Polen:Einige Regionen heben LGBT-Erklärungen auf

Lesezeit: 2 Min.

Flagge zeigen: Demonstrierende setzen sich bei einem Marsch in Krakau für Gleichheit ein. (Foto: Beata Zawrzel/Imago)

Aus Angst vor dem Verlust von EU-Geld haben große Regionen in Polen Erklärungen "gegen die Einführung der LGBT-Ideologie" widerrufen. Die Politik aber ändert sich nicht.

Von Florian Hassel, Warschau

Es war ein spektakulärer Rückzug, als die südpolnische Region Małopolska beschloss, eine knapp zweieinhalb Jahre alte Erklärung des regionalen Parlaments zu widerrufen. In der Deklaration vom 29. April 2019 hatte der Sejmik von Małopolska, der Region um Krakau im Süden Polens, sich gegen "gegen die Einführung der 'LGBT'-Ideologie" ausgesprochen, die angeblich auf die "Vernichtung der durch das vieljahrhundertfache christliche Erbe gestalteten Werte orientiert ist". LGBT-Propaganda bedrohe die traditionelle Familie und "die rechte Entwicklung der jungen Generation". Die Regionen Lublin, Łódź, Podkarpackie und Świętokrzyskie erließen ähnliche Erklärungen, dazu Dutzende Städte und Gemeinden.

Jetzt ruderten zumindest die großen Regionen zurück. Als erstes widerrief in der vergangenen Woche Świętokrzyskie die Anti-LGBT-Deklaration, am Montag folgten Lublin, Podkarpacie und Małopolska. Zuvor hatte die EU-Kommission den Regionen schriftlich angekündigt, wegen der diskriminierenden, EU-Recht widersprechenden Erklärungen Zuschüsse einzufrieren.

Diskriminierung von nichtheterosexuellen Menschen
:EU-Kommission leitet Verfahren gegen Polen und Ungarn ein

Dabei geht es um die Diskriminierung von Menschen, die nicht heterosexuell sind. Die Kommission spricht von Problemen bei Gleichbehandlung und anderen fundamentalen Rechten.

Dabei geht es um Milliarden. Allein für Małopolska standen für den Zeitraum 2021 bis 2027 einem Brief der EU-Kommission vom 14. Juli zufolge rund 2,5 Milliarden Euro auf dem Spiel. "Weder ich noch irgendein Ratsherr, ob von der Linken oder der Rechten, war bereit, die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass Małopolska ohne die Mittel der EU dasteht", bekannte am Montag Witold Kozłowski, der Vorsteher der Region, bevor der Sejmik die Anti-LGBT-Deklaration offiziell widerrief.

Die Kehrtwende erfolgt auf Befehl aus Warschau: Noch Mitte August hatte die nationalpopulistische Regierungspartei PiS den Regionen vorgegeben, die Anti-LGBT-Erklärungen nicht aufzuheben - jetzt entschloss sie sich zum Rückzug. Die Aufhebung der Anti-LGBT-Erklärung sei, so Kozłowski gegenüber der Zeitung Gazeta Wyborcza, "mit PiS-Politikern des höchsten Ranges" abgesprochen.

Duda stellt Homosexualität mit einer Krankheit gleich

Ob die Rücknahmen der Anti-LGBT-Erklärungen EU-Gelder wieder fließen lassen, ist offen. Eine Kehrtwende in der erzkonservativen Politik der PiS bedeuten die Rücknahmen kaum. Sejmik-Vorsitzender Jan Duda, Vater des polnischen Präsidenten Andrzej Duda, bedauerte vor der Abstimmung, die Aufhebung der Anti-LGBT-Erklärung "unter Druck und Drohungen" bedeute, "dass wir verleugnen, dass wir gestützt auf traditionelle Werte die Familie unterstützen wollen". Duda stellte etwa Homosexualität mit einer Krankheit gleich; diese sei "in bedeutendem Ausmaß eine ansteckende Erscheinung", so Duda in der polnischen Newsweek-Ausgabe. Und so stimmte etwa in Krakau lediglich die Opposition für die Aufhebung, die PiS-Ratsmitglieder enthielten sich oder stimmten mit Nein.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alle Meldungen zur aktuellen Situation in der Ukraine und weltweit - im SZ am Morgen und SZ am Abend. Unser Nachrichten-Newsletter bringt Sie zweimal täglich auf den neuesten Stand. Hier kostenlos anmelden.

Teile der Regierung - etwa Justizminister-Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro - plädierten offen gegen einen Rückzug von den Anti-LGBT-Erklärungen. Die ultrakonservative "Stiftung Leben und Familie", die schon bei Polens faktischem Abtreibungsverbot eine Rolle spielte, will das ganze Land zur LGBT-freien Zone machen. Am 9. August übergaben die Aktivisten zwölf Kisten mit 140 000 Unterschriften für den Gesetzentwurf "Stopp LGBT": Dem Entwurf zufolge soll das Eintreten für eine gleichgeschlechtliche Ehe ebenso verboten werden wie generell das Eintreten für jede nicht heterosexuelle Sexualität, gleichgeschlechtliche Partnerschaften oder das Eintreten für Sex vor dem 18. Lebensjahr.

Das polnische Parlament muss den "Stopp LGBT"-Gesetzentwurf nun beraten, wann es dies tut, steht noch nicht fest. Wissenschafts- und Bildungsminister Przemysław Czarnek, der die Anti-LGBT-Deklarationen lobte, hat zudem einen Gesetzentwurf vorgelegt, der es Eltern und Lehrern künftig faktisch unmöglich machen würde, für die Rechte von sexuellen Minderheiten eintretende Aktivisten in Schulen einzuladen - selbst außerhalb des normalen Unterrichts.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Rechte von Homosexuellen
:"Dieses ungarische Gesetz ist eine Schande"

Mit scharfen Worten geißelt EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen Diskriminierung durch die Regierung in Budapest. Aber wie viel wird Brüssel ausrichten können? Der Fall zeigt, wie tief Europa gespalten ist.

SZ PlusVon Karoline Meta Beisel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: