Süddeutsche Zeitung

Polen:"Trainiere mit der Armee"

Warschau versucht, Menschen für den Militärdienst zu begeistern und seine Streitkräfte stark aufzurüsten. Das Geld dafür wird wahrscheinlich an anderer Stelle fehlen.

Von Viktoria Großmann, Warschau

Am Samstag ließen sich einige Menschen aus der Gegend von Krakau bei der polnischen Armee zeigen, wie man ein Gewehr lädt, einen Mörser bedient, mit Kompass und Karte umgeht und unter widrigen Bedingungen Feuer macht. "Trainiere mit der Armee" heißt das Programm, das vom polnischen Verteidigungsministerium im vergangenen Jahr aufgelegt wurde. Jeweils acht Stunden dauert der Schnupperkurs, angeboten wird er regelmäßig samstags im ganzen Land für alle zwischen 15 und 65.

Die rechtsnationale polnische Regierung widmet der Landesverteidigung programmatisch viel Aufmerksamkeit und die hat sich mit dem russischen Überfall auf die benachbarte Ukraine nochmals deutlich erhöht. Weltweit ist Polen unter den Top 20 der Staaten, die am meisten Geld für Verteidigung ausgeben.

Sogar vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes sollen es in diesem Jahr werden, kündigte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki kürzlich bei einem Truppenbesuch im ostpolnischen Siedlce an. Im März 2022 war das "Gesetz zum Schutz des Vaterlandes" erlassen worden, darin wird festgelegt, dass jährlich ein Betrag von mindestens drei Prozent des Bruttoinlandproduktes in die Verteidigung investiert werden soll. Man habe bereits 1000 K2-Panzer und K9-Panzerhaubitzen aus Korea sowie Himars-Raketen und 250 Abrams-Panzer aus den USA für Polen bestellt, sagte Morawiecki. Auch weitere Käufe der in Polen produzierten AHS Krab Artilleriegeschütze und von Piorun-Raketen seien geplant. Ein Großteil der K2-Panzer soll ebenfalls in Polen hergestellt werden.

Beobachter sehen Engpässe bei den polnischen Sozialausgaben voraus

Auch für die polnische Industrie wird die Aufrüstung somit sehr bedeutend - der Staat allerdings muss Kredite aufnehmen für die Ausgaben. Die Inflation im Land ist weiterhin sehr hoch, sie liegt bei etwa 17 Prozent, der Złoty ist im Vergleich zum Euro schwach. Zugleich fehlen dem Land Milliarden an EU-Geld, das wegen Streits um die Rechtsstaatlichkeit mit der EU-Kommission nicht ausgezahlt wird. Beobachter sehen Engpässe bei den Sozialausgaben voraus - ein wichtiges Argument der PiS im Kampf um die im Herbst anstehenden Wahlen.

In Siedlce warfen Morawiecki und Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak zugleich der Opposition vor, in ihren Regierungsjahren zwischen 2008 und 2015 die Armee kaputtgespart zu haben. Ein Blick in die Statistik der vergangenen 20 Jahre zeigt aber, dass Polen, egal unter welcher Regierung, immer knapp zwei Prozent seines BIP in die Verteidigung investiert hat. Der Wert ist in PiS-Regierungszeiten angestiegen, aber nur leicht.

2022 hätten sich so viele verpflichtet wie seit Ende der Wehrpflicht nicht mehr

Das Vaterland-Gesetz sieht auch den Ausbau der Truppe vor, diese soll sich innerhalb der nächsten sieben Jahre auf 300 000 Soldaten und Soldatinnen beinahe verdoppeln. Im Jahr 2022 hätten sich so viele Menschen verpflichtet, wie seit dem Ende der Wehrpflicht 2010 nicht mehr, fast 14 000 Berufssoldaten habe man neu gewonnen, teilte das Verteidigungsministerium vergangene Woche mit.

Auf großes Interesse in der Bevölkerung stößt demnach auch die neue sogenannte freiwillige Wehrpflicht. Die einjährige Verpflichtung umfasst Grundausbildung und Fachlehrgang, man hofft, dass die Freiwilligen sich danach für eine längere Verpflichtung entscheiden. Im ersten Jahr hätten sich bereits 16 000 Menschen für den Dienst gemeldet.

Vor einer Woche besuchte Verteidigungsminister Błaszczak einen Schießstand - solche Anlagen, sagte er, sollen in ganz Polen errichtet werden, denn es sei "sehr wichtig, dass junge Menschen Fähigkeiten im Schießen erwerben". Seit 2017 gibt es an polnischen Schulen die sogenannten Uniform-Klassen, in denen die Jugendlichen auf einen späteren Militärdienst vorbereitet werden. Die Schießstände allerdings sollen darüber hinaus für alle Interessierten offen sein. Geschossen wird auf Virtual-Reality-Bildschirme, das System wurde in Polen entwickelt.

Zugleich versichert Polen der Ukraine weiterhin größtmöglichen Beistand, der polnische Präsident Andrzej Duda wie auch Kabinettsmitglieder reisen häufig persönlich nach Kiew. Gleich zu Beginn des Krieges hatte Polen seine ukrainischen Nachbarn mit großen Lieferungen bis an den Rand seiner Möglichkeiten unterstützt. Schon im Frühjahr 2022 hatte Polen mehr als 200 T 72-Panzer in die Ukraine geschickt, außerdem Haubitzen, Raketenwerfer und Bewaffnung für Kampfflugzeuge.

Bis heute hat das Land der Ukraine etwa 250 Panzer übergeben. Im Jahr 2022 gab Polen nach Medienberichten mehr als zwei Milliarden Euro für die militärische Unterstützung der Ukraine aus. Eine Aufstellung der militärischen Spenden wie sie die Bundesregierung zur Verfügung stellt, existiert jedoch nicht. Wohl auch deshalb, weil anders als von deutscher Seite nicht stetig neue Lieferungen hinzukommen. Das soll sich mit den Leopard-Panzern nun ändern. Polnische und deutsche Soldaten bereiten ukrainische Soldaten für den Einsatz an den unterschiedlichen Modellen vor. Die Ausbildung werde eine Sache von Wochen sein, sagte Verteidigungsminister Błaszczak am Freitag bei einem Besuch in Kiew.

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