Süddeutsche Zeitung

Polen:Jung, sportlich, angriffslustig

Borys Budka ist zum Oppositionsführer gewählt worden. Er plant den Neuaufbau seiner Partei, um 2023 die Regierungspartei PiS abzulösen.

Von Florian Hassel, Warschau

Einen so klaren Sieg hätte Borys Budka selbst bei seinem schnellsten Marathon nicht erlaufen können: Am Samstagabend ist er zum neuen Chef von Polens größter Oppositionsplattform, Bürgerplattform (PO), gewählt worden, von 78,8 Prozent der abstimmenden Parteimitglieder. Mit 41 Jahren ist Budka ein vergleichsweise junger Oppositionschef - und ein sportlicher. Sein Tagespensum beim Jogging soll bei zwölf Kilometern liegen; die 42 Kilometer des Schlesien-Marathons von Kattowitz schaffte Budka vor elf Jahren in zwei Stunden 39 Minuten.

An politischer Erfahrung mangelt es dem Juristen und Doktor der Wirtschaftswissenschaften nicht. Schon der Vater Józef war Stadtrat und trat als Parlamentskandidat an, seine Schwester kandidierte für das Europäische Parlament. Borys Budka sammelte schon mit 24 Jahren als Stadtrat in Zabrze westlich von Kattowitz politische Grundkenntnisse und blieb neun Jahre in dem Amt.

Langfristig soll Kaczyńskis PiS von der Spitze verdrängt werden

2011 zog er in den Sejm, die untere Kammer des Parlaments, ein - und ragte durch seinen juristischen Sachverstand so heraus, dass er den Sejm Dutzende Male in Verfahren vor dem polnischen Verfassungsgericht vertrat. 2015, damals war die konservativ-liberale PO selbst an der Regierung, machte ihn die damalige Ministerpräsidentin Ewa Kopacz zu Polens jüngstem Justizminister aller Zeiten. Selbst der gegnerische Parlamentarier Andrzej Dera bescheinigte Budka, er sei immer "kompetent, arbeitsam und glänzend vorbereitet".

Die Zeit für solche Komplimente war schnell vorbei, nachdem die PiS, die nationalpopulistische Partei "Recht und Gerechtigkeit", ihrerseits im Herbst 2015 die Macht übernahm und begann, den Rechtsstaat zu demontieren. Nicht nur bei diesem Thema wurde Budka zu einem der prominentesten und schärfsten Redner der Opposition. Denkwürdig ist, wie er 2017 PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński, Polens faktischen Herrscher, vom Rednerpult des Sejm ermahnte: Lech Kaczyński, der 2010 gestorbene Präsident und Zwillingsbruder, habe den Rechtsstaat anders als nun Jarosław geachtet: "Solange Lech Kaczyński lebte, haben Sie es nicht gewagt, die Justiz anzugreifen, weil es zum Glück jemanden gab, der die Gewaltenteilung verstand." Kaczyński antwortete erregt: "Beschmutzen Sie mit Ihren Verräterfressen nicht den Namen meines verstorbenen Bruders!"

Angriffslust und rhetorische Brillanz halfen Budkas Partei indes wenig. Parteien sind in Polen ohnehin schwach verankert: Selbst zu Regierungszeiten hatte die PO nur gut 40 000 Mitglieder - heute sind es noch rund 10 000. Dem unpopulären Parteichef Gregorz Schetyna gelang es zwar, die zeitweise in Umfragen unter zehn Prozent abgerutschte PO zu stabilisieren. Zum Sieg bei der Parlamentswahl im Herbst 2019 aber reichte es nicht: Die PiS gewann fast 44 Prozent, die PO nur gut 27 Prozent, und auch das nur im Bündnis mit anderen Parteien. Widerwillig trat Schetyna zurück. Auch sein Versuch, statt des jung-energischen Budka mit dem ehemaligen Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak einen Vertrauten als neuen PO-Chef durchzusetzen, scheiterte: Siemoniak bekam gerade elf Prozent der Stimmen.

Budka, verheirateter Vater einer Tochter, ist als neuer Parteichef nicht um seine Aufgabe zu beneiden. Bisher hat niemand eine Antwort darauf gefunden, wie die Opposition dem höchst effektiven Wählerkauf der PiS durch immer neue soziale Wohltaten etwas Effektives entgegensetzen will. Auch Budka gab bisher nur zu Protokoll, Stil und Qualität der Kommunikation innerhalb der Partei müssten sich ändern und ein "Zentrum neuer Ideen" gegründet werden, um Blaupausen für neue Politikvorschläge zu entwerfen.

Es ist wahrscheinlich, dass der - auch vom langjährigen PO-Übervater Donald Tusk geförderte - Budka einen Neuanfang versuchen wird. Seine Aufgabe sieht er nüchtern: den Neuaufbau seiner Partei, um im Herbst 2023 PiS an der Spitze abzulösen. Bei der kommenden Präsidentschaftswahl im Frühjahr tritt für die Opposition noch eine Vertreterin der alten Politikergeneration an: die 62 Jahre alte Vize-Parlamentspräsidentin Małgorzata Kidawa-Blońska.

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SZ vom 27.01.2020
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