Polen:Erschwerte Beziehungsarbeit

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Polens Premier Mateusz Morawiecki mit Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem Kanzleramt in Berlin. (Foto: Michael Kappeler/picture alliance/dpa)

50 Jahren nach Willy Brandts Kniefall in Warschau arbeiten beide Seiten weiter an der Aussöhnung. Unterdessen trübt der Streit um den EU-Rechtsstaatsmechanismus das polnisch-deutsche Verhältnis.

Von Daniel Brössler und Florian Hassel, Berlin/Warschau

Vor dem Kniefall, der als Bild um die Welt gehen sollte, wandte sich Willy Brandt an die Deutschen. "Der Vertrag von Warschau soll einen Schlussstrich setzen unter Leiden und Opfer einer bösen Vergangenheit", sagte der Bundeskanzler in einer Ansprache, die er am 7. Dezember 1970 von der polnischen Hauptstadt aus ans Volk in der Heimat richtete. 50 Jahre danach hat nicht die Sehnsucht nach einem Schlussstrich überdauert, sondern jene Geste, an die seit dieser Woche auch eine Briefmarke erinnert.

Willy Brandts Kniefall von Warschau vor 50 Jahren markiere "einen Meilenstein im innereuropäischen Versöhnungsprozess wie auch in der schwierigen Auseinandersetzung unseres Landes mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit": So begründete das Bundesfinanzministerium die Herausgabe der Sondermarke im Wert von 110 Cent. Brandt, selbst ein Gegner des Nationalsozialismus, habe vor dem Denkmal für die Helden des Aufstands im Warschauer Ghetto 1943 "stellvertretend für seine Landsleute stumm um Vergebung gebeten für die zahllosen Verbrechen, die von Deutschen während des Krieges vor allem in Polen verübt worden waren".

Nur 41 Prozent der Deutschen fanden die Demutsgeste damals angemessen

Bei Weitem nicht alle seiner Landsleute wollten freilich, dass in ihrem Namen um Vergebung gebeten wird. Eine Umfrage des Spiegel ergab damals, dass 48 Prozent der Deutschen Brandts Kniefall für übertrieben hielten. 41 Prozent empfanden ihn als angemessen. Brandts Besuch in Warschau und die Unterzeichnung des Vertrags über die "Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen" waren Teil der damals noch heftig umkämpften und von der CDU abgelehnten Ostpolitik.

Der Vertrag gebe "nichts preis, was nicht längst verspielt worden sei", appellierte Brandt damals an die Deutschen. Sie dürften nicht vergessen, dass dem polnischen Volk nach 1939 "das Schlimmste zugefügt wurde", was es in seiner Geschichte habe durchmachen müssen. "Namen wie Auschwitz werden beide Völker noch lange begleiten und uns daran erinnern, dass die Hölle auf Erden möglich ist: Wir haben sie erlebt", sagte er.

Nicht nur die Deutschen, auch Brandts Gastgeber waren damals unschlüssig, was sie von der Geste halten sollten. Den kommunistischen Machthabern war sie suspekt; erst zwei Jahre zuvor hatten sie bei einer antisemitischen Hetzkampagne 13 000 Juden aus dem Land vertrieben. Anders als in Deutschland werde der Kniefall in Polen nicht so sehr in Verbindung gebracht mit dem späteren Ende der Ost-West-Teilung, sagt der Vorsitzende der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe, Manuel Sarrazin (Grüne). Der Kniefall markiere aber den "Anfang vom Ende des Feindbilds der polnischen Nationalkommunisten vom deutschen Revanchisten" und sei ein "Meilenstein der deutsch-polnischen Aussöhnung".

An dieser Aussöhnung wird immer noch gearbeitet. Erst kürzlich forderte der Bundestag, "an prominenter Stelle in Berlin" einen Ort zu schaffen, welcher "der nationalsozialistischen Besatzung Polens gewidmet ist und ein Ort der Begegnung und Auseinandersetzung mit der Geschichte ist".

Regierungspolitiker werfen Deutschland "Erpressung" vor

In Polen ist der 50. Jahrestag freilich kaum ein Thema. In einer Zeit, in der sich die nationalpopulistische PiS-Regierung dagegen wehrt, angesichts ihrer Demontage des Rechtsstaats künftig weniger Milliarden von europäischen und damit auch deutschen Steuerzahlern zu bekommen, passt die Erinnerung an Brandts Demutsgeste schlecht zu dem Bild eines deutschen Gegners, das die PiS seit Jahren immer wieder neu belebt. Am Samstagmorgen wird auf polnischer Seite der Leiter des Präsidialamtes, Krzysztof Szczerski, Kränze niederlegen. Wenige Tage zuvor bezichtigte Szczerski Deutschland noch einer "Mischung aus Erpressung, Lobbyismus und medialem Druck", die den Widerstand Polens und Ungarns gegen den Rechtsstaatsmechanismus brechen sollte.

Andere Regierungspolitiker drücken sich noch drastischer aus. Justizminister-Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro, eine Hauptfigur sowohl bei der Demontage des Rechtsstaates wie jetzt bei der Veto-Drohung zum EU-Haushalt, nannte den von 25 EU-Ländern unterstützten Rechtsstaatsmechanismus eine "Vergewaltigung europäischer Rechtlichkeit" durch die EU-Kommission, "geführt von der deutschen Politikerin Ursula von der Leyen, zusammen mit der Präsidentschaft des deutschen Staates". Deutschland gehe es nicht um Rechtsstaatlichkeit, sondern um die "politische, kulturelle und letztlich auch wirtschaftliche Kolonialisierung" Polens und Ungarns.

Abseits der diplomatischen Kontroversen blüht zumindest der Handel

Die Losung der angeblich drohenden Kolonialisierung und des deshalb notwendigen Vetos gab Mitte Oktober PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński aus. Auch das PiS-kontrollierte Staatsfernsehen TVP rührt die Propagandatrommel gegen eine angebliche Erpressung durch Deutschland. Wenn Polen dieser nachgebe, ordne es sich einer "linksradikalen Politik" unter, in der der Mord von Ungeborenen, die Rechte von Schwulen und Lesben oder Kinderhandel an der Tagesordnung seien, warnten die Abendnachrichten Wiadomości. "Keinerlei Kompromisse mit den Deutschen!", twitterte Krystyna Pawłowicz, eine führende Propagandistin der Partei.

Derlei Propaganda zeigt vor allem bei PiS-Wählern Folgen: Zwischen 2008 und 2018 war der Sympathiewert für Deutschland in Polen von nur 30 auf 56 Prozent gestiegen - im Sommer 2020 sahen nur noch 42 Prozent der Polen Deutschland positiv. Gleichzeitig aber sind zwei Drittel der Polen für die Bindung von EU-Milliarden an Rechtsstaatlichkeit in ihrer Heimat.

Abseits offizieller Warschauer Polemik blüht immerhin der deutsch-polnische Handel. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und Bundeskanzlerin Angela Merkel feierten am 17. November bei einem Onlineseminar der Außenhandelskammer Polen (AHK) die "vielfältige Verbundenheit unserer Länder" (Merkel) in der Wirtschaft: Nach Holland und Frankreich ist Polen noch vor Italien Deutschlands wichtigster europäischer Handelspartner.

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