Plagiatsvorwürfe:Gutachten: Gelbe Karte für Dr. Giffey war rechtens

Nach Plagiatsvorwürfen prüfte die FU Berlin die Doktorarbeit der Familienministerin erneut - und erteilte ihr eine Rüge. Durfte sie das? Ein neues Gutachten sagt: Ja. Doch der Streit ist damit noch nicht beendet.

Von Paul Munzinger, München

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Familienministerin Franziska Giffey will sich Ende November zur Vize-Chefin der Berliner SPD wählen lassen.

(Foto: Pool/Getty Images)

Ulrich Battis hat keine Zeit verschwendet. Als die Freie Universität Berlin den emeritierten Jura-Professor Ende September mit einem Gutachten in politisch heikler Angelegenheit beauftragte, da bat sie ihn um Abgabe binnen zwei Monaten. Er würde sich aber "sehr freuen", schrieb FU-Präsident Günter Ziegler, wenn es schneller ginge. Battis tat Ziegler den Gefallen, am Mittwoch schickte er ihm seine Einschätzung. Und nicht nur die frühe Lieferung, auch der Inhalt des Schreibens dürfte für Ziegler ein Grund zur Freude sein. Ob das auch für Franziska Giffey gilt - die Person, um die es hier eigentlich geht -, das hängt nun von der FU ab.

Die SPD-Politikerin und heutige Bundesfamilienministerin Giffey wurde 2010 an der FU mit einer politikwissenschaftlichen Dissertation promoviert. Doch an der Lauterkeit ihrer Arbeit ("Europas Weg zum Bürger") wurden im Februar 2019 Zweifel laut. Die Internetplattform Vroniplag hatte zahlreiche Stellen identifiziert, an denen Giffey unsauber zitiert habe. Die FU ließ die Arbeit daraufhin erneut von einer Kommission prüfen. Die bestätigte in ihrem Bericht zwar die Vorwürfe der Plagiatsjäger zu einem nicht unerheblichen Teil und stellte ein "sanktionswürdiges wissenschaftliches Fehlverhalten" fest. Sie empfahl aber, es bei einer Verwarnung zu belassen. Genau das tat die FU: Sie erteilte Giffey eine Rüge, ließ ihr aber den Doktortitel.

"Klassische Minusmaßnahme"

Die Frage ist bloß: Durfte die Universität das? Nein, zu diesem Schluss kamen zuletzt zwei Gutachten. Das erste verfasste Ende Juli der Wissenschaftliche Dienst des Berliner Abgeordnetenhauses. Das zweite legte Ende Oktober der Bonner Rechtswissenschaftler Klaus Ferdinand Gärditz vor; die Berliner CDU-Fraktion hatte ihn beauftragt. In beiden Fällen lautet die Argumentation: Das Berliner Hochschulgesetz sieht eine Rüge nicht vor und liefert dafür auch keine Grundlage. Es lasse nur zwei Möglichkeiten: Freispruch oder Aberkennung des Doktortitels.

Ulrich Battis, der bis zu seiner Emeritierung 2009 an der Berliner Humboldt-Universität lehrte, kommt nun auf Anfrage der FU zu dem entgegengesetzten Schluss. Eine Rüge sei zwar im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt, aber möglich, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Es handle sich um eine "klassische Minusmaßnahme", wie sie etwa das Versammlungsrecht kenne. Auch dort sehe das Gesetz nur eine Sanktion vor, nämlich die Auflösung einer Versammlung. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordere es aber, nach milderen Maßnahmen zu suchen - also etwa Transparente zu beschlagnahmen.

Das Präsidium will sich "zeitnah" mit dem Gutachten befassen

Battis hält eine solche gelbe Karte auch im akademischen Bereich nicht nur für rechtens, sondern sogar für wünschenswert. "Das Prinzip 'Alles oder nichts' dient der Wissenschaft nicht", sagt er. In mehreren Fällen seien Mängel in den Dissertationen prominenter Politiker festgestellt, aber für eine Aberkennung des Doktortitels als zu geringfügig erachtet worden. Die Folge: Es gab trotz der Fehler keine Konsequenzen.

So war es etwa 2013 im Fall des heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (SPD) oder 2011 im Fall des damaligen niedersächsischen Kultusministers Bernd Althusmann (CDU). Battis nennt allerdings ausdrücklich keine Namen. Und er betont, dass sein Plädoyer für das Instrument der Rüge in minderschweren Fällen keine Aussage darüber beinhalte, ob es sich bei der Dissertation von Franziska Giffey um einen solchen handle.

Für die Familienministerin, die sich Ende November zur Co-Vorsitzenden der Berliner SPD wählen lassen möchte, klingt Battis' Gutachten zunächst nach einer guten Nachricht. Die Freie Universität darf sich in ihrem milden Urteil schließlich bestätigt fühlen. Doch ob Giffey ihr Doktortitel nun endgültig erhalten bleibt, ist keineswegs geklärt. Die FU teilte am Donnerstag lediglich mit, dass ihr Präsidium sich "zeitnah eingehend" mit dem Gutachten befassen werde.

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