Polen:Justiz unter Kontrolle

European Judges Join March Against Judicial Reforms In Warsaw

Unerwünschte Richter werden von der PiS-Regierung gern in Rente geschickt: Im Januar protestierten Juristen aus ganz Europa in Warschau.

(Foto: Omar Marques/Getty Images)

In Polen sollen weitere Richter entlassen und durch Gefolgsleute der PiS ersetzt werden. Kritik an der Regierung kann zu Disziplinarmaßnahmen führen.

Von Florian Hassel, Warschau

Es war eine Entscheidung wie etliche andere im Presserecht. Ende August entschied Rafał Wagner, Richter am Warschauer Regionalgericht, zugunsten Zbigniew Bonieks. Der Präsident des polnischen Fußballverbandes hatte das Magazin Gazeta Polska und seinen Autoren Piotr Nisztor verklagt. Der Journalist des der nationalpopulistischen Regierungpartei PiS nahestehenden Magazins hatte über eine angebliche Zusammenarbeit des Fußballchefs mit dem kommunistischen Geheimdienst und angebliche anrüchige Geschäfte im Umkreis des Fußballverbandes geschrieben - Boniek zufolge manipuliert und ehrenrührig. Richter Wagner verbot Nisztor bis zur Entscheidung über die Klage, über etliche umstrittene Sachverhalte zu schreiben.

Rafał Wagner ist ein erfahrener Richter. 2011 entschied er einmal zugunsten von PiS-Chef Jarosław Kaczyński. Da musste sich das Boulevardblatt Super Express entschuldigen, weil es gefragt hatte, ob Kaczyński in die Psychiatrie gehöre. Wagners aktuelle Entscheidung im Fall Boniek aber nutzte Kaczyński, Polens faktischer Regierungschef, zum Frontalangriff gegen Polens Richter.

Die Verfügung Wagner sei Zensur, verfassungswidrig und stehe für ein Grundübel Polens: dass Richter rechtswidrige Entscheidungen fällten, so sagt der PiS-Chef in der Gazeta Polska. Auch deshalb stehe "eine tief greifende Reform der Justiz" an, "und dies nicht nur institutionell-organisatorisch, sondern auch personell", so Kaczyński.

Tatsächlich hat die PiS die Justiz seit 2015 bedeutend umgestaltet: Das Verfassungsgericht ist faktisch nur noch ein Parteigericht. Der Justizminister ist auch Generalstaatsanwalt; viele Gerichte werden mit linientreuen Richtern besetzt. Auch das Oberste Gericht (SN) - letzte Instanz in Straf-, Zivil- und Wahlfragen - wackelt. Ende Mai ernannte der von der PiS gestellte Präsident Polens Andrzej Duda nach einem mutmaßlich rechtswidrigen Verfahren die Gefolgsfrau Małgorzata Manowska zur SN-Präsidentin.

Schon 2018 wurden dort mehrere Sonderkammern gebildet. Am 8. April dieses Jahres entschied der Gerichtshof der EU, eine zur Abstrafung von Richtern, Staatsanwälten und anderen Juristen bevollmächtigte Disziplinarkammer sei nicht rechtmäßig und müsse jede Tätigkeit sofort beenden. Doch die Disziplinarkammer arbeitet weiter. In anderen SN-Kammern haben alte, rechtmäßig ernannte Richter noch die Mehrheit.

Dies soll offenbar anders werden. Der Zeitung Rzeczpospolita sagten Gefolgsleute Kaczyńskis, das Oberste Gericht solle - etwa durch die Zusammenlegung bisher getrennter Kammern - von aktuell 97 Richtern auf 20, höchstens 30 Richter reduziert werden: mutmaßlich Gefolgsleute der Regierung. Die restlichen Richter sollen zum Beispiel in Rente geschickt werden. Eine ähnliche Säuberung steht demnach den 73 Richtern des Obersten Verwaltungsgerichts (NSA) bevor. Auch dort soll offenbar eine neue Disziplinarkammer entstehen.

Auch an anderen Gerichten soll durchregiert werden. Von 10 000 Richtern an Polens allgemeinen Gerichten erfüllten 4000 auch Verwaltungsfunktionen, seien Vizegerichtspräsidenten oder Abteilungsleiter. Dies sei "uneffektiv und teuer", befand Vize-Justizministerin Anna Dalkowska. Der Rzeczpospolita zufolge sollen Berufungsgerichte abgeschafft werden. Es fehle nur noch die politische Entscheidung - sprich: das OK Kaczyńskis - , um Projekte zu dieser Reform der Justiz im Parlament einzubringen.

Richter, die angeblich falsche Entscheidungen träfen, sollten künftig "zur disziplinarischen Verantwortung gezogen und in der Konsequenz aus dem Beruf entfernt werden", kündigte Kaczyński an. Ein "Richterknebelgesetz" verbietet Juristen seit Anfang des Jahres, Entscheidungen der Regierung zu kritisieren und etwa rechtswidrige Ernennungen von Richtern und anderen Juristen beim Namen zu nennen. Am 28. April schrieben gleichwohl 1278 polnische Richter an die OSZE: Die Richter kritisierten die damals noch für den 10. Mai geplante Präsidentschaftswahl unter Corona-Bedingungen. Und sie wiesen darauf hin, dass jene neu berufenen Richter, die an einer SN-Sonderkammer über die Gültigkeit der Wahlen entscheiden sollten, rechtswidrig ernannt wurden.

Derlei Hinweise sind in Polen nicht mehr erwünscht. Der selbst mutmaßlich regelwidrig ernannte Vize-Disziplinarbeauftragte Polens forderte alle Disziplinarbeauftragten in den Regionen kürzlich auf, ihm zu melden, welche Maßnahmen sie gegen jeden einzelnen der 1278 Richter ergriffen hätten.

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