Süddeutsche Zeitung

Polen:Die Welt als russische Verschwörung

Polens Verteidigungsminister gibt sich als Kämpfer gegen Machenschaften Moskaus. Und steht zweifelhaften Leuten nahe.

Von Florian Hassel, Warschau

Geht es darum, Polen vor echten oder angeblichen Machenschaften Moskaus zu bewahren, kämpft Verteidigungsminister Antoni Macierewicz stets an vorderster Front. So strickt der 69-Jährige seit Jahren am Mythos von Smolensk: Demnach war der Absturz des polnischen Präsidentenflugzeugs im April 2010 im russischen Smolensk - bei dem Polens damaliger Präsident Lech Kaczyński starb, ein russischer Terroranschlag mittels einer angeblichen "Thermobombe". Unabhängige Ermittler haben längst festgestellt, dass mangelnde Technik und Pilotenfehler das Unglück verursacht haben. Doch Macierewicz hält fest an der russischen Verschwörung und der "Thermobombe". Überhaupt müsse der Westen "Russland als die größte Bedrohung für den Frieden in Europa und in der Welt behandeln", warnte im Juli 2016 der glühende Nationalist Macierewicz. Er ist einer der mächtigesten Männer Polens und eng verbunden mit konservativen Kreisen der katholischen Kirche.

Berühmt-berüchtigt ist Macierewicz' Kampf gegen echte oder eingebildete Geheimdienstler aus kommunistischer Zeit. Nach seiner Darstellung arbeiten sie angeblich - und oft von Moskau gesteuert - weiter an der Unterwanderung Polens. Schon 1992 machte Macierewicz als Innenminister Schlagzeilen. Da legte er dem Parlament in Warschau eine Liste Dutzender angeblicher Spitzel vor. Später stellte sich heraus, dass die Liste teils von Geheimdienstlern selbst manipuliert worden war. Als die nationalpopulistische Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis) von Jarosław Kaczyński Polen von 2005 bis 2007 erstmals regierte, löste Macierewicz als Vize-Verteidigungsminister den von moskautreuen Agenten durchsetzten Militärgeheimdienst WSI auf.

Doch als der Journalist und Autor Tomasz Piątek Kontakte und Umgebung des Verteidigungsministers untersuchte, sich durch Archive, Firmenregister und Gerichtsakten wühlte, war er überrascht. Er stieß zum Beispiel auf Robert Jerzy Luśnia, Geschäftsmann und früher Mitglied des Parlaments. Luśnia war, wie Polens Oberstes Gericht bestätigt hat, viele Jahre Spitzel des kommunistischen Geheimdienstes SB - gleichwohl war er jahrelang Führungsmitglied einer von Antoni Macierewicz gegründeten Bewegung. Luśnia leitete mit ihm auch lange die Firmenstiftung Głos. "Dabei war Luśnia genau die Art Mann, gegen die Macierewicz angeblich Jahrzehnte gekämpft hat", sagt Piątek.

Und dieser Ex-Spitzel ist nicht der einzige Kontakt, der fragwürdig ist für den Verteidigungsminister eines Nato-Lands und Politikers, der öffentlich gegen russischen Einfluss und Moskauer Agentennetze auftritt. Da ist auch Macierewicz' langjähriger Parteifreund Konrad Rękas. Heute ist er in Polen Vize-Vorsitzender der prorussischen Partei Zmiana. 2014 war Rękas auf der von Russland völkerrechtswidrig besetzten Krim "Wahlbeobachter" beim international nicht anerkannten "Referendum" über den Anschluss der Krim an Russland.

