Süddeutsche Zeitung

Pläne zur Einwanderungsreform:Obamas kluges Kalkül

Barack Obama will es elf Millionen illegalen Einwanderern ermöglichen, Amerikaner zu werden. Seine Ideen ähneln denen einer Senatorengruppe aus Demokraten und Republikanern. Der US-Präsident gibt sich überparteilich, denn er braucht die Hilfe eines aufstrebenden Konservativen - und darf ihn nicht zu sehr glänzen lassen.

Von Matthias Kolb, Washington

Der Ort war sorgfältig gewählt. Für seine 20-minütige Rede war US-Präsident Barack Obama quer durchs Land bis nach Las Vegas geflogen: Die Casino-Metropole liegt in Nevada, einem jener Bundesstaaten im Westen Amerikas, wo viele Menschen mit Wurzeln in Lateinamerika leben. Hier, im festlich geschmückten Saal der Del Sol High School, präsentierte Obama seine Vorstellungen zum Einwanderungsrecht.

"Die Zeit ist reif für eine umfassende Reform", rief der Demokrat dem Publikum zu. Die am Vortag vorgestellten Vorschläge einer achtköpfigen Senatorengruppe seien "sehr ermutigend". Und wirklich: Die Eckpunkte des US-Präsidenten ähneln dem überparteilichen Kompromiss. Obama fordert drei Komponenten:

  • Bessere Sicherung der Grenzen: Illegale Einwanderung in die USA soll noch schwerer gemacht werden. Firmen, die Arbeiter ohne gültige Papiere beschäftigen, werden härter bestraft. Der Staat baut ein Register auf, der Unternehmen über den rechtlichen Status eines Arbeiters informiert.
  • Weg zur Staatsbürgerschaft: Die elf Millionen Einwanderer, die sich zurzeit illegal in Amerika aufhalten, erhalten einen "faire Chance", um Amerikaner zu werden. Als Bedingungen nennt Obama, dass die Migranten nicht kriminell waren und Englisch gelernt haben. Zudem müssten sie Steuern nachzahlen sowie eine Strafgebühr für die widerrechtliche Einreise begleichen. In solchen Fällen steht den Illegalen der übliche Weg über eine Aufenthaltserlaubnis (green card) zu.
  • Modernisierung bestehender Regeln: Im globalen Wettbewerb um Talente sollen ausländische Spezialkräfte, Akademiker und Ingenieure möglichst schnell in Amerika arbeiten und leben dürfen. Es dauert auch nicht mehr Jahre, bis ein Bürger seine Familie in die USA nachholen kann.

In seiner Rede erinnerte Obama daran, dass fast jeder Amerikaner von Einwanderern abstamme und warnte vor einem Konflikt zwischen "uns" und "ihnen". Es gehe bei dieser wichtigen Debatte nicht nur um Politik, sondern auch um Menschen und deren Familien. "Bevor wir zu 'uns' gehörten, waren wir ein Teil von 'ihnen'", rief der 51-Jährige. Immer wieder wurde Obamas Ansprache von lauten "Sí se puede"-Rufen unterbrochen - unter diesem Slogan, dessen englische Version "Yes, we can" Obama übernahm, forderte die Gewerkschaft der Landarbeiter in den siebziger Jahren mehr Rechte.

Obama, der seit seiner Wiederwahl einen deutlich härteren Ton gegenüber den Republikanern angeschlagen hat (Details hier), sprach diesmal nur eine einzige Drohung aus: Sollten sich die Parteien im Kongress in "endlosen Debatten" verlieren, werde er "einen eigenen Gesetzesentwurf vorlegen und eine Abstimmung verlangen".

