In Polen gingen am Wochenende wieder Zehntausende Menschen auf die Straße, um gegen die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes zu protestieren. Bis zu 150 000 Polinnen nehmen jedes Jahr einen Schwangerschaftsabbruch vor, doch nur etwa 1000 tun das in einem polnischen Krankenhaus. Die restriktiven Gesetze treiben viele ins Ausland, auch nach Deutschland. In Forst (Lausitz) an der polnischen Grenze hilft ihnen der polnische Gynäkologe Janusz Rudzinski.
SZ: Herr Rudzinski, wie viele Frauen aus Polen kommen pro Jahr zu Ihnen, um einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen?
Janusz Rudzinski: Eine ganze Menge, etwa 800 bis 1200.
Auf Ihrer Webseite schreiben Sie, "Ich kämpfe seit vielen Jahren für die Rechte der Frauen. Jede Frau, auch die polnische, hat das volle Recht, selbst über ihr Leben zu entscheiden!" Haben Sie bei dieser Offenheit keine Angst vor militanten Abtreibungsgegnern?
Nein. Ich bin nicht verlogen wie manche anderen Ärzte. Ich kämpfe ganz offen dafür. In Polen bin ich ziemlich bekannt, ich befasse mich schon lange mit dem Thema und habe darüber schon zweimal im Sejm, dem polnischen Parlament, gesprochen.
Aber wie reagieren polnische Abtreibungsgegner auf solche Offenheit?
Manche schicken mir Heiligenbildchen und Kärtchen. Sie sagen, dass sie für meine Seele beten und Gottesdienste für mich abhalten. Dafür bin ich auch sehr dankbar, denn gesundheitlich, beruflich und familiär geht es mir hervorragend ( lacht). Manche Aktivistinnen der polnischen Pro-Life-Bewegung melden sich telefonisch, um meine Terminpläne zu blockieren, damit ich weniger Frauen helfen kann. Frauen mit sehr netter Stimme behaupten dann am Telefon, sie seien schwanger und wollten abtreiben - und dann kommen sie nicht. Wenn ich merke, dass da was faul ist, werden sie oft ganz brutal. "Mörder" ist da noch das angenehmste Schimpfwort. Aber mir macht das nichts, ein Arzt muss ein hartes Herz für unvernünftige Gegner und ein weiches Herz für Patientinnen haben.
Im Internet findet sich auf Deutsch eine Strafanzeige von Abtreibungsgegnern gegen Sie.
Ja, die deutschen Abtreibungsgegner sind leider auch nicht besser als die polnischen. Das sind Extremisten, die erstaunlicherweise gut davon leben, sie führen die teuersten Prozesse, bis zum Europäischen Gerichtshof. Ich vermute, dass dahinter häufig finanzielle Interessen stehen. Aber echten Fanatikern, beziehungsweise Pseudofanatikern kann man alles Mögliche zutrauen. Doch gab es bisher noch keine gewaltsamen Zwischenfälle. Und die Strafanzeigen gegen mich, die in regelmäßigen Abständen erscheinen, sind sinnlos. Ich mache nichts Gesetzwidriges hier, sondern nur das, was in Deutschland erlaubt ist.
Wie werden Sie von Frauen kontaktiert, die abtreiben wollen?
Meist telefonisch. Ich frage sie dann, ob sie auch wirklich entschlossen sind, und kläre sie auf über den Schritt. Vorher muss natürlich eine Pflichtberatung stattfinden.
Aber nicht auf Deutsch, oder?
Es gibt hier auch Beraterinnen, die Polnisch sprechen. Und wenn nicht, muss auf Dolmetscher zurückgegriffen werden. In der Corona-Krise ist es sogar einfacher. Da darf die Beratung auch per Skype stattfinden, das heißt, dass die Frauen nicht 1000 Kilometer fahren müssen nur für die Pflichtberatung.
Aber dürfen die Frauen denn überhaupt nach Deutschland kommen in Corona-Zeiten?
Zuvor müssen sie einen Corona-Test machen lassen. Dann dürfen sie 24 Stunden in Deutschland bleiben, ohne Quarantäne. Der Eingriff ist ambulant, sie kommen meist so um halb acht, acht Uhr morgens in die Klinik, werden dann von mir und dem Anästhesisten aufgeklärt, wegen der Narkose, und eine Stunde nach dem Eingriff können sie das Krankenhaus wieder verlassen. Ich operierte vor der Corona-Krise bis zu 20 Frauen pro Woche, jetzt weniger wegen der organisatorischen und der anderen Erschwernisse.
Abtreibungsgegner werfen Ihnen vor, die Frauen wüssten gar nicht, worauf sie sich einlassen.
Ja, das sind Vorwürfe von Gegnern. Deswegen sind da auch polnische Aufklärungsbögen, ein polnisch sprechender Anästhesist, und ich als Frauenarzt spreche auch fließend Polnisch. Die Frauen müssen auch unterschreiben, dass sie das verstanden haben. Wissen Sie, in Polen ist es schlimmer als man denkt. Das ist eine mittelalterliche Politik mit Beteiligung der polnischen Kirche. Frauen müssen jetzt jede Schwangerschaft austragen, auch wenn sie wissen, dass das Kind schwer behindert oder nicht lebensfähig ist. Aber es ist medizinisch so: Jede Schwangerschaft und Geburt birgt für eine Frau ein Risiko für Gesundheit und sogar Leben, auch noch heute. Man weiß das, aber darüber spricht man kaum. Nach wie vor sterben Frauen bei Geburten. Warum sollen Frauen Schwangerschaften fortsetzen, wenn sie wissen, dass das Kind nicht lebensfähig ist? Das ist ein Verbrechen.
Das Verfassungsgericht in Polen sieht das aber anders.
Über die Komplikationen wird natürlich nicht gesprochen. Drei Viertel aller Abtreibungen, die Polinnen vornehmen, finden in Polen statt. Nicht alle Frauen haben das Geld dafür, sie treiben selbst ab. Vor ein paar Jahren rief mich eine Frau an, aus Südpolen, sie hatte 40 Grad Fieber und starke Bauchschmerzen. Sie erzählte mir, dass sie sich einen Draht in die Gebärmutter eingeführt hat. Ich sagte ihr, das könne eine Sepsis sein und habe ihr dringend geraten, sofort ins Krankenhaus zu fahren. Ich konnte den Fall dann nicht nachverfolgen. Aber sicher ist: Den polnischen Katholiken, die so gegen Schwangerschaftsabbrüche sind, und sicherlich auch dem PiS-Vorsitzenden Kaczyński macht ein solcher Fall keine Gewissensbisse. Das ist sehr zynisch. Und die EU hat Mitschuld, weil sie der Regierung nicht entschiedener entgegentritt.
In Deutschland stand vor einiger Zeit eine Gynäkologin vor Gericht, weil sie auf ihrer Webseite offen kommunizierte, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Und auch in anderen Ländern werden Abtreibungsgegner lauter. Machen Sie trotzdem weiter?
Ich bin schon 78, wie lange ich das noch mache, weiß ich nicht. Aber ich erlebe auch hier bei mir in der Gegend, dass Kliniken, die eigentlich Schwangerschaftsabbrüche anbieten wollen, ambivalenter an die Sache herangehen. Sie trauen sich nicht mehr so richtig, weil sie Angst haben vor Strafanzeigen.