Pläne zur transatlantischen Freihandelszone:Merkels Traum vom grenzenlosen Geschäft

Freihandel Angela Merkel USA Europa

Container werden am Hamburger Hafen umgeschlagen.

(Foto: dpa)

US-Vizepräsident Joe Biden spricht sich auf der Münchner Sicherheitskonferenz für ein Freihandelsabkommen mit Europa aus - eine Idee, die Kanzlerin Merkel bereits seit Jahren vorantreibt. Doch bevor die zollfreie Zone Wirklichkeit werden kann, sind heikle Fragen zu klären. Es geht um Neuregelungen, die deutsche Unternehmen und Verbraucher gleichermaßen betreffen.

Von Johannes Kuhn

Die Kanzlerin ist nicht als Politik-Romantikerin bekannt, doch diese Sätze dürften Angela Merkel gefallen haben. "Ich glaube, dass wir unsere Differenzen beilegen und es schaffen können. Denn die Früchte des Erfolgs wären beinahe grenzenlos", schwärmte US-Vizepräsident Joe Biden bei der Münchner Sicherheitskonferenz.

Bidens kurzer Anflug rhetorischer Euphorie in einer sonst recht ereignislosen Rede galt einem Projekt, dass die Kanzlerin bereits seit längerem vehement verfolgt - und das nun konkrete Formen anzunehmen beginnt: Der Errichtung einer transatlantischen Freihandelszone.

Grenzenlose Geschäfte zwischen der Europäischen Union und den USA: Immer wieder hatte Merkel in den vergangenen Jahren diese Idee ins Spiel gebracht. Lange eher in Nebenpassagen von Reden versteckt und bevorzugt vor Wirtschaftspublikum, in letzter Zeit offensiver, wenn auch weiterhin zurückhaltend. "Positive Zeichen" hatte sie noch am Freitag nach dem Treffen mit Biden ausgemacht - dass der sich bereits am Samstag in seiner Rede zu einer Freihandelszone bekannte, lässt sich durchaus als diplomatisches Überraschungsgeschenk der Obama-Regierung werten.

Firmen könnten profitieren

Was aber steckt hinter der Initiative? Dass USA und EU auf ihre Importe gegenseitig Zoll erheben, bemerkt der Konsument kaum: Die Sätze für Industrieerzeugnisse liegen im Durchschnitt bei drei Prozent und spielen im Endpreis nur eine geringe Rolle. Doch für Unternehmen könnte sich ein Wegfall lohnen- das tägliche transatlantische Handelsvolumen liegt derzeit immerhin bei stattlichen 3,6 Milliarden Dollar.

Allerdings geht es bei einem Freihandelsabkommen nicht nur um klassische Zölle: Es würde auch eine Angleichung von Standards beinhalten - und genau das macht die Angelegenheit so problematisch. Der US-Kongress sieht den Freihandel traditionell eher skeptisch, wenn er die eigene Industrie unter Wettbewerbsdruck setzt. Beispiel: Europäische Bauunternehmen könnten sich künftig nicht nur für Aufträge in Amerika bewerben, sondern auch klagen, wenn bei der Vergabe ein US-Unternehmen bevorzugt wird.

Umgekehrt dürften auch die Europäer mit einigen Angleichungen Bauchschmerzen haben: Was passiert zum Beispiel mit den genmanipulierten Lebensmitteln, die in den USA ohne Kennzeichnung im Handel erhältlich sind? Senkt die EU für diese künftig ihre Standards?

Moralische Fragen im Vordergrund

Europäische Landwirte werden ebenfalls kaum darüber begeistert sein, dass amerikanische Farmer ihre Erzeugnisse preisgünstiger anbieten - und wenn es um den Abbau von Subventionen geht, dürften Politiker auf beiden Seiten des Atlantiks sich heftigem Druck ausgesetzt sehen. "Auf beiden Seiten spielen nicht nur substantielle wirtschaftliche und politische Interessen eine Rolle", heißt es in einer Analyse des German Marshall Fund, "sondern es geht bei Lebensmitteln und Landwirtschaft häufig um moralische Fragen."

Merkel würde mehrfach profitieren

Wie stark die Wirtschaft wirklich von einer Freihandelszone profitieren würde, ist umstritten. Gegner solcher Verträge verweisen darauf, dass diese die fortschreitende Zentralisierung von Produktionsstätten begünstigen und damit Arbeitsplätze kosten würden. Befürworter, die vor allem in den Handelskammern und Industrieverbänden zu finden sind, halten im Fall eines Transatlantik-Abkommens ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von mindestens je 1,5 Prozent für möglich.

Für die Bundeskanzlerin könnte ein Freihandelsabkommen mehrere politische Vorteile mit sich bringen: Europas schwächelndes Wirtschaftswachstum erhielte womöglich einen Schub, deutsche Exporteure könnten vom Wegfall der Handelsschranken stark profitieren. Sie selbst könnte publikumswirksam gemeinsam mit US-Präsident Obama ein Prestige-Projekt auf den Weg bringen und nebenbei eine der Forderungen des britischen Premiers David Cameron für die Erneuerung der EU erfüllen.

Obama bleibt nicht viel Zeit

Der US-Präsident, einst selbst Kritiker solcher Verträge, könnte mit dem Abschluss ein bleibendes außenpolitisches Erbe hinterlassen - ähnlich wie Bill Clinton, der in seiner zweiten Amtszeit Ende der Neunziger ein historisches Handelsabkommen mit China schließen konnte.

Allerdings bleibt Obama nicht viel Zeit: Sein Stellvertreter Biden erklärte in München, die Verhandlungen müssten "mit einer einzigen Tankfüllung" zu einem Ergebnis gebracht werden. In zwei Jahren stehen die nächsten Kongresswahlen an, danach ist der Handlungsspielraum eines Präsidenten in der zweiten Amtsperiode erfahrungsgemäß deutlich geringer.

Am 14. Februar wird Obama bei seiner State-of-the-Union-Rede zeigen, welche Priorität das Freihandelsabkommen bei ihm wirklich hat. Noch in diesem Monat soll zudem eine Arbeitsgruppe aus amerikanischen und europäischen Experten darlegen, wie die Zone für grenzenlose Geschäfte in der Praxis aussehen könnte. Die Gruppe arbeitet im Auftrag des Transatlantischen Wirtschaftsrats (TEC), der 2007 gegründet wurde - auf Initiative von Angela Merkel.

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