Dass der Präsident nach dem mehrstündigen Flug in Las Vegas so wenige eigene Akzente setzte, mag auf den ersten Blick verwundern, doch dahinter steckt Kalkül. Um die Einwanderungsreform endlich durchzusetzen, braucht Obama die Zustimmung der Republikaner im Repräsentantenhaus. Je länger die Debatte als überparteilicher Versuch, ein wichtiges Problem der Gesellschaft zu lösen, gesehen wird und nicht als ein weiteres Kapitel in der Saga "Obama gegen die konservative Mehrheit im House", umso besser für den Präsidenten.

Denn trotz der versöhnlichen Töne und der in Washington so seltenen Kooperation zwischen Demokraten und Republikanern ist eine Einigung noch nicht "zum Greifen nah", wie Obama hofft. So berichtet Politico, dass das Weiße Haus etwa homo- und heterosexuelle Paare gleich behandeln will und es noch völlig unklar sei, wie überprüft werden soll, ob die Grenzen wirklich besser überwacht werden. Und Senator Marco Rubio aus Florida äußerte sich besorgt, dass der Präsident nicht die Idee der Senatorengruppe erwähnt habe, dass vor einem Weg zur Einbürgerung zunächst die Grenzen besser geschützt werden müssten.

Rubios Wort hat Gewicht: Beobachter halten ihn für den wichtigsten Republikaner der Achter-Gruppe - noch vor dem Haudegen John McCain. Es ist nicht ohne Ironie, dass Obama bei dem Plan, eine Forderung seiner Latino-Wähler zu erfüllen, ausgerechnet auf jenen Mann angewiesen ist, der den Demokraten bei dieser Gruppe gefährlich werden kann.

Der republikanische Lobbyist Ed Rogers nennt den 41-Jährigen in der Washington Post sogar den "Retter an der Einwanderungsfront". Denn Rubio, der als Präsidentschaftskandidat 2016 gilt, verfügt über etwas, was McCain fehlt: Er ist ein Liebling der Tea Party und des konservativen Paralleluniversums. Seit Tagen erklärt der kubanischstämmige Senator nachmittags Talkradio-Hardlinern wie Rush Limbaugh, wieso der Kompromissvorschlag doch keine "Amnestie" für Illegale bedeute - und abends kann er sogar Fox-News-Hitzkopf Sean Hannity für sich gewinnen, der Rubios Ideen als "interessantesten Vorschlag" zum Thema lobte (Videoclip hier).

Natürlich kennt Marco Rubio die zwei Zahlen, die die missliche Lage der Republikaner bei den Hispanics illustrieren. Sie lauten 27 und zwei. Nur 27 Prozent der Latinos stimmten für Mitt Romney und bis 2016 wird sich ihr Anteil in der wahlberechtigten Bevölkerung um zwei Prozent erhöhen. Wenn die Grand Old Party einen Kompromiss unterstützt, wäre dies ein erster Schritt auf dem steinigen Weg hin zu einem besseren Image.

Deal mit ultrakonservativen Republikanern

Dass auch Paul Ryan, der mächtige Chef des Haushaltsausschusses, Rubios Ideen unterstützt, unterstreicht dessen Bedeutung: Marco Rubio ist der Einzige, dem zugetraut wird, ultrakonservativen Republikanern einen Deal zu verkaufen, der Illegalen einen Weg zur Staatsbürgerschaft ermöglicht. Und nur er kann dies sowohl auf Englisch und Spanisch tun und mit Geschichten aus seiner Familie und seinem Wahlkreis illustrieren.

Auf Barack Obama wartet also eine interessante Aufgabe: Er darf den aufstrebenden Shootingstar der Republikaner nicht zu sehr glänzen zu lassen, ohne ihn zu verärgern. Doch, so orakelt man in Washington, Obama und Rubio scheinen sich einig zu sein: Das Thema Einwanderungsreform ist viel zu wichtig, um es für einen politischen Tagessieg zu missbrauchen.

Linktipp: Das National Journal hat alle bekannten Fakten über die elf Millionen Illegalen in den USA zusammengetragen: Mehr als jeder Zweite stammt aus Mexiko und die große Mehrheit lebt mit ihrer Familie in Amerika.

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