Planlose Förderung:Vorschläge für eine bessere Familienpolitik

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Viele Familienleistungen sind wirkunglos: Auch wenn das Ministerium dementiert, derzeit ein entsprechendes Gutachten zurückzuhalten - auf einen solchen Bericht muss man nicht warten, um zu wissen, was sich ändern muss.

Von Barbara Galaktionow

Bis zu 200 Milliarden Euro werden in Deutschland jedes Jahr für familienpolitische Leistungen ausgegeben. Das Dickicht der ehe- und familienpolitischen Leistungen ist fast undurchdringlich - und viele zeigen keinerlei Wirkung oder sind sogar kontraproduktiv. Das hat der Spiegel mit seiner jüngsten Titelstory wieder einmal ins Blickfeld gerückt. Auch wenn die Behauptung des Magazins, ihm läge ein unveröffentlichtes Gutachten der Regierung vor, so offenbar nicht zu halten ist.

"Es gibt weder einen Regierungsbericht noch einen Zwischenbericht. Die Beiträge einer wissenschaftlichen Tagung als Regierungsmeinung oder Regierungsstudie zu bezeichnen, ist falsch und zutiefst unseriös", teilt das Familienministerium mit. Die Arbeiten an einer "Gesamtevaluation der familienbezogenen Leistungen" liefen noch.

Doch niemand muss einen Bericht des Ministeriums von Kristina Schröder vorliegen haben, um zu sehen, dass viele familienpolitische Leistungen fragwürdig sind, überflüssig - oder auch einfach nicht mehr zeitgemäß. Und dass die Familienpolitik wahrlich aus mehr als einem Guss ist und dringend geändert werden sollte.

Was soll erreicht werden mit familienpolitischen Maßnahmen? Geht es um die Gleichstellung von Mann und Frau, um Armutsvorsorge, die Förderung von Kindern oder auch die Steigerung der Geburtenzahlen? Was hat Vorrang? Und wo sind diese Ziele Selbstzweck, wo von der Wirtschaft gesteuerte Forderungen? Und sind sie deshalb fragwürdig?

Bevor Familienpolitiker daran gehen, den Bereich ihrer Leistungen umzubauen, neue zu schaffen oder - selten genug - sogar einige abzuschaffen, sollten sie zunächst eine klare Vorstellung davon haben, wohin sie streben - denn nur dann können sie überprüfen, ob die Mittel dafür geeignet sind.

Eigentlich ja eine lapidare Aussage - sollte man meinen. Doch unter Familienministerin Kristina Schröder ist die unter ihren zwei Vorgängerinnen relativ klare Ausrichtung - Mütter in Arbeit bringen, Kinder in Betreuung - deutlich undurchsichtiger geworden. Das hängt nicht allein, aber vor allem mit dem heftig umstrittenen Betreuungsgeld zusammen.

Trotzdem ist es nicht einmal Schröders planvoller agierenden Vorgängerinnen gelungen, den Wust von mehr als 150 ehe- und familienpolitischen Einzelleistungen zu reduzieren oder auch nur ernsthaft damit anzufangen. Einige Regelungen gibt es allerdings, deren Änderung sich geradezu aufdrängt - weil sie der gesellschaftlichen Realität angemessen wirken, aber auch, weil sie mehrere der oben genannten Ziele zugleich befördern würden.

Der Steuervorteil für Verheiratete ist seit langem umstritten. Aus guten Gründen.

  • Da vom Ehegattensplitting vor allem Ehen mit einer großen Differenz zwischen den Einkommen profitieren (und am meisten Alleinverdiener-Ehen) zementiert es eine traditionelle Rollenverteilung zwischen Mann und Frau. Denn letztlich sind es immer noch meist die Frauen, die wahlweise nur "dazuverdienen" oder ganz zu Hause bleiben.
  • Vom Steuervorteil profitieren die, die es nicht nötig haben: Spitzenverdiener können sehr viel mehr vom Splittingverfahren profitieren als Menschen mit niedrigem Einkommen - und ist daher sozial ungerecht, sagen Kritiker.
  • Das Ehegattensplitting wird unabhängig davon gewährt, ob Kinder vorhanden sind. Während Kinder früher im Normalfall von Eheleuten aufgezogen wurden, sind heute bei etwa einem Drittel der Neugeborenen die Eltern nicht verheiratet. Die Förderung scheint der Lebenswirklichkeit nicht mehr gerecht gerecht zu werden.

Nicht ganz klar ist allerdings, was das Ehegattensplitting ersetzen könnte. Das gern stattdessen eingeforderte "Familiensplitting", bei dem vorhandene Kinder steuerlich berücksichtigt werden sollen, kann jedenfalls ganz unterschiedlich ausgestaltet sein - gegebenenfalls kann es sogar einfach nur auf das Ehegattensplitting draufgesattelt werden. Die Linke und Teile der SPD halten im übrigen auch das Familiensplitting für sozial unausgewogen und plädieren stattdessen für eine individuelle Besteuerung von Ehepartnern und eine neue Familienförderung mit einkommensabhängigem Kindergeld.

