Süddeutsche Zeitung

Pläne von SPD und Union:Unbehagen am Super-Ausschuss

Das Parlament kann zurzeit nicht richtig arbeiten, weil seine Ausschüsse nicht besetzt sind. Union und SPD wollen deshalb einen Hauptausschuss schaffen, der das Nötigste erledigt, bis die Regierungskoalition steht - ein Novum. Staatsrechtler haben Bedenken, ob das mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Von Heribert Prantl

Der größte Teil der Arbeit des Bundestags wird nicht im Plenum, sondern in seinen Ausschüssen geleistet. In diesen Ausschüssen lebt der Bundestag, dort wird die gesamte Gesetzgebungsarbeit vorbereitet und gestaltet. Wenn es - wie derzeit - keine Ausschüsse gibt, ist der Bundestag zwar existent. Aber er ist nicht arbeitsfähig.

Gesetzentwürfe werden vom Bundestag in der ersten Beratung dem Ausschuss überwiesen, der in der Sache damit am meisten zu tun hat. Sind mehrere Ressorts betroffen, besteht in "besonderen Fällen" die Möglichkeit zur Überweisung an mitberatende Ausschüsse. Das ist in der Praxis häufig der Fall, das Plenum bestimmt dann einen "federführenden Ausschuss".

Einen so "besonderen Fall" aber, dass es zwei Monate nach der Bundestagswahl und einen Monat nach der Konstituierung des Bundestags noch immer keine Ausschüsse gibt und dass es auch noch gar nicht abzusehen ist, wann es sie geben wird - einen solchen Fall hat es in der Geschichte des bundesdeutschen Parlamentarismus noch nicht gegeben.

Geschrumpftes Arbeitsparlament

An sich wären die Fraktionen, selbst wenn es noch keine neue Bundesregierung gibt, nicht daran gehindert, Ausschüsse zu bilden und zu besetzen. Die großen Fraktionen CDU/CSU und SPD wollen das aber nicht. Sie wissen nicht, ob sie überhaupt miteinander eine Regierung bilden werden und wer dann dort die Minister- und Staatssekretärsposten einnimmt. Diejenigen kämen dann nämlich für die Ausschüsse nicht in Frage, beziehungsweise sie müssten dann wieder ausscheiden. Das ist den großen Fraktionen offenbar zu kompliziert.

Im Übrigen ist es so, dass ein Teil der Ausschüsse (die nämlich, die nicht fest im Grundgesetz vorgeschrieben sind) in ihrem Aufgabenbereich entsprechend dem Zuschnitt der neuen Ministerien eingerichtet wird. Seit Mitte der Sechzigerjahre ist das so: Der Ausschusszuschnitt des neuen Bundestags spiegelt den Ressortzuschnitt der Bundesregierung wider.

Auffallend anders war dies, darauf verweist der frühere Bundestagsdirektor Wolfgang Zeh, jetzt Verwaltungswissenschaftler in Speyer, nur in den ersten zwei Wahlperioden: Damals gab es bis zu fünfzig Bundestagsausschüsse. Solange also über den Zuschnitt der Ministerien nicht entschieden ist, kann man jedenfalls die heute üblichen spiegelbildlichen Ausschüsse nicht einrichten.

Kein Wort dazu im Grundgesetz

Deshalb sind die großen Fraktionen nun auf die Idee verfallen, für die Zwischenzeit nur einen einzigen, einen gut 40-köpfigen sogenannten Hauptausschuss einzurichten - der die wichtigsten parlamentarischen Dinge an Stelle der noch nicht existierenden ordentlichen Ausschüsse erledigen soll. Verfassungsrechtlich ist das nicht unbedenklich. Der Hauptausschuss tritt dann nämlich quasi an die Stelle des gesamten Parlaments. Er ist ein geschrumpftes Arbeitsparlament für eine Übergangszeit - und ein Gremium "praeter constitutionem", neben der Verfassung also, wie der Staatsrechtler Max-Emanuel Geis von der Universität Erlangen meint. In der gesamten rechtswissenschaftlichen Literatur sei so etwas nicht behandelt.

Im Grundgesetz steht kein Wort davon, dass man (und sei es übergangsweise) mit einem einzigen Ausschuss auskommen könne. Es heißt dort "der Bundestag und seine Ausschüsse" - schon der Plural zeigt an, dass es mindestens zwei Ausschüsse sein müssen. Ausdrücklich vorgeschrieben vom Grundgesetz sind fünf Ausschüsse: der Ausschuss für Angelegenheiten der EU, der für auswärtige Angelegenheiten, der Petitions-, der Vermittlungs- und der Gemeinsame Ausschuss (das Notparlament für den Verteidigungsfall).

Schon Ende der Achtzigerjahre hat das Verfassungsgericht entschieden, dass jeder einzelne Abgeordnete einen Anspruch darauf hat, in einem der (vielen) Ausschüsse mit Rede- und Antragsrecht mitzuwirken; dieses Recht wird mit dem nun geplanten einzigen Ausschuss unterlaufen. Ausnahmen hat Karlsruhe nur dann erlaubt, wenn ansonsten die Funktionstüchtigkeit des Parlaments gefährdet wäre. Das lässt sich eigentlich nicht sagen - man könnte ja die wichtigsten Ausschüsse einrichten, wenn auch mit gewissen Schwierigkeiten. Der Parlamentarismus-Experte Wolfgang Zeh schaut deshalb skeptisch auf den Hauptausschuss: "Er wirft mehr Fragen auf, als er löst."

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SZ vom 21.11.2013/fran
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