Dass jede Polin und jeder Pole alle Namen der zwölf Apostel aufsagen kann, muss heute bezweifelt werden. Schließlich gibt es selbst im Land von Johannes Paul II. immer weniger bekennende Gläubige. Dass aber jeder in Polen die zwölf Gerichte kennt, die am Heiligabend auf dem Tisch stehen müssen, darf man schon annehmen. Sie werden auch alljährlich in den Zeitungen wieder aufgetischt.
Zwölf Gerichte! Vom Borschtsch, in den möglichst von eigener Hand geformte winzige Teigtäschchen eingelegt werden, über Pilzsuppe, Piroggen und Fisch bis zum Mohnstrudel. Wer soll das alles zubereiten? Vor allem: Wann? Entweder nimmt man dafür spätestens am 24. Dezember frei oder man muss sich nach 14 Uhr, wenn auch die Geschäfte schließen, ganz schön beeilen.
Die Links-Partei, die Teil der Regierungskoalition unter Ministerpräsident Donald Tusk ist, kam nun mit der originellen Idee: Der Heiligabend soll ein Heiligtag werden – und das Fernbleiben von der Erwerbstätigkeit offiziell verordnet. Die Linke begründete das nicht direkt mit der Zubereitungszeit für die zwölf Heiligabendgerichte, sondern etwas allgemeiner damit, dass es „Familien stärker und glücklicher“ machen werde.
Dagegen kann man eigentlich nichts haben. Auch die Kirche war dem Vorschlag der ihr sehr fernen Linken wohlgesinnt. Selbst für Präsident Andrzej Duda wäre es wohl schwer, dieses Gesetz, das der Sejm vergangene Woche beschlossen hat, abzuweisen. Duda stimmt eigentlich grundsätzlich keinem Gesetz zu, das die Tusk-Regierung ihm vorlegt. Das Verhältnis zueinander ist mit dem Ausdruck spinnefeind zurückhaltend umschrieben.
Doch wie es aussieht, hat die Koalition dem Präsidenten in ihrem Gesetz einen Grund mitgeliefert, es abzulehnen. Ohnehin stieß der Vorschlag nicht auf ungeteiltes Lob. Schnell kam im Sejm, dem polnischen Parlament, die Diskussion auf, ob für den Heiligabend ein anderer Feiertag geopfert werden müsse. Etwa der 1. Mai, der Tag der Arbeit. Oder der 6. Januar. Der Tag der Heiligen Drei Könige ist erst seit 2011 Feiertag in Polen.
Doch der Sejm-Beschluss sieht keine Verschiebung vor, nur einen zusätzlichen Feiertag. Die Nachbarn Litauen, Slowakei und Tschechien haben das längst. Polnische Medien verwiesen zudem darauf, dass fast niemand in Europa so viel arbeitet wie die Polen – durchschnittlich 40,4 Stunden pro Woche. Den zusätzlichen freien Tag hätten sie sich also verdient.
Konsum statt Familie, nicht so gut
Nur entgeht dem Handel damit ein halber Tag, an dem ein paar Spätzünder noch Geschenke besorgen oder die Bestände an Sauerkraut, Roter Bete und Hefe auffüllen. Daher sieht das Gesetz auch vor, die Zahl der verkaufsoffenen Sonntage im Dezember von zwei auf drei zu erhöhen.
Und daran könnte es scheitern. Präsident Andrzej Duda soll die drei verkaufsoffenen Adventssonntage skeptisch sehen: Konsum statt Familie, nicht so gut.
Sind also Sicherheit und Glück der Familien in Gefahr? Eher etwas anderes: Schon 2021 zeigte eine Studie, dass mehr als 60 Prozent der Befragten nicht mehr alle zwölf Gerichte auf den Tisch bringen – sie haben sich einfach selbst mehr Freizeit verordnet.