Süddeutsche Zeitung

Polen:Kahlschlag in Polens Militär

Die Elite verlässt die Armee: Wer von Verteidigungsminister Macierewicz nicht gefeuert wird, geht freiwillig. Viele Stellen bleiben nun unbesetzt.

Von Florian Hassel, Warschau

Es war eine Zeremonie mit allen Ehren, als Polens Präsident Andrzej Duda Ende Januar verdiente Generäle verabschiedete. Doch die Kommandeure gingen nicht etwa aus Altersgründen in den wohlverdienten Ruhestand: Die Generäle hatten vielmehr ihren Abschied eingereicht, weil sie mit dem Kurs des Verteidigungsministers nicht einverstanden sind. Antoni Macierewicz hat seit seinem Amtsantritt im November 2015 in Polens Armee und ihr unterstellten Einrichtungen Hunderte Offiziere entlassen oder zum Ausscheiden gebracht. Der "Tsunami in der polnischen Armee" (so der Infodienst Onet) bereitet auch Polens Alliierten bereits Kopfschmerzen.

Am 31. Januar verabschiedete sich Polens Generalstabschef Mieczysław Gocuł. Außer ihm ging auch Generalkommandeur Mirosław Różański. Der Leiter der Operationsabteilung, General Marek Tomaszycki. Der Kommandeur der Spezialeinheiten, General Piotr Patalong. Insgesamt nahmen fast 40 Generäle ihren Abschied oder wurden gefeuert.

Etliche Generäle halten wenig von der Idee, paramilitärische Einheiten einzugliedern

"Ich habe fast den gesamten Kommandeursbestand der operativen Einheiten ausgetauscht", brüstete sich Verteidigungsminister Macierewicz im rechten Magazin Do Rzeczy. Im Armeekommando seien über vier Fünftel aller Offiziere neu, im Generalstab gar neun Zehntel. Die Rechtfertigung des Ministers: Er wolle die Armee "von Leuten befreien, die nicht für die neuen strategischen Aufgaben bereit sind, vor denen Polen steht".

Tatsächlich gehören die gefeuerten oder gegangenen Kommandeure zur militärischen Elite Polens, die auch mit UN- oder Nato-Einsätzen in Afghanistan oder im Irak Erfahrung sammelten. Doch etliche Generäle halten wenig von der "Territorialverteidigung", mit der Minister Macierewicz der Armee gut 50 000 Polen in paramilitärischen Einheiten an die Seite stellen will. Im Kriegsfall seien diese Kämpfer nur "Kanonenfutter", sagte etwa General Waldemar Skrzypczak, Ex-Kommandeur der Landstreitkräfte. Der General verlor seinen Posten an einem Militärinstitut, als er kritisierte, dass Soldaten den 26 Jahre alten Kabinettschef des Ministers, einen Apothekenhelfer ohne militärische Kenntnis, ehren müssten.

Der Fallschirmspringergeneral Mieczyslaw Bieniek, früher Polens Vertreter bei der Nato, schätzte Mitte März, bis zu 50 der 120 Generalsposten in Polen seien unbesetzt. Allein an der Warschauer Führungsakademie der Armee wurden bis Herbst 2016 über 100 Mitarbeiter gefeuert. Der personelle Aderlass führe dazu, dass Polen 16 Stellen bei der Nato nicht besetzen kann, so das Magazin Polityka.

Bei Treffen der Nato beharrt Macierewicz auf einer angeblichen Kreml-Verschwörung, die im April 2010 zum Absturz des Flugzeugs des damaligen polnischen Präsidenten Lech Kaczyński geführt habe. Tatsächlich führten Technik- und Pilotenfehler zum Absturz.

Auch sonst fährt der Verteidigungsminister selbst gegenüber Verbündeten einen eigenwilligen Kurs. Schon im Dezember 2015 ließ Macierewicz unter Anführung seines Kabinettschefs die Militärpolizei in einer Kommando-Aktion das Zentrum für europäische Gegenaufklärung gleichsam erobern: eine von der Vorgängerregierung mit der Slowakei in Warschau gegründete Einrichtung, die Maßnahmen gegen hybride russische Kriegsführung à la Ukraine entwickeln sollte.

Die nächtliche Aktion, der die Entlassung des polnischen Kommandeurs und weiterer Offiziere folgte, schockierte nicht nur die Slowaken, sondern auch andere Nato-Länder, darunter Italien und Deutschland. Es war nicht die letzte eigenwillige Entscheidung: Im Oktober 2016 trat Macierewicz von einem Milliardenkauf von 50 Militärhubschraubern des Airbus-Konzern zurück. Der deutsche Airbus-Chef Tom Enders schimpfte, noch nie sei Airbus von einer Regierung so behandelt worden; Frankreich sagte einen Staatsbesuch von Präsident François Hollande in Polen ab. Ende März verkündete Minister Macierewicz den Rückzug Polens aus dem Eurocorps, der von Deutschen und Franzosen gegründeten Grundzelle einer Militäreinheit der EU.

Polityka berichtete, Englands Auslandsgeheimdienst habe als Folge des personellen Kahlschlag im polnischen Militär "massenhafte Versuche von Infiltration durch russische Geheimdienste" festgestellt, die nun "möglichst vieler ihrer Leute in der polnischen Verwaltung unterbringen wollen".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3455992
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 08.04.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.