Polen:Ein Dutzend Schutzmasken

Coronavirus - Polen

Gesundheitsminister Łukasz Szumowski, selbst Professor für Herzmedizin, hat die Gefahr möglicherweise unterschätzt.

(Foto: Marcin Obara/dpa)

Das unterfinanzierte Gesundheitssystem des Landes ist für Corona kaum gewappnet. Es fehlen Ärzte, Pflegekräfte, Ausrüstung - und eigentlich auch Krankenhäuser.

Von Florian Hassel, Warschau

Ärzte und Krankenschwestern des Krankenhauses im westpolnischen Zielona Góra bekamen in dieser Woche vorzeitigen Frühlingsbesuch: Der örtliche Blumengroßhändler brachte 3500 frische Tulpen vorbei, um Personal und Patienten im Kampf gegen das Coronavirus moralisch zu unterstützen. Polens Gesundheitsdiener könne derlei Aufmunterung schon ohne Coronakrise gut gebrauchen: Tausende Ärzte und Krankenschwestern sind angesichts schlechter Bezahlung und jahrelanger Unterfinanzierung des Gesundheitswesens nach Deutschland oder England gegangen. Manche Krankenhäuser mussten schließen, viele Häuser sind unterbesetzt, überaltert, schlecht ausgerüstet.

Der Arzt Wojciech Szendzikowski sagte der Zeitung Gazeta Wyborcza, selbst im Barlicki-Universitätskrankenhaus von Łodz gebe es gerade je ein paar Dutzend Schutzmasken und -kleidung. Vielerorts fehle Personal, in einem Nachbarhaus seien die jüngsten Ärzte 65 Jahre alt: "Die Epidemie trift in Polen auf ein Gesundheitssystem, das in Ruinen liegt."

"So unvorbereitet, dass der Kopf schmerzt", sagte eine Schwester. Und fliegt quasi aus der Partei

Und wie andere Länder reagiert Polen spät auf die Gefahr. Noch am 4. März sagte Gesundheitsminister Łukasz Szumowski, selbst Professor für Herzmedizin: "Ich würde nicht sagen, dass es (das Coronavirus) so gefährlich ist." Sechs Tage später tagte der Nationale Sicherheitsrat, wurden die Schulen geschlossen, dann die Grenzen und viele Geschäfte. Szumowski ließ quer durch Polen eilends 19 Krankenhäuser nur für Corona-Patienten herrichten. Die Realität war dort offenbar teils bescheiden.

Bernadeta Krynicka, Abteilungsleiterin im Wojewodschafts-Krankenhaus von Łomza im Nordosten Polens, berichtete am 16. März: "Das Personal ist ungeschult. Es gibt keine Schutzkleidung, keine Beatmungsgeräte, Pumpen, Sterilisationsgeräte in solchen Mengen, wie sie nötig wären." Ihr Fazit: "Wir sind so unvorbereitet, dass der Kopf schmerzt." Krynicka ist nicht nur Krankenschwester, sondern saß für die Regierungspartei PiS bis 2019 auch vier Jahre im polnischen Parlament. Als Reaktion auf diese ungeschminkte Schilderung befahl Parteichef Jarosław Kaczyński, ihre Parteimitgliedschaft zu suspendieren.

Minister Szumowski zufolge hat Polen mittlerweile 10 000 Notfallbetten hergerichtet, mit 1000 Beatmungsmaschinen. Jedes Krankenhaus soll je 1000 Schutzmasken und Schutzanzüge erhalten haben. Offiziell gab es am Freitagnachmittag erst 378 Infizierte und sechs Tote. Doch die Zahlen sind widersprüchlich: Tags zuvor meldete das Gesundheitsministerium wegen des Coronavirus bereits 871 Krankenhauspatienten. Rund 28 500 Polen sind wegen nachgewiesenen Kontaktes mit Infizierten in Quarantäne. Weitere 48 000 aus dem Ausland heimgekehrte Polen sind in zweiwöchiger Wohnungsquarantäne. Hilfe und Informationen suchen sie oft vergeblich: Infolinien sind überlastet.

Mediziner fürchten, dass offizielle Zahlen nur die Spitze des Eisberges zeigen: Von seinen 38 Millionen Bürgern hat Polen bisher nur 13 000 auf das Virus getestet. Universitätsarzt Szendzikowski fürchtet, dass getroffene strenge Maßnahmen "zwei bis drei Wochen" zu spät kommen. Hunderte, möglicherweise Tausende aus dem Ausland heimkehrende Polen dürften das Virus weitergegeben haben, bevor Quarantänemaßnahmen in Kraft traten.

So kämpft im westpolnischen Posen ein gut 60 Jahre alter Gynäkologe um sein Leben, der am 7. März aus Österreich zurückkam. Bis der Arzt am 12. März krank wurde, hatte er mit mindestens 141 Menschen Kontakt: mit seiner Familie, Bekannten, und Dutzenden Kollegen und Patienten des Gesundheitszentrums, in dem der Arzt arbeitete. Und in der Kleinstadt Nowe Miasto nad Pilicą südlich von Warschau weiß das Krankenhaus kaum noch weiter, nachdem sich in nur vier Tagen zwölf Mitarbeiter infizierten und 34 weitere Mitarbeiter auf ihre Testergebnisse warten. Warschau schickte fünf Ärzte zur Notversorgung, darunter Ex-Senatspräsident Stanisław Karczewski.

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