Dann gibt es Jacek Kotas, lange Führungsmitglied einer Firmengruppe mit engen Russland-Kontakten. Dennoch war er 2007 Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Oder Oberst Krzysztof Gaj: Der damalige Mitarbeiter des russlandnahen Nationalen Zentrums für strategische Studien (NCSS) verteidigte Russlands Invasion der Ukraine 2014 als Kampf Putins gegen ukrainische "Faschisten". Trotzdem betraute Verteidigungsminister Macierewicz Oberst Gaj Ende 2015 mit dem Aufbau einer Territorialarmee - einer neben der eigentlichen Armee existierenden, bis zu 50 000 Mann starken Bürgerwehr. Es gibt noch mehr Russland zugetane Männer in Macierewicz' Umgebung, die FAZ berichtete, auch sein Stellvertreter als Verteidigungsminister, Bartosz Kownacki, habe 2012 als prorussischer Wahlbeobachter Putins Wahl zum Präsidenten verfolgt.

Nato-Verbündete sorgen sich schon seit Langem über Polens eigenwilligen Verteidigungsminister. Dem Magazin Polityka zufolge stellte der britische Auslandsgeheimdienst MI6 "massenhafte Versuche von Infiltration durch russische Geheimdienste" im polnischen Militär fest, und zwar als Folge eines von Macierewicz befohlenen personellen Kahlschlags. Danach wollen Moskaus Geheimdienste "möglichst viele ihrer Leute in der polnischen Verwaltung unterbringen". Bei der Nato werde Polen teils schon auf Abstand gehalten, berichtete dem Blatt ein polnischer Aufklärer.

Er bringt das ganz große Kaliber in Stellung gegen den Enthüllungsjournalisten

Der Journalist Piątek begann Ende 2016, seine Erkennnisse zu veröffentlichen über die Kontakte der Macierewicz-Umgebung zu russischen Ex-Spionen oder angeblich mit der russischen Mafia oder dem russischen Militärgeheimdienst GRU verbundenen Geschäftsleuten. Die Berichte erschienen in Polens führender Tageszeitung Gazeta Wyborcza. Ende Juni nun legte Piątek das Buch "Macierewicz und seine Geheimnisse" vor. Gegen rufschädigende oder falsche Medienbehauptungen können Betroffene auch in Polen vor zivile Gerichte ziehen. "Doch Minister Macierewicz hat nach keinem der bei uns erschienenen Artikel Piąteks wegen Rufschädigung oder falscher Behauptungen geklagt", sagt Piotr Stasinski, stellvertretender Chefredakteur der Gazeta Wyborcza. Und Piątek sagt: "Macierewicz wagt nicht, mich der Lüge zu bezichtigen, weil ich jede Behauptung dokumentarisch belegen kann."

Stattdessen brachte der Verteidigungsminister ein größeres Kaliber in Stellung: Er forderte den von ihm selbst nominierten Vize-Generalstaatsanwalt für Militärfragen auf, Piątek anzuklagen - wegen "Gewalt oder illegaler Drohungen" und "öffentlicher Beleidigungen" einer "verfassungsmäßigen Autorität der Republik Polen". Darauf stehen bis zu drei Jahre Haft. Das Verteidigungsministerium antwortete nicht auf die Anfrage der SZ, welche Behauptungen Piąteks Verbrechen seien und als Grundlage einer Anklage dienen sollen.

Piotr Stasinski von der Gazeta Wyborcza meint, Macierewicz wolle mit seinem beispiellosen Vorgehen "ein Exempel statuieren und jeden einschüchtern, der wagt, sich mit den merkwürdigen Kontakten des Ministers oder anderen brisanten Themen zu beschäftigen". Der Medienbeauftragte der OSZE ist besorgt; Amnesty International rief dazu auf, an Polens Generalstaatsanwalt zu appellieren, die Ermittlungen gegen den Journalisten einzustellen.

"Ein Gutes hat der Wirbel: Wir haben die Polen wieder zum Lesen gebracht", scherzt der Autor Tomasz Piątek. Nach nur zwei Monaten in den Buchläden meldet sein Verlag bereits 151 000 verkaufte Exemplare.

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Quelle:
SZ vom 04.09.2017
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