Süddeutsche Zeitung

Polen:Im Eiltempo zur Verfassungskrise

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Die konservative polnische Regierung setzt neue Verfassungsrichter ein. Das Problem ist nur: Das alte Parlament hatte bereits Richter gewählt - so wie es die Verfassung vorsieht.

Von Florian Hassel, Warschau

Sie sind fast alle geprüfte Gefolgsleute der nationalkonservativen Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (Pis), die Polens neue Regierung am Mittwochabend zu neuen Verfassungsrichtern wählen ließ. Unter den fünf Gewählten ist auch der Ex-Anwalt von Pis-Chef Jarosław Kaczyński. Das Problem ist nur: Es gibt bereits fünf neue Verfassungsrichter - gewählt vom alten Parlament, auf Grundlage der Verfassung und eines Gesetzes vom 25. Juni über das Verfassungsgericht.

Sollte etwas mit dieser Wahl nicht in Ordnung sein - etwa das Gesetz vom 25. Juni - kann darüber nur eine Instanz entscheiden: Polens Verfassungsgericht. Doch die neue Pis-Regierung und ihre absolute Mehrheit halten sich seit ihrer Vereidigung am 16. November nicht mit solchen Feinheiten auf. In nächtlichen Sitzungen erklärte das neue Parlament die Wahl der fünf Verfassungsrichter durch das alte Parlament für ungültig - wozu es nicht berechtigt ist - und erließ gleich ein neues Gesetz über das Verfassungsgericht: Das soll etwa die Amtszeit des Vorsitzenden und seines Stellvertreters beschränken. Sowohl das Gesetz vom Juni wie die neuen Gesetze sind Gegenstand von Klagen vor dem Verfassungsgericht. Das will an diesem Donnerstag und am 9. Dezember entscheiden - und ermahnte das Parlament, bis dahin keinerlei Schritte zu unternehmen.

Die Pis hielt sich nicht daran. Am Dienstagabend gab sie die Namen ihrer fünf Kandidaten für das Verfassungsgericht im Rechtsausschuss vor, stimmte den Kandidaturen ohne Diskussion zu und empfahl dem Parlament, alle fünf schon am Mittwoch zu Verfassungsrichtern zu wählen. So geschah es. Außer dem früheren Kaczyński-Anwalt Piotr Pszczólkowski sind das Lech Morawski und Mariusz Muszyński, ehemalige Mitglieder einer Parteikommission, die den Flugzeugabsturz von Smolensk im April 2010 umdeutete zum Terroranschlag, damals kamen Staatspräsident Lech Kaczyński, seine Frau und weitere Politiker um. Auch der ehemaliger Pis-Parlamentarier Henryk Cioch ist nun höchster Richter sowie Julia Przylębska, eine Richterin aus Poznan.

Im Parlament wies die Opposition vergebens auf Verfahrensverstöße hin. Parlamentspräsident Marek Kuchiński, Gefolgsmann von Pis-Chef Kaczynski, bügelte alles ab. Binnen Stunden waren alle Pis-Kandidaten gewählt - angesichts von fünf bereits gewählten Verfassungsrichtern der Beginn einer Verfassungskrise im größten Land Zentraleuropas.

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Quelle:
SZ vom 03.12.2015
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