Polen:Im Namen der Macht

Die PiS-Regierung geht weiter auf Konfrontationskurs: Sie will Urteile aus Warschau und Luxemburg missachten, die ihr die politische Auswahl von Richtern untersagen. Die EU-Kommission zeigt sich über die neuen Ankündigungen "sehr besorgt".

Von Florian Hassel, Warschau

Polens Regierung geht auf Konfrontationskurs: Sie will ein Urteil des Obersten Gerichts (SN) des Landes zu politisch ernannten Richtern missachten. Zudem hat Polens Präsident angekündigt, ein Gesetz zu unterschreiben, das es Richtern verbietet, rechtswidrig ernannte Richter oder Institutionen anzuzweifeln. Die EU-Kommission zeigte sich darüber "sehr besorgt", und kündigte an, Kommissionsvizepräsidentin Vera Jourova werde kommende Woche nach Warschau reisen.

Aufbauend auf einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 19. November und einem SN-Urteil vom 5. Dezember hatte Polens Oberstes Gericht am Donnerstag geurteilt: Dutzende Richter, die seit Anfang 2018 von einem politisch kontrollierten Landesjustizrat (KRS) ausgesucht wurden, sind nicht unabhängig ernannt und dürfen folglich auch keine Urteile sprechen.

Urteile könnten ungültig sein, Verfahren müssten wiederholt werden

Das SN hob alle Urteile einer politisch kontrollierten Disziplinarkammer auf, die jeden Richter, Staatsanwalt oder Anwalt entlassen konnte. Auch Urteile einer regierungskontrollierten Aufsichtskammer, die jedes rechtskräftige Urteil aufheben kann, sind damit potenziell ungültig. Zudem steht der Status Hunderter weiterer, seit Anfang 2018 neu bestimmter Richter an allgemeinen Gerichten in Frage. Es handelt sich um insgesamt 560 Richter, von denen der Rechtsspezialistin Ewa Siedlecka zufolge 330 Richter bereits urteilen und der Rest noch auf die Vereidigung und formelle Ernennung durch den Präsidenten Polens wartet.

Das SN urteilte, zwar würden bisher ergangene Urteile dieser Richter anerkannt. Ab sofort aber müsse jeweils im Einzelfall geprüft werden, ob bei der Ernennung eines solchen Richters "Standards von Unabhängigkeit und Parteilosigkeit" verletzt worden seien. Sei dies der Fall, folge daraus eine "fehlerhafte Zusammensetzung des Gerichts". Im Klartext: Das Urteil ist ungültig, das Verfahren muss wiederholt werden.

Die von der Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) geführte Regierung und der ebenfalls von der PiS gestellte Präsident indes erkennen das Urteil nicht an. Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro erklärte, das "sogenannte" Urteil habe "keinerlei rechtliche Folgen". Am Freitag reichte die Regierung gegen das Urteil des Obersten Gerichts Klage beim dafür gar nicht zuständigen, politisch kontrollierten Verfassungsgericht ein. Przemysław Radzik, Vize-Disziplinarbeauftragter für Richter und faktischer Untergebener von Justizminister Ziobro, nannte das Urteil der obersten Richter "einen rechtlosen Versuch des Umbaus der Republik": Richter, welche "die Legalität der Ernennung anderer Richter in Frage stellen, werden disziplinarisch verfolgt."

Am Donnerstag beschloss Warschau ein Gesetz, das es Richtern verbietet, den Status rechtswidrig ernannter Richter und Institutionen in Frage zu stellen. Das Gesetz widerspricht explizit einem Urteil des EuGH vom 19. Dezember. Präsident Andrzej Duda kündigte einem Mitarbeiter zufolge an, das Gesetz zu unterschreiben. Ein EuGH-Sprecher bestätigte am Freitag, der Gerichtshof habe einen bereits am 14. Januar angekündigten Antrag der EU-Kommission erhalten, Polen per einstweiliger Verfügung jede Tätigkeit der politisch kontrollierten Disziplinarkammer am Obersten Gericht zu verbieten und Warschau andernfalls hohe Bußgelder aufzuerlegen. Nach der Unterschrift von Präsident Duda unter das "Richterknebelgesetz" dürften weitere Klagen der EU-Kommission folgen.

Unabhängig von der Position der Regierung zeigt das Urteil des Obersten Gerichts Folgen. Die erst im Herbst 2018 ernannte Richterin Małgorzata Manowska sagte in Befolgung des Urteils am Freitag neun an der Zivilkammer des Obersten Gerichts angesetzte Verfahren ab. Richter, die sich auf das Urteil des Obersten Gerichts, auf das EuGH-Urteil vom 19. Dezember oder auf anderes EU-Recht berufen und dafür von der polnischen Regierung verfolgt oder entlassen werden, dürften dagegen ihrerseits etwa vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg klagen.

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