Süddeutsche Zeitung

Polen:Ein Skandal nach dem anderen

Neue Enthüllungen legen nahe, dass ein dubioser Geschäftsmann der PiS mit illegalen Aktionen zur Macht im Land verhalf.

Von Florian Hassel, Warschau

Es waren brisante Gesprächsmitschnitte, die die Warschauer Magazine Wprost und Do Rzeczy von Juni 2014 an veröffentlichten. Beim Essen in zwei Prominentenrestaurants hatten Minister und andere Regierungsvertreter teils anrüchige Absprachen getroffen oder sich despektierlich über ihre Wähler geäußert. Doch ihre Gespräche wurden illegal abgehört, aufgezeichnet und an die Presse gegeben. Die Veröffentlichungen trugen dazu bei, dass die von der Bürgerplattform (PO) geführte Regierung 2015 abgewählt und durch die nationalpopulistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ersetzt wurde.

Vor ihrem Abgang kam die PO-Regierung noch dem Abhör-Organisator auf die Spur: Es war der Geschäftsmann Marek Falenta. Seine Hintermänner aber blieben unbekannt. Ende 2016 wurde Falenta zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Nach erfolgloser Berufung sollte er am 1. Februar 2019 die Haft antreten. Falenta floh nach Spanien - und schrieb an Jarosław Kaczyński, PiS-Parteichef und Polens faktisch starken Mann, sowie an den von der PiS gestellten Präsidenten Andrzej Duda. Den Briefen zufolge, die jetzt Rzeczpospolita und Gazeta Wyborcza veröffentlichten, hat die damals in der Opposition stehende PiS die illegale Abhöraktion seinerzeit maßgeblich mitorganisiert.

Als Marek Falenta 2013 die ersten Gespräche von Regierungspolitikern abgehört hatte, kontaktierte er, so seine Darstellung, den damaligen PiS-Schatzmeister. Der soll ihn an die PiS-Parteizentrale weitergereicht haben. Dort will Falenta die abgehörten Gespräche sowohl hochrangigen PiS-Funktionären wie auch mit der Partei verbundenen Geheimdienstlern vorgespielt haben. Er sei zum Weitermachen ermuntert worden, so Falenta, und habe so der PiS mit zum Sieg verholfen.

Als Kaczyński und Duda nicht auf Falentas Briefe reagierten, schrieb dieser, aus der Auslieferungshaft in Spanien, erneut an Duda: Zwölf PiS-Funktionäre seien beteiligt gewesen, darunter der heutige Geheimdienstminister Mariusz Kamiński und Kaczyński selbst. Werde er, Falenta, nicht begnadigt, packe er aus. "Ich bin nicht bereit, in Einsamkeit zu sterben. Ich veröffentliche die Auftraggeber und alle Einzelheiten." Und er gebe weitere Mitschnitte an die Presse - diesmal von Gesprächen hoher PiS-Funktionäre einschließlich Kaczyńskis. Am 7. Juni wurde Falenta an Polen ausgeliefert, er sitzt nun in Einzelhaft in einem Warschauer Gefängnis.

An gründlichen Nachprüfungen seiner Angaben haben weder die Behörden noch das Parlament Interesse, das die PiS mit absoluter Mehrheit kontrolliert. PiS-Sprecherin Anita Czerwińska twitterte, es gebe "keinerlei Grundlagen", um sich mit dem "kuriosen Inhalt" des Briefes an Kaczyński zu beschäftigen. Polens Polizei, Geheimdienste und Staatsanwaltschaft werden von damals angeblich Beteiligten und von Justizminister-Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro kontrolliert.

Die Abhöraffäre ist nur der letzte Skandal um die PiS-Regierung und ihr nahestehende Institutionen: Von Korruption bei der Finanzaufsicht über anrüchige Gehälter bei der Nationalbank zu fragwürdigen Immobilienverhandlungen von Parteichef Kaczyński bis zu Missbrauchsskandalen in der eng mit der PiS verbundenen katholischen Kirche - seit Herbst 2018 kam ein Skandal nach dem anderen ans Licht. Geschadet hat dies der Regierung nicht: Bei der Europawahl am 26. Mai fuhr die PiS mit 45,38 Prozent der Stimmen das beste Wahlergebnis einer polnischen Partei seit Ende des Kommunismus ein.

