Pkw-Maut verschoben:Warum Dobrindt die Pkw-Maut jetzt stoppt

  • Verkehrsminister Alexander Dobrindt hat die Pkw-Maut vorerst gestoppt.
  • Eigentlich hätte er das Mautsystem so rasch wie möglich ausschreiben müssen. Doch nach der Intervention der EU-Kommission war das finanzielle Risiko für das Projekt offenbar zu hoch.
  • Die EU-Kommission hatte wegen der geplanten Maut ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet.
  • In der CSU richtet sich der Unmut nicht gegen Dobrindt, sondern gegen Brüssel.

Von Michael Bauchmüller, Daniela Kuhr und Robert Roßmann

Ehe er die Nachricht persönlich verkündet, muss sich Alexander Dobrindt erst einmal sammeln. Für 13 Uhr hat er die Journalisten ins Ministerium bestellt. Dobrindt ist zehn Minuten zu spät, trotzdem bleibt er jetzt auf dem Flur des Ministeriums stehen. Er holt tief Luft, knöpft langsam das Sakko zu - erst dann geht es los.

Wenn es eine Aufgabe gibt, an der Dobrindt gemessen wird, dann ist es die Maut. Von Anfang an galt sie als Herkulesaufgabe, kaum zu bewältigen. Dobrindt schien das nie anzufechten, Kritik wiegelte er ab. Und jetzt soll er vor Kameras und Mikrofonen erklären, warum er einerseits alles richtig gemacht haben will - andererseits aber sein wichtigstes Projekt vorerst stoppt.

Er bemüht sich um Fassung, aber es brodelt in ihm. "Auch wenn Sie es mir nicht ansehen, ich habe in der Tat eine Verärgerung." So klingt das, wenn ein Minister sich zusammenreißen muss. "Unverständlich" sei die Einmischung aus Brüssel, "nicht sachgerecht", "nicht nachvollziehbar". Am Ende werde sich die deutsche Position beim Europäischen Gerichtshof durchsetzen. Weil die Bundesregierung aber den Gerichtshof achte, halte sie die Maut bis zu dessen Entscheidung zurück. "Ein Akt des Respekts", sagt Dobrindt.

Doch warum zieht er die Reißleine gerade jetzt? Das ist die Frage, die an diesem Donnerstag das politische Berlin beschäftigt. Hat die Kanzlerin eingegriffen? Oder hat Dobrindt die Sache selbst entschieden - und wenn ja, warum? Im Kanzleramt heißt es an diesem Tag nur, der Minister habe verantwortungsvoll gehandelt. Und das Verkehrsministerium lässt ausrichten, man dürfe davon ausgehen, dass Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer in das Vorgehen Dobrindts eingeweiht gewesen seien. Aber was hat Dobrindt zu seinem Kurswechsel bewogen?

Der Verkehrsminister hatte bis zuletzt gehofft, dass es doch nicht zu einem Vertragsverletzungsverfahren durch die EU kommt. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte zwar bereits vor drei Wochen angekündigt, dass Brüssel ein solches Verfahren plane. Doch in den Tagen danach gab es immer wieder Gespräche zwischen Berlin und Brüssel.

Hohes finanzielles Risiko

Dobrindt glaubte fest daran, dass sich die Bedenken noch ausräumen ließen. Erst in dieser Woche erfuhr der Minister, dass die EU-Kommission tatsächlich Ernst macht - und gegen Deutschland vorgehen wird. In dem Moment war dem Minister klar, dass er die Sache nicht so durchziehen kann wie geplant.

Eigentlich hätte er das Mautsystem so rasch wie möglich europaweit ausschreiben müssen, der Zeitplan war ohnehin bereits extrem eng. Doch welches Unternehmen würde sich für einen derart großen Auftrag bewerben, solange unklar ist, ob die Maut vor dem Europäischen Gerichtshof bestehen wird? Bewerber hätten sich dieses Risiko teuer bezahlen lassen. Auf den Steuerzahler wären vermutlich Mehrkosten in dreistelliger Millionenhöhe zugekommen.

