Polen: Flugzeugunglück:Schüsse nach dem Absturz

Ein rätselhaftes Amateurvideo beschäftigt die polnischen Behörden. Auf dem Film, der kurz nach dem Absturz der Präsidentenmaschine aufgezeichnet wurde, sind Schüsse zu hören.

Thomas Urban, Warschau

Der polnische Militärstaatsanwalt Krzysztof Parulski hat erstmals den Medien über die Auswertung der Flugschreiber der verunglückten Präsidentenmaschine berichtet. Die Daten wurden von russischen und polnischen Experten gemeinsam ausgewertet. Die Piloten hätten Sekunden vor dem Aufprall der Maschine in einem Waldstück noch versucht, durchzustarten, sagte Parulski.

Nach Mitteilung russischer Mitglieder der Untersuchnungskommission, die die Moskauer Zeitung Kommersant zitierte, herrschten am Samstagmorgen nur 200 Meter Sicht im Gebiet des Flughafens. Die Geschwindigkeit des Flugzeuges habe im Landeanflug 180 Meter pro Sekunde betragen.

In der Untersuchungskommission, die Premier Wladimir Putin leitet, sei man sich einig darüber, dass der Pilot schwere Fehler begangen habe. Er hätte die Warnungen der Fluglotsen beachten und auf einem Ausweichflughafen landen sollen.

Nach Parulskis Worten haben sich keine Hinweise darauf ergeben, dass ein militärischer Vorgesetzter der Piloten oder gar Staatspräsident Lech Kaczynski die Landung in Smolensk befohlen haben könnte. Die polnischen Behörden untersuchen auch einen ins Internet gestellten Amateurfilm, der von einem Unbekannten, der vor den Einsatzkräften an der Absturzstelle eintraf, gemacht wurde. Darauf sind brennende Trümmer der Maschine zu sehen, dann sind Schüsse zu hören, eine Stimme ruft auf Russisch: "Verschwindet hier!" Nach Angaben der Experten dürfte es sich bei den Schüssen um die Detonation der Munition gehandelt haben, die die Personenschützer des Präsidenten mit sich führten.

Der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko machte in einer Stellungnahme Kaczynski für den Absturz seines Flugzeugs verantwortlich. Wenn ein Staatschef mit seiner Maschine unterwegs sei, werde er vom Piloten über außergewöhnliche Vorkommnisse informiert.

Die Presseagentur Interfax zitierte Lukaschenko mit den Worten: "Der Präsident hat das letzte Wort, er entscheidet, ob das Flugzeug landen soll, aber die Piloten müssen nicht gehorchen."

Die weißrussische Presse hatte gemeldet, dass die Behörden des Landes darauf eingestellt gewesen seien, die polnische Delegation in der Hauptstadt Minsk zu empfangen und ihre rasche Weiterfahrt zur Gedenkfeier nach Katyn zu ermöglichen. Minsk ist der Katyn am nächsten gelegene internationale Flughafen, er verfügt über Flugleitsysteme für Landungen bei schlechtem Wetter.

Ein Sprecher des polnischen Generalstaatsanwaltes kündigte die Veröffentlichung sämtlicher Aufzeichnungen der Flugschreiber an. Es müsse verhindert werden, dass von Medien Versionen über den Unglückshergang verbreitet würden, die auf keinem Fall der Wirklichkeit entsprächen.

Im Internet kursieren diverse Versionen von einem Anschlag auf Kaczynski. Die Täter sind dabei aber meist nicht auf russischer Seite zu suchen, sondern im Lager Tusks, der innnenpolitischer Gegner Kaczynskis war.

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