Poker um Gesundheitspolitik:Arbeitsgruppe scheitert, Parteichefs am Zug

Knatsch bei Koalitionsverhandlungen: Die Gesundheitsexperten von Union und FDP streiten elf Stunden darum, wie die gesetzliche Krankenversicherung künftig finanziert wird - ergebnislos. Nun müssen es Merkel, Seehofer und Westerwelle richten.

Bei der Gestaltung des Gesundheitswesens für 70 Millionen gesetzlich Versicherte ruckelt es zwischen Union und FDP zum Finale der Koalitionsverhandlungen gewaltig. Mehr als elf Stunden beriet die Arbeitsgruppe Gesundheit in der Nacht zum Freitag in der niedersächsischen Landesvertretung in Berlin - die Zukunft des von Schwarz-Rot eingeführten Gesundheitsfonds blieb offen.

Merkel Westerwelle Koalitionsgespräche Gesundheitspoltik Getty

Müssen eine Lösung in der Gesundheitspolitik finden: CDU-Chefin Merkel und der FDP-Vorsitzende Westerwelle

(Foto: Foto: Getty)

So müssen die anstehende große Koalitionsrunde oder die Parteispitzen ein dickes Brett bohren. Zur Disposition stehen Grundelemente des heutigen Finanzierungssystems. Teile der CDU und die FDP wollen die Idee einer Einheitsprämie wiederbeleben - und in ein System mit gleichem Beitrag für jeden einsteigen, inklusive Ausgleich etwa aus Steuermitteln.

Der Zuversicht folgte Streit

Die CSU lehnt solche Pauschalen als unsozial ab. Insgesamt ist die FDP weiter für eine Abschaffung des Fonds, die CSU für eine starke und die CDU für einer leichtere Veränderung.

Zu Beginn der Sitzung zeigten sich die Verhandlungsführer Ursula von der Leyen (CDU) und Philipp Rösler (FDP) noch zuversichtlich, der Hauptrunde ein Konsenspapier vorlegen zu können. Lediglich Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) machte aus seinen Zweifeln keinen Hehl.

Hinterher flogen verbal die Fetzen. "Wir wollen keine Kopfpauschale, für die die FDP große Sympathien hat", sagte Söder am frühen Freitagmorgen. "Es war die offensichtliche Strategie der CSU, es scheitern zu lassen", konterte FDP-Experte Daniel Bahr.

Schon gegen 22.30 Uhr standen die Zeichen deutlich auf Sturm. Die FDP-Vertreter zogen sich zu eigenen Beratungen über Kompromissvorschläge zurück - und kamen und kamen nicht wieder. Bei den alleine gebliebenen Unionsvertretern herrschte teils Frust, teils aber auch gute Stimmung und Gelächter im Verhandlungssaal.

"Wir haben Zeit", raunte Barbara Stamm, bayerische Landtagspräsidentin und CSU-Verhandlungsmitglied, gegen 23.15 Uhr demonstrativ. Als Rösler eine Viertelstunde später mit seinen Parteifreunden wieder zur Runde dazustieß, meinte er unschuldig: "Ihr seid ja alle noch da."

Unbeantwortete Finanzierungsfrage

Es folgten weitere zähe Stunden in großer Runde und Einzelgespräche zwischen von der Leyen und Rösler. Genutzt hat es am Ende wenig. Oder doch? Während CSU- und FDP-Politiker aus ihrem Groll kein Geheimnis machten, zeigte sich zumindest die langjährige CDU-Expertin Annette Widmann-Mauz danach unverdrossen. "Wir haben erreicht, was wir in dieser Runde erreichen konnten."

Vielleicht könnten die Partei-Oberen die verbleibenden Probleme nicht gleich lösen, aber auf Grundlage der Arbeitsgruppen-Beratungen doch bald. Umwälzungen dürfte es also auf jeden Fall geben - fragt sich bloß, wie gravierend. Den Krankenkassen soll wieder mehr Hoheit über die Beiträge gegeben, der Finanzbedarf so teils gedeckt und der Wettbewerb gestärkt werden.

Auch das CSU-Anliegen von mehr Regionalisierung könnte so befriedigt werden, wenn auch bayerische Kassen dann stärker wieder nach eigenen Regeln spielen könnten. Heute gilt im Fonds der Einheitssatz von 14,9 Prozent für alle Kassen. Am Finanzausgleich zwischen den Versicherungen je nach Krankheitslasten wollen Union und FDP Hand anlegen. Und bei der Gesundheitskarte streben sie eine Prüfpause an.

Wie allerdings das erwartete Defizit von rund 7,5 Milliarden Euro bei den Kassen im kommenden Jahr gestopft werden soll - diese drängende Frage ist noch unbeantwortet. Höhere Steuerzuschüsse könnte es geben, deutete von der Leyen vor der Marathonsitzung vorsichtig an. Jedenfalls sollen die 50 Millionen Kassenmitglieder die Zeche zum Start der neuen Regierung wohl nicht alleine durch höhere Arbeitnehmerbeiträge oder Zusatzbeiträge bezahlen müssen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: