Polen:Kritiker in Handschellen

Lesezeit: 3 min

Anwalt Roman Giertych hat brisante Informationen über die Regierung. (Foto: Beata Zawrzel/Getty Images)

Die Regierung lässt den ehemaligen Vizepremier Roman Giertych verhaften, der einst mit Jaroslaw Kacznyski koalierte. Heute ist er einer seiner lautesten Gegner.

Von Florian Hassel, Belgrad

Das Aufgebot war beachtlich, als die Justiz gegen den bekanntesten Rechtsanwalt Polens vorging. Erst nahmen Beamte des Anti-Korruptionsgeheimdienstes CBA Roman Giertych am vergangenen Donnerstag beim Verlassen eines Warschauer Gerichtes fest, dann fuhren sie mit ihm in die Vorstadt Józefow. Ein Dutzend Ermittler durchsuchte Giertychs Privathaus, andere dessen Warschauer Kanzlei, beschlagnahmten Dokumente, Computer und Mobiltelefone.

Giertych verlor das Bewusstsein, möglicherweise nach einem Infarkt, und liegt seitdem in einem Warschauer Krankenhaus. Am Samstag verlas eine Staatsanwältin im Krankenzimmer die Vorwürfe wegen angeblicher Beteiligung an Untreue und Geldwäsche - Giertychs Anwälten zufolge, ohne dass er bei Bewusstsein war. Seitdem verfolgt Polen eine Saga, in der es um politische Gegnerschaften und Machtmissbrauch, um spektakuläre Korruption und peinliche Prozesse geht.

Giertych gilt als einer der bekanntesten und bedrohlichsten Gegner der Regierungspartei PiS

Roman Giertych ist ein Anwalt mit politischer Vergangenheit: Von 2005 bis 2007 war er als Chef der Partei "Liga polnischer Familien" in einer Koalition mit Polens damaligem Ministerpräsidenten Jarosław Kaczyński Bildungsminister und Vize-Ministerpräsident. Auch der heutige Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro war damals mit von der Partie. In der Koalition ging es rustikal zu: So wurde der damals neue Anti-Korruptionsgeheimdienst CBA illegal gegen den bei Kaczyński und anderen in Ungnade gefallenen Vize-Ministerpräsidenten Andrzej Lepper eingesetzt. Die Koalition zerbrach über dem Skandal. Giertych wurde zum Kritiker Kaczyńskis, Ziobros und ihrer Methoden.

Als Anwalt vertrat er seitdem etwa den früheren Ministerpräsidenten Donald Tusk oder den ehemaligen Außenminister Radosław Sikorski in Verfahren mit politischem Unterton. Aktuell ist er an Verfahren um zwei der spektakulärsten Skandale um die heutige Regierungspartei PiS beteiligt. Im ersten beschuldigt der österreichische Geschäftsmann Gerald Birgfellner Kaczńyski und eine seiner Partei nahestehende Firma, ihn um das Honorar für jahrelange Arbeit betrogen zu haben - was diese bestreiten.

Im zweiten vertritt Giertych den Bankier Leszek Czarniecki. Der wies 2019 mit Gesprächsmitschnitten nach, dass ihm der damalige, eng mit der PiS-Spitze verbundene Chef der polnischen Finanzaufsicht aufforderte, ein Bestechungsgeld von umgerechnet knapp zehn Millionen Euro zu zahlen, um Probleme von Czarnieckis Bank zu lösen. Czarniecki wollte die Finanzaufsicht und andere Behörden auf millionenschwere Entschädigung verklagen - danach ließ Polen gegen ihn selbst ermitteln. Anwalt Giertych wurde festgenommen, bevor er Bankier Czarniecki am Freitag in einem Verfahren vertreten konnte. Seinen Anwälten zufolge wollte Giertych bei der Verhandlung angeblich Spektakuläres über illegale Manöver der Regierung enthüllen.

Staatsanwaltschaft und CBA werfen Giertych, dem Milliardär Ryszard Krauze und zehn weiteren Festgenommenen vor, sie hätten von 2010 bis 2014 bei den Firmen Polnord und der Baufirma Prokom Investments angeblich illegal Millionen ins Ausland verschoben. Eine Posener Richterin sah es indes bei einer Haftprüfung am Samstagabend als unwahrscheinlich an, dass überhaupt ein Verbrechen begangen wurde - und ließ Krauze und die anderen Festgenommenen ohne Auflagen frei. Misstrauen weckt auch das sonstige Vorgehen von CBA und Staatsanwaltschaft: Angeblich laufen Ermittlungen seit Februar 2017. Doch seinen Anwälten zufolge wurde Giertych seitdem nicht einmal verhört oder auch nur vorgeladen.

Stattdessen wurde Giertych am vergangenen Donnerstag in Handschellen festgenommen. Im eng von der PiS kontrollierten Staatsfernsehen TVP wurde Giertychs Festnahme am gleichen Tag, an dem Polen mit 8099 die meisten Covid-Infizierten seit Beginn der Pandemie meldete, Hauptmeldung der Abendnachrichten.

Die Staatsanwaltschaft beschuldigte Giertych nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus ohne Beleg, seinen Krankenstand zu simulieren. Polens Vize-Bürgerrechtskommissarin Hanna Machińska erklärte nach Gesprächen mit Giertych im Krankenhaus, an dessen Zustand bestehe kein Zweifel. Bürgerrechtskommissar Adam Bodnar erklärte: "Die Umstände und der Stil der Festnahme von Anwalt Roman Giertych müssen höchste Sorge wecken und verlangen Erklärungen."

Giertych selbst hatte noch vor seinem offenbaren Zusammenbruch alle Vorwürfe als "absolut politisches Verfahren" zurückgewiesen und erklärt, mit seiner Festnahme wolle die PiS von der katastrophalen Corona-Epidemie in Polen ablenken. Die Staatsanwaltschaft erklärte, Giertych müsse eine Kaution von fünf Millionen Zloty - umgerechnet rund eine Million Euro - zahlen. Er dürfe Polen nicht verlassen; jede Tätigkeit als Anwalt sei ihm zudem vorläufig verboten.

Die Rechtsautorin Ewa Siedlecka vermutete, die möglicherweise rechtswidrigen Beschlagnahmungen hätten dem Regierungslager dienen sollen, um mögliche Enthüllungen Giertychs im Verfahren um Bankier Czarniecki von für die Regierung peinliche Dokumente zu verhindern. Die Regierung habe beim Vorgehen gegen Giertych "ein Ziel: einen oppositionellen Anwalt, einen der bedrohlichsten und wirksamsten Gegner der PiS einzuschüchtern und zu neutralisieren", folgerte die Zeitung Gazeta Wyborcza. Der zur Opposition zählende Parlaments-Vizepräsident Włodzimierz Czarzasty sagte im Fernsehsender TVN, den Fall Giertych müsse man "einer Person anlasten - Herrn Kaczyński".

© SZ vom 19.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: