Trotz EuGH-Urteil:Die nächsten Schritte der Justizreform sind schon geplant

Justizreform Polen, EuGH

Hunderte Warschauer demonstrierten im August gegen Änderungen am Justizsystem.

(Foto: Czarek Sokolowski/AP)
  • Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs hat die Regierung in Warschau bei ihrer Justizreform gegen EU-Recht verstoßen.
  • Die Entscheidung bedeutet jedoch keinen umfassenden Schutz für Polens Richter.
  • Beim Gerichtshof in Luxemburg sind weitere Klagen anhängig.
  • Am Verfassungsgericht sollen demnächst zwei Richter eingesetzt werden, die durch Hetze und ihre Beteiligung an der Demontage des Justizsystems aufgefallen sind.

Von Florian Hassel, Warschau

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat einer Klage der EU-Kommission gegen Polen stattgegeben und Vorschriften über das Rentenalter für Richter und Staatsanwälte als Bruch von EU-Recht und Gefährdung richterlicher Unabhängigkeit beurteilt. Am 12. Juli 2017 setzte Polen das Rentenalter für Richter und Staatsanwälte an ordentlichen Gerichten sowie für die Richter des Obersten Gerichts von zuvor 67 Jahre auf 65 Jahre für Männer und 60 Jahre für Frauen herab. Polens Regierung wollte so unabhängige ältere Richter des Obersten Gerichts und Gerichtspräsidentin Małgorzata Gersdorf vorzeitig aus ihren Ämtern entfernen.

Zweite Stoßrichtung war die Begünstigung folgsamer Richter und Staatsanwälte an ordentlichen Gerichten und in den Staatsanwaltschaften. Das Gesetz ermöglichte es dem Justizminister (in Polen gleichzeitig Generalstaatsanwalt), Richter und Staatsanwälte auch nach Erreichen des Rentenalters nach Belieben jahrelang weiter im Amt zu lassen oder zu entlassen - ohne Begründung und ohne Möglichkeit der Anfechtung vor einem Gericht.

Zwar wurde das Gesetz bereits Ende 2017 nach einer vorläufigen Eilentscheidung des EuGH von der PiS-Regierung geändert. Mehrere zwangspensionierte Richter am Obersten Gericht, darunter Gerichtspräsidentin Gersdorf, kehrten in ihre Ämter zurück. Doch die EU-Kommission erhielt ihre Klage gegen Polen wegen der grundsätzlichen Bedeutung aufrecht.

Tatsächlich bekräftigte der EuGH jetzt, dass auch ordentliche polnische Gerichte auf Grundlage von EU-Recht urteilen dürfen (was Justizminister Ziobro bestreitet) und es "von grundlegender Bedeutung" sei, "dass ihre Unabhängigkeit gewahrt ist". Vollmachten des Justizministers, Richter nach herabgesetztem Rentenalter willkürlich weiter im Amt zu lassen oder zu entfernen, widersprächen dem "Grundsatz richterlicher Unabsetzbarkeit".

Der Landesjustizrat - vorzeitig aufgelöst

Das Urteil des EuGH bedeutet indes keinen umfassenden Schutz für Polens Richter. Bereits 2017/18 feuerte der Justizminister auf Basis eines anderen, im Spätsommer 2017 in Kraft getretenen Gesetzes Dutzende Präsidenten und Vizepräsidenten ordentlicher Gerichte fristlos und ohne Angabe von Gründen. Bis dahin brauchte der Minister nicht nur einen Grund, sondern auch die Zustimmung des mit der Wahrung der Unabhängigkeit der Richter betrauten Landesjustizrates (KRS), in Polen ein Verfassungsorgan.

Doch auch der KRS wurde vorzeitig aufgelöst und durch ein regierungstreues Gremium ersetzt. Das Verfassungsgericht wird bereits seit 2017 von der Regierung kontrolliert, am Obersten Gericht (SN) wurden eine Disziplinarkammer und eine Sonderkammer geschaffen, die jedes rechtskräftige Urteil der letzten Jahre in Polen nachträglich aufheben kann. Am 19. November urteilt der EuGH zur Frage der Unabhängigkeit der SN-Disziplinarkammer und des KRS.

Und die EU-Kommission verklagte Polen am 10. Oktober zudem wegen neuer Disziplinarregeln, die polnische Richter faktisch jederzeit absetzbar machen. Zudem liegen aus Polen weitere Anträge auf EuGH-Entscheidungen vor.

Polnische Regierung setzt Umbau des Justizsystems fort

Gleichwohl kündigte PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński an, die Regierung werde eine tief greifende "Reform der Gerichte" fortsetzen. Als Erstes wird das Verfassungsgericht noch enger an die Leine genommen. Bereits im Mai enthüllte die Gazeta Wyborcza, dass die Ende 2016 mutmaßlich rechtswidrig ernannte Verfassungsgerichtspräsidentin Julia Przyłębska in ihrer Privatwohnung regelmäßig sowohl Kaczyński wie Ministerpräsident Mateusz Morawiecki empfängt. Unter Przyłebska urteilt das Verfassungsgericht nur noch im Sinne der Regierung.

Unter den 15 Verfassungsrichtern sind noch einige unabhängige, nicht von der PiS ernannte Richter. Drei von ihnen gehen am 3. Dezember in Rente. Jetzt einigte sich die PiS auf ihre Nachfolger: Unter diesen sind Stanisław Piotrowicz und Krystyna Pawłowicz, seit 2015 als Abgeordnete maßgeblich an etlichen Gesetzen zur Demontage des Rechtsstaats beteiligt.

"Was kann man Schlimmeres tun, als diese Leute einzubringen?"

Pawłowicz, eine habilitierte Juristin, fiel im alten Parlament vor allem durch Pöbeln und Angriffe sowohl auf die EU wie auf unabhängige Richter auf. 2014 nannte Pawłowicz die EU-Fahne einen "Lumpen". Als im Mai 2017 der damals noch unabhängige Landesjustizrat KRS und dessen Sprecher, der Richter Waldemar Żurek, Experten der Venedig-Kommission Rechtsbrüche der Regierung erläuterten, beschimpfte ihn Pawłowicz als "Verräter" und forderte für polnische Richter die Einweisung in ein "Umerziehungslager". Auf Twitter hetzt Pawłowicz aktuell etwa gegen "Ökos und Homos" als "Vertreter des Bösen".

Stanisław Piotrowicz war im kommunistischen Polen Staatsanwalt und klagte zur Zeit des Kriegsrechts Dissidenten an. Unter der PiS war er Vorsitzender des Justizausschusses und ab Ende 2015 Mitarchitekt etlicher Gesetze und Beschlüsse zur Abschaffung der Unabhängigkeit des Verfassungsgerichtes und anderer Rechtsstaatsorgane.

"Was kann man Schlimmeres tun, als diese Leute einzubringen?", fragte Ex-Verfassungsgerichtspräsident Andrzej Rzepliński. "Lasst uns dieses krankhafte Tribunal auflösen!" Polens Bürgerrechtskommissar Adam Bodnar, der das letzte noch unabhängige Verfassungsorgan führt, sagte, er könne sich schon heute nicht mehr ans Verfassungsgericht wenden - weil es "politisch untergeordnet" sei.

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