Die Regelungen zum Einsatz einer neuartigen Datenanalyse-Software bei der Polizei in Hessen und Hamburg sind in ihrer derzeitigen Form verfassungswidrig. Das gibt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe bekannt. Das Urteil bezieht sich ausschließlich auf die Nutzung der Technik zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten. Es ist das erste Urteil aus Karlsruhe zur Verwendung künstlicher Intelligenz bei der Polizeiarbeit.
Mit einer Analyse-Software für riesige Datenmengen will die Polizei potenziellen Straftätern schneller auf die Spur kommen. Das Programm durchforstet Datenbanken, um Querverbindungen zu entdecken, die den Ermittlern sonst vielleicht nie auffallen würden. Gerichtspräsident Stephan Harbarth betonte bei der Urteilsverkündung, dass das Gericht die Praxis nicht grundlegend ablehne, sondern eine verfassungsgemäße Ausgestaltung möglich sei.
Der Erste Senat begründete sein Urteil damit, dass in den Vorschriften eine Eingriffsschwelle fehle. Hessen muss nun sein Gesetz bis zum 30. September 2023 entsprechend ändern. Bis dahin ist es unter Auflagen anwendbar. Im Hamburg, wo die automatisierte Datenauswertung bisher nicht in die Praxis umgesetzt wurde, ist die Regelung nichtig.
Das Urteil gilt zwar nur für Hamburg und Hessen, wo die Software genutzt wird, es wirkt sich aber auch bundesweit aus: Bayern etwa arbeitet an der Einführung des Systems, weitere Bundesländer könnten folgen.
Hessendata soll potenzielle Straftäter aufdecken, bevor sie zu Tätern werden
Die Polizei Hessen nutzt die Plattform "Hessendata", die mit einer Software der US-amerikanischen Firma Palantir betrieben wird. Dort werden Angaben aus einer polizeilichen Datenbank genutzt, Hessendata hat aber auch Zugriff auf das Vorgangsbearbeitungssystem Comvor. In dem System wird jeder Einsatz der Polizei festgehalten, vom Nachbarschaftsstreit über Verkehrsunfälle bis hin zu schweren Delikten. Das System soll Querverbindungen herstellen, Bezüge erkennen können. So sollen auch potenzielle Straftäter entdeckt werden, noch bevor sie überhaupt straffällig werden.
Anwältinnen, Journalisten und Politaktivisten hatten dagegen Verfassungsbeschwerde eingelegt. Menschen, die zur falschen Zeit am falschen Ort sind, könnten so ins Visier der Justiz geraten, ohne dass sie eine Schuld trifft, so die Befürchtungen. In den Datenbanken der Polizei Hessen sind nämlich auch Opfer und Zeugen aus bisherigen Polizeifällen dokumentiert.
Das hessische Innenministerium hatte stets versichert, die Datenbanken seien nicht ans Internet angeschlossen, auch Informationen aus sozialen Netzwerken würden nicht automatisch eingespeist. Eingesetzt wird Hessendata insbesondere zur Bekämpfung von Terrorismus, organisierter Kriminalität und Kinderpornografie. Bei etwa 14 000 Abfragen jährlich arbeiten landesweit mehr als 2000 Polizistinnen und Polizisten mit dem System.