Belgrad - Mindestens Zehntausende Polinnen und Polen haben bei einem "Generalstreik" am Mittwoch ihre Arbeit niedergelegt und im ganzen Land gegen die weitere Verschärfung des Abtreibungsrechts protestiert. Bei der größten Kundgebung in Warschau versammelten sich Tausende in der Zielna-Straße 39, Sitz der für ein Abtreibungsverbot fechtenden ultrakonservativen Organisation Ordo Iuris. Einem anschließenden Marsch durch die Innenstadt zum Parlament schlossen sich Tausende weitere Bürger an.
"Es ist unerträglich, dass Fanatiker über uns befinden und Frauen die Möglichkeit nehmen, selbst zu entscheiden, was mit ihnen und ihrem Körper geschieht", sagte die 42 Jahre alte Rettungssanitäterin Bożena. "Die Regierung hat uns den Krieg erklärt", sagte die 21 Jahre alte Verkäuferin Liza, und die gleichaltrige Marketingfachfrau Krystyna ergänzte: "Wir kämpfen weiter, bis die Regierung nachgibt."
Kundgebungen in Dutzenden Städten
Das aber scheint unwahrscheinlich zu sein. Zwar war der Warschauer Protestmarsch nur eine von etlichen Kundgebungen in Dutzenden Städten Polens. Ihr Hauptorganisator, der "Allpolnische Frauenstreik", fordert mittlerweile nicht nur ein Abrücken vom weitreichenden Abtreibungsverbot, sondern auch den Rücktritt der Regierung, der von der PiS Ende 2016 rechtswidrig installierten Verfassungsgerichtspräsidentin Julia Przylębska, und eine Rückkehr zu unabhängigen Gerichten und Staatsanwälten.
Doch die Regierung setzt bisher auf weitere Eskalation. Jarosław Kaczyński, Chef der Regierungspartei PiS und Polens faktischer Regierungschef, verteidigte das Urteil des umstrittenen Verfassungsgerichts. "Ein anderes Urteil konnte es nicht geben", erklärte der PiS-Chef in einer Videobotschaft. Die protestierenden Frauen stempelte Kaczyński als Vertreterinnen von "Nihilismus" ab, die für ihre Proteste und Angriffe auf katholische Kirchen angeblich vorbereitet und geschult worden seien. "Dieser Angriff ist ein Angriff, der Polen zerstören" und die "Geschichte des polnischen Volkes beenden" solle. Kaczyński rief seine Anhänger auf, vor allem katholische Kirchen "um jeden Preis zu verteidigen". Hunderte, ja Tausende Proteste seien in Corona-Zeiten mit einem Versammlungsverbot für mehr als fünf Personen "ernsthafte Verbrechen". Auch Proteste unterstützende Oppositionspolitiker seien "Verbrecher", sagte der Parteichef im Parlament.
Doch der "Allpolnische Frauenstreik" will allein bis Freitag mindestens 150 Protestveranstaltungen quer durch Polen organisieren, mit einer Großkundgebung in Warschau am Freitag. Das Regierungslager aber setzt darauf, "dass sich die Proteste erschöpfen. Es ist Herbst, der Winter kommt, und es wird kalt", zitierte die Zeitung Gazeta Wyborcza einen PiS-Politiker.