Polen:"Ein paar Banditen"

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Zum 100. Jubiläum der polnischen Eigenständigkeit marschieren in Warschau Tausende Rechtsradikale. Die Regierung spielt die Zwischenfälle herunter.

Von Florian Hassel, Warschau

Es war eigentlich eine klare Ansage von Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, wie das Jubiläum von hundert Jahren polnischer Unabhängigkeit gefeiert werden sollte: Anstelle eines ursprünglich von Nationalisten organisierten Marsches durch Warschau werde es nur einen "Staatsmarsch" geben. Polizei und Geheimdienst sollten gegen rassistische Bannerträger und Parolen vorgehen.

Die Wirklichkeit sah anders aus. Statt einem gab es am Sonntag zwei Märsche, mit insgesamt bis zu 200 000 Teilnehmern: Der erste, kleinere wurde von Polens Präsident Andrzej Duda, Ministerpräsident Morawiecki und Pis-Parteichef Jarosław Kaczyński angeführt - eine würdevolle Kundgebung unter weiß-roten Fahnen. Doch der zweite Marsch, vom ersten durch wenige Hundert Meter und einige Militärpolizisten getrennt, hatte einen anderen Charakter: Zwar marschierten auch hier vor allem friedliche, patriotische Polen, die feierten, nicht mehr - wie so oft in der polnischen Geschichte - von Deutschen, Russen oder Österreichern abhängig zu sein.

Doch neben Sprechchören wie "Gott, Ehre, Vaterland" skandierten Tausende Teilnehmer des zweiten Marsches auch Parolen wie: "An den Bäumen werden statt der Blätter die Kommunisten hängen!" oder "Unser Weg ist der Nationalismus!". Manche brüllten auch die Namen von Städten, die früher zu Polen, heute aber zur Ukraine und Litauen gehören: "Lemberg und Wilna sind auf immer polnisch". Anhänger des rechtsradikalen "National-Radikalen Lagers" (ONR) trugen ihre grünen, an ein Hakenkreuz erinnernden Falanga-Flaggen, begleitet wurden sie von "Freunden" der neofaschistischen Forza Nuova aus Italien.

Später verbrannten die Rechtsradikalen eine EU-Flagge, angefeuert von Sprechchören "Weg mit der EU!". Wie im Vorjahr traten Nationalisten und Rechtsradikale mit eigenem Ordnungsdienst auf, tauchten die Stadt mit Rauchfeuerwerk in roten Nebel und zogen zum Warschauer Fußballstadion, zur Endkundgebung mit nationalistischen Reden - ungehindert von den staatlichen Ordnungskräften.

"Würdevoll" sollte der Marsch durch Polens Hauptstadt werden. Das war zumindest der Plan

Die noch deutlich größer als ein Jahr zuvor ausgefallene Darstellung eines antidemokratischen und revanchistischen Nationalismus fand quasi unter Schirmherrschaft der Regierung statt. Michał Dworczyk, Kanzleichef von Ministerpräsident Morawiecki, hatte mit den Organisatoren des nationalistischen Marsches offiziell in der Staatskanzlei verhandelt und verkündet, Regierung und Organisatoren seien "übereingekommen, den Tag der Unabhängigkeit würdevoll zu feiern. Polen hat gewonnen. Am 11. November findet ein großer, gemeinsamer Marsch statt".

Der Historiker und ehemalige Präsidentenberater Tomasz Nałęcz war entsetzt. "Die Staatsmacht kann nicht mit einer extremistischen Gruppe verhandeln und mit ihr gemeinsame Sache machen. Genauso gut kann sich der Präsident im Wald mit dem Wolf treffen und dann verkünden, dass der Wolf von heute an nur noch Gras fressen wird", sagte Nałęcz im Radiosender Zet. Der Historiker ergänzte, die Allpolnische Jugend und die ONR seien Nachfolger ultranationalistischer Organisationen der 1930er-Jahre, die Staatsgründer Józef Piłsudski bewusst verboten habe. Die sonst regierungsnahe Zeitung Rzeczpospolita kritisierte, Regierungschef Morawiecki habe noch am Freitag versichert, Polen wolle aktives EU-Mitglied sein, doch zwei Tage später hätten mit ONR und Allpolnischer Jugend zwei Organisationen am Staatsmarsch teilgenommen, die offen für Polens Austritt aus der EU aufträten.

Die Allpolnische Jugend, die ONR und weitere rechtsradikale Gruppen hatten schon vor Beginn des Marsches verkündet, sie dächten gar nicht daran, sich dem Staatsmarsch zu unterstellen und auf ihre Botschaften zu verzichten. So kam es dann auch. Kanzleichef Dworczyk sagte später: "Ein paar Banditen" und "ein paar Zwischenfälle" könnten das friedliche Feiern Hunderttausender Polen nicht beflecken.

Dem Sprecher von Polens Geheimdienstkoordinator zufolge hat der Inlandsgeheimdienst ABW vor der Demonstration die Namen von 400 ausländischen Rechtsradikalen, die ebenfalls nach Warschau kommen wollten, an Polens Grenzer weitergegeben - etliche seien an der Einreise gehindert worden. ABW und Polizei hätten geplante Neonazi-Konzerte ebenso verhindert wie rechtsradikale Konferenzen zu fremdenfeindlichen Themen. Weder Geheimdienstkoordinator noch Polizei oder Regierung beantworteten indes die Frage, warum die Sicherheitskräfte während des Marsches etwa keine radikalen Transparenten beschlagnahmt hätten. "Der Marsch ist von den Streitkräften, Diensten und Polizei fantastisch organisiert worden", beharrte Kanzleichef Dworczyk.

© SZ vom 13.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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