Süddeutsche Zeitung

Abtreibungsrecht in Polen:Razzia bei der Frauenärztin

In Polen gilt ein restriktives Abtreibungsgesetz, der Druck auf Mediziner steigt. Nun durchsuchen Polizisten die Praxis von Maria Kubisa in Szczecin - offiziell als Korruptionsbekämpfer. Doch warum nehmen sie Patientenakten mit?

Von Viktoria Großmann, Warschau

Maria Kubisa weiß noch immer nicht genau, was sie falsch gemacht haben soll. Aber sie weiß, es würde Monate dauern, alle ihre Patientenakten wieder in Ordnung zu bringen.

Am 9. Januar hat die Gynäkologin Sprechstunde in ihrer Praxis in Szczecin (Stettin). Das Wartezimmer ist voll, als sechs Polizisten erscheinen. Sie schicken die Patientinnen nach Hause und beschlagnahmen alle schriftlichen Akten, zudem zwei Notebooks mit elektronischen Patientendaten, ein Smartphone. "Ich konnte nicht mehr arbeiten, keine Laborbefunde empfangen, meine Patientinnen konnten mich nicht erreichen", sagt Kubisa.

Die Beamten sind von der Behörde für Korruptionsbekämpfung (CBA). Doch die Tatsache, dass sie Patientenakten mitnehmen, spricht aus der Sicht der Ärztin und ihres Anwalts nicht dafür, dass es um eine Steuerangelegenheit geht. Kubisa kann sich nur einen Grund vorstellen. Nämlich, dass man Druck auf sie ausüben wolle. Die Schuldigen sieht sie bei denen, die auch für das strenge polnische Abtreibungsrecht verantwortlich sind. Also in der rechtsnationalen Regierung unter Führung der PiS.

Viele Ärzte haben Angst

Kubisa beteuert, sie führe keine Abtreibungen durch. "Ich betreue seit der letzten Gesetzesverschärfung gar keine Schwangeren mehr", sagt sie. Viele Ärzte hätten Angst, trauten sich nicht mehr, Medikamente zu verschreiben oder in der Praxis aufzubewahren. Alles könne einem so ausgelegt werden, dass man bei einem Abbruch habe helfen wollen.

Seit Oktober 2020 sind in Polen Schwangerschaftsabbrüche nur noch erlaubt, wenn die Frau vergewaltigt wurde oder ihr Leben in Gefahr ist. Missbildungen am Fötus sind kein Grund mehr, auch dann nicht, wenn diese so schwerwiegend sind, dass das Kind nach der Geburt stirbt. Dass Ärzte aus Angst vor Strafverfolgung sogar zögern, den Abbruch vorzunehmen, wenn es der werdenden Mutter schlecht geht, zeigte der Fall einer 30-Jährigen aus Pszczyna, die im Krankenhaus an einer Sepsis starb, weil die Ärzte sie zu spät behandelten. Die Frau hatte bereits eine kleine Tochter im Grundschulalter. Ihr Tod im Herbst 2021 gab den Anlass für landesweite Demonstrationen unter der Parole "Keine einzige mehr".

Kubisa betreibt ihre Praxis in Stettin seit 1996, sie hat in Deutschland studiert, heute arbeitet sie jeweils eine halbe Woche in einem Klinikum in Prenzlau in Brandenburg, die andere halbe Woche in Szczecin. Schickt sie Patientinnen, die eine Schwangerschaft beenden möchten, nach Deutschland? "Nein, auch das ist strafbar. Es wäre ja eine Beratung." Aber, fügt sie hinzu, "anscheinend passt es jemandem nicht, dass ich auch in Deutschland arbeite".

Auf Anfragen polnischer Medien ließ die Staatsanwaltschaft in Szczecin mittlerweile verlauten, es gehe um den Verdacht der Beihilfe zu einem Schwangerschaftsabbruch. Doch laut Kubisas Anwalt Rafał Gawęcki gibt es weder offizielle Ermittlungen noch eine Anklage. Ihm sei so ein Fall noch nie untergekommen. In keinem Fall, sagt er, wäre es rechtens, sämtliche Patientenakten mitzunehmen, es müsste dann schon gezielt eine einzelne sein. "Das ist alles eigentlich völlig unmöglich."

Die EU-Kommission soll eingreifen

Wegen der strikten Vorschriften in Polen versuchen Aktivistinnen, selbst Hilfe zu organisieren. Das "Aborcyjny Dream Team" etwa berät Frauen online und am Telefon und organisiert Abtreibungsmedikamente aus dem Ausland. Der Abbruch der eigenen Schwangerschaft ist nicht strafbar, strafbar macht sich nach dem polnischen Gesetz nur jeder, der einer Frau dabei hilft.

An diesem Dienstag soll in Warschau ein Prozess zu Ende gehen, der einen Präzedenzfall schafft. Angeklagt ist die 47 Jahre alte Justyna Wydrzyńska, Gründerin des Aborcyjny Dream Team. Ihr wird Beihilfe vorgeworfen, weil sie einer Frau Abtreibungsmedikamente per Post zusandte - innerhalb Polens. Im Verlauf des Prozesses wurde bekannt, dass die Frau von ihrem Partner geschlagen wurde, schon ein Kind mit ihm hatte und kein weiteres wollte. Der Mann hatte Wydrzyńska angezeigt. Die Frau hatte die Medikamente gar nicht eingenommen, das Kind aber später durch eine Fehlgeburt verloren. Wydrzyńska drohen bis zu drei Jahre Haft.

Aus Sicht von Janusz Rudziński ist das alles längst nicht mehr nur allein Angelegenheit des polnischen Staates. Der Arzt wünscht sich, dass die EU-Kommission Stellung bezieht. Er beschreibt eine Atmosphäre von Angst und Verunsicherung auf Seiten der Ärzte wie auch der Frauen. Rudziński hat jahrzehntelang als Gynäkologe in Kliniken in Polen, Schweden und Deutschland gearbeitet und auch viele Abbrüche vorgenommen.

Heute mache er keine Eingriffe mehr, sagt der 80-Jährige. Doch er hat noch immer seine Praxis im brandenburgischen Schwedt an der Oder. "Ich kämpfe für die Rechte der Frauen", steht auf seiner polnischen Homepage, mit drei Ausrufezeichen. Und mit Nachdruck: "Jede Frau - auch die Polin!!! - hat ein volles Recht, selbst über ihr Leben zu entscheiden!!!"

Noch immer rufen täglich Frauen aus ganz Polen bei Rudziński an, um sich beraten zu lassen, sei es zu Schwangerschaftsabbrüchen oder Sterilisationen. Auch diese seien in Polen verboten, sagt der Arzt. Es fange schon damit an, dass Frauen sich kaum trauten, die Schwangerschaft überhaupt bei einem Arzt feststellen zu lassen. "Denn seit Oktober gibt es das zentrale Schwangerschaftsregister." Jeder Arzt müsse monatlich die Schwangerschaften melden. "Und wir wissen noch gar nicht, was mit diesen Daten eigentlich passieren wird", sagt Rudziński.

Rudziński und Kubisa sehen durch die harten Gesetze die Gesundheitsversorgung von Frauen insgesamt bedroht. Kubisa hadert mit der polnischen Regierung, will gleichzeitig ihre polnischen Patientinnen nicht im Stich lassen. Ende Februar erhielt sie die Akten und die Notebooks zurück, das Handy nicht. Auch ihre Patientinnen haben sich Anwälte genommen, wehren sich gegen die Verletzung des Arztgeheimnisses. Bislang ohne Erfolg.

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