Süddeutsche Zeitung

Polen:Ausnahmezustand im Grenzgebiet

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Warschau ergreift die Maßnahme wegen der Flüchtlinge, die über Belarus einreisen wollen. Die Sicherheit der Bürger sei bedroht, argumentiert die Regierung.

Von Florian Hassel, Warschau

Polen ruft im Grenzgebiet zu Belarus den Ausnahmezustand aus. Die Regierung beantragte am Dienstag bei Präsident Andrzej Duda, mit seiner Unterschrift unter eine entsprechende Verfügung für zunächst 30 Tage den Ausnahmezustand in 183 Grenzorten im Nordosten und Osten Polens auszurufen. Dudas Unterschrift gilt als Formsache. Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko lässt seit Monaten Flüchtlinge aus dem Irak, Afghanistan und anderen Ländern nach Minsk fliegen und an die bisher meist unbefestigten Grenzen zu Litauen oder Polen bringen.

Polens Grenzschutz will allein im September 3200 Versuche registriert haben, die Grenze illegal zu überqueren. Der Grenzschutz schiebt Flüchtlinge Menschenrechtlern zufolge meist wieder über die Grenze ab, ohne dass diese in Polen einen Asylantrag stellen können. Diese "Push-Backs" widersprechen Polens Bürgerrechtskommissar zufolge sowohl internationalem Recht als auch Polens Verfassung.

Die Regierung begründete den Antrag auf Verhängung des Ausnahmezustands mit angeblicher "Bedrohung der Sicherheit der Staatsbürger und der öffentlichen Ordnung". Sie plant unter anderem, in den 183 betroffenen Grenzorten in einem Streifen von drei Kilometern bis zur Grenze die Versammlungsfreiheit aufzuheben. "Es wird nicht möglich sein, in dieser Grenzzone irgendwelche Happenings oder Demonstrationen zu organisieren", so Innenminister Mariusz Kamiński. Weitere Erlasse seien vorbereitet.

Aktivisten halten alles für einen Vorwand, um das Grenzgebiet sperren zu können

Die Regierung sagte nicht, wie konkret an der Grenze die Sicherheit bedroht sei. Bisher sind keinerlei gewaltsame Zwischenfälle bekannt. Aktivisten zufolge soll der Ausnahmezustand tatsächlich nur dazu dienen, den Zugang zum Grenzgebiet zu sperren - etwa ins Dorf Usnarz Górny. Dort werden seit knapp drei Wochen 32 afghanische Flüchtlinge von Grenzschützern, Polizisten und Soldaten gehindert, die Grenze zu überschreiten und einen Asylantrag zu stellen. Grenzschützer und Soldaten verhindern, dass Menschenrechtler, Priester oder Ärzte den Afghanen Nahrung bringen oder sie medizinisch versorgen: Dies ist seit über einer Woche Thema auch internationaler Medien. "Die Regierung wird die Liquidierung der Lager von Aktivisten in Usnarz Górny erreichen wollen", sagte der Jurist Witold Klaus der Zeitung Gazeta Wyborcza. Eine weitere Frage sei, ob im Ausnahmezustand noch der Zugang zu anderen Grenzorten gestattet werde, in denen die Grenzeinheiten Push-Backs durchführten.

Einer Eilverfügung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 25. August zufolge hat Polen das Recht, den illegalen Zugang über seine Grenze zu verhindern, ist aber verpflichtet, die festgehaltenen Afghanen zu verpflegen, sie medizinisch zu versorgen und ein Dach über dem Kopf zu bieten. Polen verweigert dies. Die Regierung könne "keinerlei Präzedenzfälle schaffen", sagte Innenminister Kamiński. Würden die Afghanen nach Polen gelassen, "dann haben wir an unserer Grenze nicht ein, sondern viele solcher Usnarz". Der Verteidigungsminister hat mehrere Tausend Soldaten an die Grenze verlegt, zudem wird nun an der bisher grünen Grenze zu Belarus Stacheldraht verlegt und ein Metallzaun gebaut.

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