Fort Trump

Die USA wollen 1000 Soldaten nach Polen verlegen. Präsident Donald Trump versprach am Mittwoch in Washington seinem polnischen Kollegen Andrzej Duda die Truppen als Schutz vor Russland. Zuvor hatte Trump erklärt, die Soldaten könnten aus Deutschland abgezogen werden. Duda sagte, er erwäge, den neuen US-Stützpunkt "Fort Trump" zu nennen. Er fügte hinzu, Russland zeige sein "unfreundliches, unfriedliches, imperiales Gesicht". Trump sagte dagegen: "Ich hoffe, dass Polen gute Beziehungen mit Russland haben wird. Ich hoffe, dass wir großartige Beziehungen mit Russland haben werden." Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg begrüßte Trumps Ankündigung, die zur Abschreckung und Verteidigung beitragen werde. REUTERS

Viele Polen, die vor allem auf dem Land ihre Nachrichten oft dem PiS-kontrollierten Propagandasender TVP entnehmen, halten die Skandale für erfunden oder nebensächlich. Sie interessieren sich mehr für umfangreiche Wahlgeschenke: von einer Ausweitung des Kindergelds bis zu Sonderzahlungen für Rentner. Und so lag die PiS bei der Europawahl sieben Prozent vor dem auf 38,4 Prozent kommenden Oppositionsbündnis Europäische Koalition (EK). In der EK sind unter Führung der Bürgerplattform (PO) fünf Parteien vertreten. Die erst im Januar gegründete linke Partei Wiosna ("Frühling") blieb mit sechs Prozent weit unter den Erwartungen.

Bis zur wahrscheinlich Mitte September folgenden Parlamentswahl bleibt der Opposition wenig Zeit, um organisatorische Mängel zu beheben. Einen schlagkräftigen Wahlkampfstab muss sie aufbauen, zugkräftige Kandidaten aufstellen, auch junge Polen ansprechen und vor allem: ein Programm mit Gegenvorschlägen zu den populistischen, aber wirksamen PiS-Versprechen präsentieren.

Die Opposition hat wenig Chancen auf eine Sitzmehrheit im Parlament

Daran aber mangelt es. Bisher steht nicht einmal fest, ob die Opposition vereint oder getrennt antritt. Sowohl die linke Partei SLD wie die Bauernpartei PSL entscheiden erst Ende Juni, ob sie weiter als Teil des Bündnisses EK oder alleine antreten. Dabei begünstigt das Wahlrecht große Parteien und Bündnisse. Scheitern kleine Parteien an der Fünf-Prozent-Hürde, verfallen die für sie abgegebenen Stimmen.

Nur weil bei der Parlamentswahl 2015 mehrere Parteien oder Kleinbündnisse den Einzug ins Parlament knapp verfehlten und damit 17 Prozent der Stimmen unter den Tisch fielen, bekam die PiS in beiden Parlamentskammern die absolute Mehrheit, die ihr seitdem uneingeschränktes Regieren ermöglicht. Analysten zufolge hat die Opposition nur gemeinsam eine rechnerische Chance auf eine Sitzmehrheit im nächsten Parlament. Gewinnt erneut die PiS, fürchtet die Opposition ein autoritäres Regime nach ungarischem Vorbild.

Doch die Opposition hat noch Chancen. Bei Lokalwahlen im Herbst 2018 bekam ein Bündnis parteiloser Lokalmatadoren rund zehn Prozent der Stimmen. Jetzt will dieses gegen die PiS auftretende Bündnis, in dem populäre aktive oder ehemalige Oberbürgermeister polnischer Städte vertreten sind, auch bei der Parlamentswahl antreten.

Für echten Wahlkampf bleibt wenig Zeit - Juli und August sind in Polen Ferienmonate. PiS-Chef Kaczyński soll in seiner Partei gleichwohl ein komplettes Urlaubsverbot verhängt haben.

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SZ vom 14.06.2019
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