ein radikaler Gesetzentwurf gegen sexuelle Minderheiten und ihre Unterstützung im Parlament beraten.

Von Florian Hassel, Warschau

Für Kaja Godek war es ein großer Erfolg, dass der von ihr ins Leben gerufene Gesetzentwurf es auf die Tagesordnung des polnischen Parlaments schaffte: Der "Stop LGBT" genannte Gesetzentwurf will Regenbogenparaden von Schwulen, Lesben und anderen sexuellen Minderheiten verbieten. Aber auch jegliches andere öffentliche Eintreten für gleichgeschlechtliche Ehen, Adoptionen durch gleichgeschlechtliche Paare oder andere Rechte für sexuelle Minderheiten sowie generell "ein Verbot für die Propagierung anderer sexueller Orientierungen als heterosexueller". Der Sejm, die untere Kammer des polnischen Parlaments, wollte am Donnerstagabend über den Entwurf abstimmen.

Wäre es nach der Aktivistin Godek gegangen, hätte der polnische Sejm schon im November 2020 über die explosive Initiative beraten. Doch die nationalpopulistische Regierungspartei PiS hatte schon genug Ärger: Nachdem das von der PiS kontrollierte Verfassungsgericht im Oktober 2020 ein faktisches Abtreibungsverbot verhängt hatte, gingen Hunderttausende Frauen in ganz Polen auf die Straße. Zudem machte die EU klar, dass sie polnischen Regionen, die sich für "LGBT-frei" erklärten, Fördergeld in Milliardenhöhe sperren werde.

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Die Regierung in Warschau lehnt die vom EuGH verfügten Strafgelder ab. Der polnische Staat dürfe sich nicht "der Gesetzlosigkeit unterwerfen".

Und so weigerte sich die PiS-Parlamentspräsidentin, den als Bürgerinitiative eingereichten Gesetzentwurf auf die Tagesordnung zu setzen. Der angebliche Grund: Formfehler. Doch Godek und ihre vom konservativen Flügel der katholischen Kirche gestützte "Stiftung für das Leben und die Familie" gaben nicht auf: 2021 sammelten sie erneut 140 000 Unterschriften - genug, um den Gesetzentwurf erneut ins Parlament zu bringen.

Der Entwurf will nicht nur Demonstrationen, sondern jedwedes öffentliche Eintreten für freie Sexualität und neue Rechte sexueller Minderheiten verbieten: etwa für die Einführung der in Polen bisher nicht erlaubten gleichgeschlechtlichen Ehe oder die Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare, für modernen, über Homosexualität und andere Formen von Sexualität aufklärenden Sexualunterricht in Polens Schulen oder für die Möglichkeit der Geschlechtsumwandlung. Auch das Eintreten für Sex unter 18 soll verboten werden.

Sogar PiS-Politiker wundern sich

Unter öffentlichem Eintreten verstehen Godek und ihre Gesinnungsgenossen auch Ausstellungen, Geschäfte, die Sexspielzeug oder Regenbogenflaggen verkaufen - und selbst Werbekampagnen von Weltfirmen wie Apple oder Google und Dutzenden anderen, bei denen diese die Regenbogenfarben nutzen oder Nicht-Diskriminierung sexueller Minderheiten etwa am Arbeitsplatz unterstützen. Verboten werden soll jedwedes öffentliche Verhalten oder Handlungen, die "die öffentliche Moral" angreifen, besonders solche, die Kinder oder Jugendliche unter 18 Jahren "verderben oder demoralisieren" könnten. Zur Begründung wärmen die Autoren unter Berufung auf pseudowissenschaftliche Machwerke längst widerlegte Vorwürfe auf, dass etwa Homosexuelle oft für Kindesmissbrauch verantwortlich seien oder Kinder zu Homosexualität verführen wollten.

Würde der Entwurf Gesetz, werden wohl viele Polen wieder protestieren; die Frauenrechtlerin Marta Lempart kündigte dies bereits an. Warschau würde auch sein miserables Verhältnis zur EU weiter verschlechtern. Selbst PiS-Politiker wunderten sich, dass ihre Führung den Gesetzentwurf nicht etwa in einem Parlamentsausschuss beerdigt hat, sondern zur Beratung ansetzte. Spekuliert wird, dass PiS-Chef Jarosław Kaczyński sich im Parlament so die Zustimmung der stramm rechtsnationalistischen, gegen LGBT-Rechte eintretenden Konföderation sichern wolle.

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