Debatte im Europäischen Parlament:"Durch Ihre Rede säen Sie Spalt und Streit in der EU"

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Der Vorsitzende der EVP-Fraktion, Manfred Weber, kritisierte Morawieckis Rede im Europäischen Parlament scharf. (Archivbild) (Foto: Philipp von Ditfurth/dpa)

Manfred Weber, der Chef der konservativen EVP-Fraktion, geht Polens Ministerpräsident Morawiecki hart an. Wer so argumentiere wie die Regierung in Warschau, der verlasse die EU als Rechtsgemeinschaft.

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hat sich an diesem Mittwoch vor den Abgeordneten des Europäischen Parlaments in Straßburg geäußert. Er bezog Stellung im Streit zwischen der EU und Polen über die umstrittene polnische Justizreform. Die EU-Kommission und zahlreiche Mitgliedsstaaten werfen Polens Regierung vor, demokratische Rechte sowie Regeln der Gemeinschaft zu verletzen.

Morawiecki monierte in seiner Rede, dass in der Union mit zweierlei Maß gemessen werde. Es werde unterschieden zwischen den "Ländern der alten und neuen Union". Doch die Spielregeln müssten für alle gleich sein. Als Beleg zitierte er Verfassungsgerichtsentscheidungen aus Deutschland und Frankreich, die belegen sollen, dass die nationalen Verfassungsgerichte Kontrolle darüber haben, wie Unionsrecht angewandt wird.

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Die nationalen Staaten hätten der EU viele Kompetenzen anvertraut, aber nicht alle. Der Europäische Gerichtshof versuche aber mit seinen Entscheidungen, diese Kompetenzen in unzulässiger Weise immer weiter auszuweiten. Das Gericht füge immer neue Kompetenzen hinzu. Das höchste Recht der Polnischen Republik sei und bleibe aber die polnische Verfassung. Wer anderen seine eigene Entscheidung ohne Rechtsgrundlage aufzuzwingen versuche, sei ein Erpresser. "So gehen Demokratien nicht vor", mahnte der polnische Ministerpräsident. Der Vorrang des EU-Rechts dürfe nationales Recht nicht untergraben. "Die Kompetenzen der Europäischen Union haben ihre Grenzen erreicht."

Grüne sprechen von einem Angriff auf die Existenz der EU

Von den Abgeordneten im Europaparlament wurde Morawiecki hart angegangen. "Durch Ihre Rede heute hier säen Sie Spalt und Streit in der Europäischen Union. Sie machen Europa schwächer mit diesem politischen Ansatz. Bitte hören Sie auf damit", sagte der Vorsitzende der EVP-Fraktion, Manfred Weber. Über das Verhalten der polnischen Regierung freue sich vor allem Russlands Präsident Wladimir Putin. "Wer das Primat des Europäischen Gerichtshofs ablehnt, wer die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft ablehnt, wer die Unabhängigkeit der Justiz ablehnt, der tritt faktisch aus der Europäischen Union als Rechtsgemeinschaft aus", betonte der CSU-Politiker.

Die Fraktionschefin der Grünen, Ska Keller, warnte Morawiecki, er führe sein Land auf einen gefährlichen Weg. "Ihre Regierung kehrt dem Rechtsstaat, der Unabhängigkeit der Justiz, Minderheiten und fast allen, die nicht in ihre reaktionäre Ideologie passen, den Rücken." Was die polnische Regierung tue, sei ein Angriff auf die Existenz der EU. Keller forderte die EU-Kommission dazu auf, schnell zu reagieren. Polen habe die ausgestreckte Hand abgewiesen.

Auch der Vorsitzende der Linken-Fraktion, Martin Schirdewan, forderte ein schnelles Handeln: "Die Zeit schöner Worte ist vorbei, handeln Sie", sagte er an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gerichtet. Was Morawiecki als Justizreform bezeichne, sei nichts anderes als "der Versuch, die Unabhängigkeit der Justiz zu untergraben und eine politische Justiz zu etablieren", sagte Schirdewan. Damit würden Rechtsstaat und Demokratie in Frage gestellt.

