Rechtsstaatlichkeit:Wie Polen versucht, EU-Milliarden loszueisen

Lesezeit: 2 Min.

Der regierungskritische Richter Igor Tuleya durfte zwei Jahre lang nicht arbeiten, nun wurde seine Suspendierung aufgehoben. (Foto: Omar Marques/Getty Images)

Die Regierung will die umstrittene Justizreform teilweise überarbeiten. Im Gegenzug könnte die Kommission Zuschüsse freigeben. Richterverbänden reichen die Änderungen aber nicht.

Von Björn Finke und Viktoria Großmann, Brüssel/München

Es ging knapp aus für Zbigniew Ziobro, aber knapp ist eben die Mehrheit der Regierungskoalition Vereinte Rechte in Polen. Die Opposition hatte versucht, den Justizminister mit einem Misstrauensantrag loszuwerden, 226 Stimmen konnte sie am Dienstagabend dafür sammeln. Doch 228 stimmten gegen den Antrag, also für Ziobros Verbleib im Amt. Ziobro, der zugleich Gründer und Vorsitzender der Partei Solidarna Polska ist, nervt nicht nur die Opposition, sondern oft auch den mächtigen Koalitionspartner PiS. Er steht deutlich weiter rechts, und wenn es nach ihm ginge, würde sich die Regierung überhaupt nicht um Geld aus Brüssel bemühen, noch nicht einmal zum Schein.

Aber - siehe knappe Mehrheit - die PiS braucht die Solidarna Polska, und so stellte sie sich hinter den Minister.

Ziobro ist zugleich Generalstaatsanwalt und hat damit sehr weitgehende juristische Befugnisse, die auch der EuGH bereits kritisierte. Diese Machtkonzentration ist bezeichnend für das von der Politik beeinflusste und gelenkte Justizsystem Polens, das die EU-Kommission veranlasste, bisher keine Tranchen aus dem Corona-Wiederaufbaufonds freizugeben.

Hier könnte es aber - nach gut sechs Monaten - nun Bewegung geben: Denn schon im Juni hat sich die Regierung mit der EU-Kommission auf den Reform- und Investitionsplan für den Corona-Hilfstopf geeinigt. Die Regeln dafür schreiben vor, dass sich die Regierungen zu bestimmten Reformen verpflichten. Erst wenn Warschau hier Zwischenziele, sogenannte Meilensteine, erreicht, darf die Kommission anfangen Geld zu überweisen.

Es geht um 22,5 Milliarden Euro und billige Darlehen

Im Fall von Polen verlangt das Dokument, die Unabhängigkeit der Justiz wieder zu stärken. Es geht um viel. Aus dem Topf können bis Ende 2026 etwa 22,5 Milliarden Euro an Zuschüssen fließen, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Zudem könnte Polen auf billige Darlehen zugreifen.

Am späten Dienstagabend legten PiS-Abgeordnete nun einen Gesetzentwurf vor, durch den Polen diese Meilensteine erreichen soll. Zum einen soll das sogenannte Maulkorbgesetz entschärft werden. Dieses untersagt es noch rechtmäßig ernannten Richtern, gegen "Neo-Richter" vorzugehen, die nach EU-Rechtsstandards gar nicht im Amt sein dürften. Außerdem sollen Disziplinarverfahren nicht mehr vor einer Berufshaftpflicht-Kammer ausgetragen werden, die nach EU-Standards nicht anerkannt sind. Sondern vor dem Obersten Verwaltungsgericht. Schon an diesem Donnerstag soll der Entwurf in erster Lesung im Sejm, der mächtigeren der beiden Parlamentskammern, behandelt werden.

Die polnischen Richtervereinigungen Iustitia und Wolne sądy (Freie Gerichte) wiesen den Entwurf umgehend als unzureichend zurück. Am Obersten Verwaltungsgericht arbeiteten schließlich ebenfalls zu Unrecht ernannte Richter, heißt es in Stellungnahmen.

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Aus dem Umfeld der EU-Kommission heißt es hingegen, dass dieses Gesetz durchaus ausreichen könnte, Meilensteine aus dem Reformplan zu erreichen. Dann könnten die ersten Zuschüsse fließen. Die Regierung habe den Vorschlag mit der Behörde besprochen, und die Fachleute seien mit dem Entwurf zufrieden. Die große Frage sei allerdings, ob die Regierung den Rechtsakt in der Form wirklich durch das Parlament bekommen werde, sagte ein Brüsseler Insider. Gelingt das, kann Warschau die Auszahlung erster Zuschüsse beantragen - und die Kommission würde prüfen, ob die Meilensteine tatsächlich abgeräumt sind.

Auch jenseits des Gesetzentwurfs gibt es Bewegung: So war schon vor zwei Wochen die Suspendierung des besonders prominenten, regierungskritischen Richters Igor Tuleya aufgehoben worden. Er hatte zwei Jahre lang nicht arbeiten dürfen. Nachdem er sich vehement gegen die Justizreformen der PiS-Regierung gewehrt hatte, war ihm schließlich Kompetenzüberschreitung vorgeworfen worden. Dass er nun wieder seine Richterkette tragen darf, gilt den unabhängigen Richtern zwar als Grund zur Freude, reicht ihnen aber nicht aus. Andere Richter sind ja immer noch suspendiert.

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