Diesen Umstand hätte nicht nur die Opposition genüsslich breitgetreten. Auch bei den Koalitionspartnern SPD und CDU gibt es erhebliche Zweifel, ob sich die Maut überhaupt jemals rechnen wird. Wenn die Systemkosten nun höher als geplant ausfielen, wäre die Kalkulation noch wackliger geworden. Zumindest dieser Debatte geht Dobrindt aus dem Weg, indem er den Start der Maut verschiebt.

CSU hofft auf kurzen Schaden

Wie unangenehm Alexander Dobrindt das Thema ist, konnte man auch in der Sondersitzung der CSU-Landesgruppe am Mittwochabend sehen. Seehofer war zum ersten Mal seit vier Monaten nach Berlin gekommen, um sich mit seinen Abgeordneten auszutauschen.

Treffen in Raum 1228

Wegen der Griechenland-Hilfen, der Flüchtlingszahlen, der Energiewende und vieler anderer Themen hatten die Parlamentarier Gesprächsbedarf mit ihrem Vorsitzenden angemeldet. CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt hatte deshalb ausdrücklich zu einer Open-End-Sitzung geladen.

Das Treffen im Raum 1228 des Jakob-Kaiser-Hauses begann um 18 Uhr. Doch Dobrindt schwieg erst einmal. Fast vier Stunden lang berieten die Abgeordneten. Am längsten ging es um die Nöte mit der Syriza-Regierung und die Unruhe in den Wahlkreisen wegen der Flüchtlingszahlen. Als alles eigentlich schon vorbei war, fragte Hasselfeldt pflichtgemäß in die Runde, ob es noch etwas gebe.

Erst da, es war inzwischen kurz vor 22 Uhr, meldete sich Dobrindt. Er wolle darauf hinweisen, dass morgen die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Pkw-Maut eröffnen werde, sagte der Minister. Er werde aber hart bleiben und den Konflikt mit der Kommission führen.

Es gibt zwar verschiedene Schilderungen des kurzen Auftritts Dobrindts. Es kann sich aber kein Abgeordneter daran erinnern, dass der Minister klar erklärt hätte, die Einführung der Maut verschieben zu wollen. Entsprechend konsterniert waren die CSU-Abgeordneten als sie am nächsten Morgen ein Bild-Interview lesen mussten, in dem Dobrindt ankündigt, die Pkw-Maut zu stoppen.

In der CSU hatte man sich eigentlich gerade zufrieden zurückgelehnt. Trotz aller Widerstände hatte die Partei ihr Prestigeprojekt durch Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat gebracht. Am 8. Juni hatte es dann auch noch die allerletzte Hürde genommen. Bundespräsident Joachim Gauck unterzeichnete das Gesetz. Die CSU war am Ziel - zumindest national.

"EU ist schuld"

Der Unmut der CSU richtete sich am Donnerstag trotzdem nicht gegen Dobrindt, sondern gegen Brüssel. "Die EU ist schuld daran, dass Gerechtigkeit auf Deutschlands Straßen verschoben werden muss", erklärte Generalsekretär Andreas Scheuer.

Auch CSU-Abgeordnete, die differenzierter argumentieren, waren ernsthaft empört. Gegen die EU-Staaten, die seit Jahren das Dublin-Abkommen verletzten und bei ihnen ankommende Flüchtlinge nicht aufnähmen, sondern nach Deutschland weiterreisen ließen, gehe die Kommission nicht vor, hieß es unisono. Deutschland werde wegen der Maut hingegen unnachsichtig verfolgt.

Aus diesem Grund hoffen viele in der CSU aber auch, dass der Stopp der Maut ihrer Partei nur kurzfristig schaden wird. In Wahlkämpfen könne man die Schuld wegen des uneinheitlichen Vorgehen Brüssels "ja bei Europa abladen".

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