Unterstützung bekam Morawiecki hingegen von Abgeordneten der rechten EKR-Gruppe sowie der rechtsnationalen ID-Fraktion. Der wahre Grund für die Kritik an Polen sei, dass die Regierung in Warschau Migration nicht akzeptiere und keinen europäischen Föderalismus wolle, sagte etwa Nicolas Bay vom rechtspopulistischen Rassemblement National.

Morawiecki betont, dass sein Land nicht aus der EU austreten will

In Warschau führt derzeit die national-konservative PiS-Partei die Regierung. Ministerpräsident Morawiecki hatte in einem Brief an die EU-Staats- und Regierungschefs moniert, die EU wandele sich schrittweise in ein Gebilde, das keine Allianz mehr von freien, gleichen und souveränen Staaten sei. Stattdessen werde die EU zu einem zentral geführten Organismus, der von Institutionen ohne demokratische Kontrolle geführt werde. Zugleich hatte er versichert, Polen bleibe ein loyales Mitglied der Europäischen Union.

"So gehen Demokratien nicht vor": Polens Premierminister Morawiecki bei seiner Rede in Straßburg. (Foto: Ronald Wittek/AFP)

Wie der Konflikt gelöst werden könnte, ist völlig unklar. Aus Sicht von Ländern wie Luxemburg oder der Niederlande müsste Polen eigentlich aus der EU austreten, wenn es sich nicht vollständig an Gemeinschaftsrecht halten will. Morawiecki hatte zuletzt jedoch betont, dass ein solcher Schritt seines Landes nicht zur Debatte steht. Auch ein Großteil der Bevölkerung in Polen bewertet die EU-Mitgliedschaft positiv.

Die höchsten polnischen Richter hatten unlängst entschieden, dass Teile des EU-Rechts mit der polnischen Verfassung nicht vereinbar seien. Dies gilt als problematisch, da damit Polen eine Möglichkeit eröffnet wird, unliebsame Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zu ignorieren.

Das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts sei "Gegenstand eines großen Missverständnisses" geworden, sagte Morawiecki in seiner Rede. Es gehe bei der Entscheidung der polnischen Richter nur um eine konkrete Entscheidung, nicht um das gesamte europäische Recht. Die Europäische Union werde nicht zerfallen, weil es Unterschiede in den Rechtssystemen gebe.

Von der Leyen zeigt sich "zutiefst besorgt"

Zuvor hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Parlament gesprochen. Ihre Bedenken im Hinblick auf die polnische Justizreform sind grundsätzlicher. Sie sei "zutiefst besorgt", sagte von der Leyen. Die Vorgänge in Polen stellten die "Basis der Europäischen Union in Frage". Das Urteil des polnischen Verfassungsgerichtes unterminiere den Schutz der justiziellen Unabhängigkeit und "ohne unabhängige Gerichte haben die Menschen weniger Schutz," so die EU-Kommissionspräsidentin weiter. Die Pflicht der Kommission sei es, die Rechte der europäischen Bürger zu schützen, egal wo sie lebten. "Wir können und werde nicht zulassen, dass unsere gemeinsamen Werte gefährdet werden," sagte von der Leyen vor den Abgeordneten des Europaparlaments.

Von der Leyen drohte Polen erneut Konsequenzen an. Als konkrete Optionen nannte sie ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren, die Nutzung eines neuen Verfahrens zur Kürzung von EU-Mitteln sowie eine erneute Anwendung des sogenannten Artikel-7-Verfahrens. Letzteres könnte sogar zum Entzug der polnischen Stimmrechte bei EU-Entscheidungen führen. "Ich bedaure zutiefst, dass wir uns in dieser Situation befinden," so von der Leyen weiter. "Wir wollen ein starkes Polen, ein geeinigtes Europa."

Europäisches Parlament droht mit einer Klage gegen die Kommission

Der Streit über die polnische Justizreform war zuletzt immer weiter eskaliert. Derzeit droht das Parlament zudem, die EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen, weil sie eine neue Regelung zur Ahndung von Rechtsstaatsverstößen in EU-Staaten bislang nicht angewendet hat.

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