Süddeutsche Zeitung

Rechtsstaatlichkeit:EU-Kommission beantragt Sanktionen gegen Polen

Brüssel wirft Warschau vor, europäisches Recht nicht vollständig umzusetzen. Dort beklagt man empört einen "Justizkrieg".

Von Florian Hassel, Belgrad, und Matthias Kolb, Brüssel

Die EU-Kommission hat den Europäischen Gerichtshof (EuGH) aufgefordert, Strafzahlungen gegen die rechtspopulistische Regierung in Polen zu verhängen, weil diese Anordnungen und Urteile des EuGH nicht vollständig umsetze. Er müsse die Unabhängigkeit der europäischen Richter sichern, teilte Justizkommissar Didier Reynders mit, da sonst "die gesamte Rechtsordnung der EU" gefährdet sei. "Die Rechte der Bürgerinnen und Bürger der EU müssen in gleicher Weise gewährleistet werden, unabhängig davon, wo sie leben", ergänzte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Damit verschärft sich die Auseinandersetzung um den Umbau des polnischen Justizsystems zwischen Brüssel und Warschau weiter. Die Kommission hat Polen sogar bislang noch keine Fördergelder aus dem Corona-Hilfstopf überwiesen, weil es Zweifel an der Unabhängigkeit der Gerichte gibt. Insgesamt sollte das Land Zuschüsse von fast 24 Milliarden Euro erhalten. Die Luxemburger Richter hatten am 14. Juli eine Eilverfügung erlassen, wonach die polnische Disziplinarkammer sofort ihre Arbeit einstellen müsse. Dieses Gremium existiert seit 2018 und widerspricht nach Ansicht des EuGH europäischem Recht, weil es politische Kontrolle ausübt und Richter unter Druck setzt. Es kann jeden polnischen Richter oder Staatsanwalt suspendieren oder entlassen und hat dies in mehreren umstrittenen Verfahren getan.

Die EU-Kommission hat in ihrem Schreiben keine Summe für die Finanzsanktionen genannt; diese sollen jedoch für jeden Tag verhängt werden, an dem die Anordnung nicht umgesetzt wird. In der Kommission hofft man, dass die Entscheidung des EuGH "in den nächsten Tagen" komme. In einem vergleichbaren Fall hatte der EuGH Polen 2017 ein tägliches Zwangsgeld von mindestens 100 000 Euro angedroht, wenn die Abholzung von geschützten Bäumen im Urwald Białowieża nicht aufhöre. Die Regierung in Warschau hatte bisher zwar angekündigt, die Kammer in ihrer jetzigen Form abzuschaffen - allerdings arbeitet sie bisher weiter. Dem EuGH zufolge widersprechen auch andere umgebaute Justizorgane wegen politischer Kontrolle europäischem Recht.

Regierungsparteien attackieren Kommission

Justizminister-Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro, seit 2015 zentraler Akteur beim Abbau des polnischen Rechtsstaates, sprach von "einem Versuch der Begrenzung unserer Souveränität und einem Anschlag auf die polnische Rechtsordnung" sowie einem "hybriden Justizkrieg gegen Polen". Polen könne "keine Strafen bezahlen, die rechtswidrig verhängt werden". Einem Bericht der Gazeta Wyborcza zufolge habe Ziobros Haus bereits neun weitere Gesetze zur "Justizreform" fertig und warte nur noch auf das grüne Licht durch PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński, Polens faktischen Regierungschef.

EU-Justizkommissar Reynders forderte die polnische Regierung zudem auf, ein weiteres EuGH-Urteil in vollem Umfang umzusetzen. Darin war entschieden worden, dass Polens Disziplinarrecht gegen Richter nicht mit EU-Recht vereinbar ist.

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