Podiumsdiskussion:Spitzen der Präsidenten

Wie mächtig sind nationale Parlamente in Zeiten von Globalisierung und Euro-Krise? Bundestagspräsident Lammert und Verfassungsgerichtspräsident Voßkuhle debattieren über diese Frage - nicht immer friedlich.

Von Robert Roßmann, Berlin

Für Bundestagsabgeordnete ist es nicht immer leicht, das Verfassungsgericht zu ertragen. Das gilt nicht nur für Exoten wie Erika Steinbach. Die Vertriebenen-Präsidentin hat wegen der Karlsruher Rechtsprechung zur Homo-Ehe gerade die Frage gestellt: "Wer schützt eigentlich unsere Verfassung vor den Verfassungsrichtern?" Auch viele vernünftigere Abgeordnete empfinden die unterschiedliche Akzeptanz von Bundestag und Verfassungsgericht als zutiefst ungerecht.

Während die Richter in den Beliebtheitstabellen ganz oben rangieren, müssen sich die Abgeordneten meist mit dem letzten Platz begnügen - noch hinter Bankern und Journalisten. Und so versprach jetzt eine Veranstaltung der Bertelsmann-Stiftung interessant zu werden. Unter dem Motto "Unterschätzt oder abgeschrieben?" sollten Bundestagspräsident Norbert Lammert und Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle über die Relevanz von Parlamenten debattieren. Wie würden die beiden Männer miteinander umgehen?

Die Stiftung hatte vor allem die Europapolitik im Blick. Zum Leidwesen Lammerts heißt es in der Wissenschaft ja oft, nationale Parlamente seien eher ein Auslaufmodell. Auf der einen Seite würden in Zeiten der Globalisierung immer mehr Entscheidungen faktisch nicht mehr von der Politik gefällt - vor allem in den Bereichen Wirtschaft und Finanzen. Zum anderen höhle die schleichende Europäisierung die Kompetenzen des Bundestags aus. Dass das Parlament in der Europapolitik überhaupt noch etwas zu sagen habe, liege nur an diversen Verfassungsgerichtsurteilen.

Das Europaparlament sei ein "sehr ernsthafter Akteur"

Und so musste sich Lammert gleich zum Einstieg die Frage gefallen lassen, ob der Bundestag durch Karlsruhe habe "aufgeweckt" werden müssen. Das sollten doch besser die Historiker entscheiden, knurrte der Parlamentspräsident. Um dann doch zu der Einschätzung zu kommen, die neuen Rechte des Bundestags lägen am "kongenialen Zusammenwirken zweier Verfassungsorgane", also auch an seinem Parlament. Offenbar ein wunder Punkt - was Voßkuhle aber nicht davon abhielt zu sticheln. "Wir fördern und fordern den Bundestag", sagte der Gerichtspräsident, und verglich das Parlament damit indirekt mit Hartz IV-Empfängern. Es sollte an diesem Abend nicht die einzige Spitze Voßkuhles bleiben. Als Lammert mal etwas sagte, was Voßkuhle gefiel, erklärte der Gerichtspräsident: "Ich würde ihn dafür ja fast adoptieren, wenn er nicht Soziologe wäre." Lammert ist 64 Jahre alt, Voßkuhle 49.

Nun ist ja auch der Bundestagspräsident nicht gerade für Demut bekannt. Er versteckt seine intellektuelle Überlegenheit nur ungern. Unionsfraktionschef Volker Kauder soll 2011 beim Papst-Besuch im Bundestag mit Blick auf Lammert gesagt haben, jetzt säßen zwei Unfehlbare im Parlament. Verglichen mit Voßkuhle wirkt Lammert aber lediglich wie ein uneitler Arbeiter im Weinberg des Herrn.

Voßkuhle attestiert an diesem Abend dem Europaparlament gnädig, bereits ein "sehr ernsthafter Akteur" geworden zu sein. Trotzdem sei es noch nicht reif, "Legitimationswirkung von den nationalen Parlamenten zu übernehmen", findet der Richter. Schließlich seien bei dessen Wahl die Stimmen je nach Land unterschiedlich wertvoll. Dies müsse sich ändern.

Da lässt dann auch Lammert seine Zurückhaltung fallen. "Beinahe wirklichkeitsfremd" sei die Forderung Voßkuhles, sagt der Bundestagspräsident. Die Einwohnerzahl der EU-Staaten sei so unterschiedlich, dass das Parlament dadurch "grotesk groß" und "handlungsunfähig" würde. Für einen einzigen Abgeordneten aus Malta müsste Deutschland fast 200 nach Straßburg schicken dürfen.

Und auch von der Mäkelei an den Rechten des Bundestags will Lammert nichts wissen. "Es gibt in Europa kein zweites Parlament, das in Saldo der Rechtslage und der Praxis weitergehende Einflüsse auf europäische Entscheidungen hat als der Bundestag", sagt er. Die Parlamente in den anderen EU-Staaten würden das "mit einer Mischung aus Verblüffung und Neid" anerkennen. Denn diese seien "weit von dem entfernt, was der Bundestag mit Assistenz des Verfassungsgerichts geschaffen hat" - womit Lammert dann auch klargestellt hat, wie er Voßkuhles Rolle einschätzt.

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