55 Millionen Euro wird die neue familienpolitische Leistung, die im Herbst in Kraft tritt, nach Berechnungen der Regierung 2013 kosten. 2014 werden es dann Schätzungen zufolge 680 Millionen Euro sein. Im Vergleich zum Kindergeld, das jährlich mit 40 Milliarden Euro zu Buche schlägt, erscheint das nicht viel. Trotzdem ist das auf Betreiben der CSU vom Familienministerium durchgeboxte Betreuungsgeld insofern für seine Kritiker eine besonders aufreibende Leistung, als bereits vor seiner Einführung feststand,

  • dass es den Zielen eines ausgewogenen Verhältnisses von Mann und Frau entgegensteht (denn ehrlich, wie viele Männer werden für 100 oder 150 Euro im Monat zu Hause ihre Kinder betreuen!)
  • dass dadurch die bekannten Probleme der geringen Alterssicherung von Frauen erneut verschärft werden (wer weniger arbeitet, bekommt eben auch weniger Rente).
  • dass - wie das Beispiel Thüringen zeigt, wo die Prämie schon seit 2006 gezahlt wird - es zudem negative Auswirkungen auf die Frühförderung von Kindern haben kann - zumindest, wenn man davon ausgeht, dass Geringqualifizierte, die ihre Kinder zu Hause betreuen, auch einen geringen Bildungsgrad aufweisen.

Wohl selten wurde eine Leistung eingeführt, deren negative Effekte schon im Vorhinein so gut bekannt waren.

Der Ausbau der Kinderbetreuung ist hingegen gemessen an den Zielen Frauenerwerbstätigkeit, Armutsbekämpfung und Frühförderung äußerst sinnvoll - und zugleich für den Staat kostengünstig, wie der Spiegel unter Berufung auf ihm vorliegende Studien schreibt. So habe sich gezeigt, dass Mütter mit Kindern unter drei Jahren, im Durchschnitt gut zwölf Wochenstunden mehr arbeiteten als Mütter ohne Kinder-Betreuungsplatz. Sie verdienten damit brutto fast 700 Euro mehr. Ähnlich sähe es bei Frauen mit Kindergartenkindern aus. Und auch der Staat würde profitieren: Denn durch die Arbeit der Mütter und die damit verbundenen zusätzlichen Einnahmen aus Steuern und Sozialbeiträgen flösse ein großer Teil der ursprünglichen Ausgaben wieder an den Staat zurück.

Und auch Kinder profitieren vom Besuch einer Krippe oder eines Kindergartens - sozial und in Sachen Bildung -, das zeigen verschiedene Studien. Die Bedingung: dass eine zugewandte Betreuung gesichert ist. Hinzu kommt, dass ein Großteil der Kinder schlicht auch Freude daran hat, in der Krippe mit den kleinen Kumpanen zu spielen oder nachmittags im Hort mit Freunden zu toben, anstatt alleine zu Hause herumzuhängen.

Die Investition in Betreuungseinrichtungen - in Krippen, Kindergärten, Horte oder Ganztagsschulen - ist also in mehrerlei Hinsicht zielführend. Wobei Politiker für die Zukunft im Auge haben sollten, dass es nicht nur um einen Ausbau des Betreuungsumfangs gehen sollte, sondern auch um mehr Betreuungsqualität - und um eine größere Flexibilität. Denn auch Eltern mit Arbeitszeiten außerhalb des Nine-to-Five-Jobs müssen ihre Kinder betreuen lassen. Andererseits müssen Mütter und Väter ihre Kinder heutzutage oft länger in Einrichtungen lassen, als sie dies wollen oder als es notwendig wäre - einzig um Mindestbuchungszeiten zu erfüllen.

Und sonst?

Bei der Vielzahl der Familien-Leistungen gibt es noch einiges, dessen Sinn und Zweck man hinterfragen kann. Von einzelnen FDP-Politikern oder Arbeitgebervertretern wird gerne mal eine Abschaffung des Elterngeldes oder zumindest eine Verkürzung der Elternzeit ins Spiel gebracht. Aber solange nicht einmal genügend Betreuungsplätze für über Einjährige vorhanden sind, brauchen Eltern sich wohl kaum zu sorgen, dass diese Debatte konkrete Gestalt annehmen könnte. Zumal eine außerhäusliche Betreuung von Säuglingen tatsächlich nicht dem gesellschaftlichen Konsens entspricht.

Ein echtes Tabuthema scheint bislang das Kindergeld zu sein. Dabei wäre es von der Höhe her durchaus lohnend, einmal einen Blick auf diese Leistung zu werfen. Die ist in den vergangenen Jahrzehnten stetig angehoben worden - ohne dass es nachweisbare Wirkung auf Kinderarmut oder Geburtenrate gehabt haben soll, heißt es zumindest. Fast 40 Milliarden Euro werden hier wie mit der Gießkanne an Eltern ausgeschüttet - und zwar ganz gleich, ob die es es nötig haben oder nicht.

Ob eine Änderung in diesem Bereich sinnvoll sein könnte, hängt vor allem davon ab, was stattdessen kommt: zum Beispiel bessere Kindertagesstätten oder ein höheres Kindergeld, aber nur für ärmere Familien? Wenn sich Familienpolitiker tatsächlich einmal mit dem Kindergeld befassen, könnte es auf alle Fälle interessant werden.

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