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EU-Kommission:Von der Leyen will gegen Polen "alle Befugnisse nutzen"

Ein Urteil des polnischen Verfassungsgerichts heizt den Streit zwischen der autoritären Regierung und der EU-Kommission an. Donald Tusk, der Oppositionsführer und frühere Ministerpräsident, ruft zu Protesten auf.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will mit allen verfügbaren Mitteln darauf pochen, dass EU-Recht Vorrang vor nationalem Recht in Polen hat - und entsprechend auf einen Spruch der dortigen Verfassungsrichter reagieren. "Ich bin zutiefst besorgt über das gestrige Urteil des polnischen Verfassungsgerichtshofs", teilte die deutsche Politikerin mit. Sie habe die Dienste der Brüsseler Behörde angewiesen, das Urteil gründlich und zügig zu analysieren. Auf dieser Grundlage werde man über nächste Schritte entscheiden.

Von der Leyen betonte, dass nach den EU-Verträgen alle Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) für die Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten bindend seien. "EU-Recht hat Vorrang vor nationalem Recht, einschließlich verfassungsrechtlicher Bestimmungen." Dazu hätten sich alle EU-Staaten als Mitglied der EU verpflichtet. "Wir werden alle Befugnisse nutzen, die wir unter den Verträgen haben, um dies sicherzustellen."

Welche Schritte die Brüsseler Behörde nun einleiten könnte, ließen sowohl von der Leyen als auch ein Sprecher am Freitag offen. Denkbar wäre zum Beispiel die Einleitung eines sogenannten Vertragsverletzungsverfahrens, das mit einer weiteren Klage vor dem EuGH und am Ende mit Finanzsanktionen enden könnte. Das polnische Verfassungsgericht hatte am Donnerstagabend geurteilt, dass Teile des EU-Rechts nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar seien. "Der EU-Vertrag ist im polnischen Rechtssystem der Verfassung untergeordnet, (...) und wie jeder Teil des polnischen Rechtssystems muss er der Verfassung entsprechen", begründete Richter Bartłomiej Sochański die Grundsatzentscheidung. Diese stellt einen Eckpfeiler der europäischen Rechtsgemeinschaft in Frage.

Tusk will "ein europäisches Polen verteidigen"

In Polen will nun der ehemalige EU-Ratspräsident, Ministerpräsident und aktuelle Oppositionsführer Donald Tusk Proteste dagegen organisieren. "Ich rufe alle, die ein europäisches Polen verteidigen wollen, dazu auf, am Sonntag um 18 Uhr auf den Schlossplatz in Warschau zu kommen", schrieb er auf Twitter. "Nur gemeinsam können wir sie stoppen."

Tusk war selbst jahrelang Ministerpräsident in Polen, von 2007 bis 2014. Anschließend ging er als Präsident des Europäischen Rates nach Brüssel. Seine Amtszeit endete 2019, seit dem Sommer ist er kommissarischer Chef von Polens größter Oppositionspartei, der liberalkonservativen Bürgerplattform, Platforma Obywatelska.

Polens nationalkonservative PiS-Regierung baut das Justizwesen seit Jahren um. Kritiker werfen ihr vor, Richter unter Druck zu setzen. Die EU-Kommission hat wegen der Reformen bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Warschau eröffnet und Klagen beim EuGH eingereicht.

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