Es war Liebe, und die war streng verboten. Als die Kurdin Özlem Akan und der Kurde Tayfur Örüm, genannt "Ahmet", ein Paar geworden waren, durfte das niemand erfahren. Die Eltern nicht und vor allem nicht die Freunde von der Kurdischen Arbeiterpartei PKK. Intime Kontakte unter professionellen Aktivisten sind nicht erlaubt, sie könnten nur vom Kampf für ein freies Kurdistan ablenken.
Im Mai 2006 hatten sich die beiden auf einer Trauerfeier für einen Kader in Freiburg kennengelernt: "Hallo Özlem", hatte er ihr zugerufen, und danach hatte es ziemlich schnell zwischen ihnen gefunkt. Sie wurde schon bald schwanger und teilte ihm dies voller Freude mit. Er aber bat sie, sich das mit dem Kind noch einmal zu überlegen. "Was gibt es da zu überlegen?", soll sie gefragt haben. Sie wollte das Kind und er doch auch. Oder?
Eine Woche blieb Tayfur Örüm daraufhin bei Özlem Akan in ihrer kleinen Wohnung in Weil am Rhein, und er flehte sie jeden Tag an, endlich "vernünftig" zu werden. Ansonsten werde er in den Irak abhauen und zuvor allen Freunden sagen, dass das Kind nicht von ihm sei.
Doch Özlem Akan wollte nicht auf ihr Kind verzichten, und Tayfur Örüm ging auch nicht sofort in den Irak. Deshalb muss sich nun das Oberlandesgericht in Düsseldorf mit den Folgen dieser kurzen Liebesbeziehung beschäftigen.
Und nicht nur dieses Verfahren, auch andere Ereignisse in der jüngeren Vergangenheit werfen ein Schlaglicht auf die PKK in Deutschland. Sie geriert sich als Organisation für den Freiheitskampf in Kurdistan, doch ebenso aktiv ist sie offensichtlich, wenn es darum geht, Gegner, Abweichler und Kritiker brutal zu bestrafen und Schutzgelder zu erpressen.
Mann, den sie für den höchstrangigen PKK-Kader hielten
Özlem Akan weigerte sich, ihr Kind abzutreiben, deshalb wurde sie von Tayfur Örüm weiterhin bedrängt. Mit seinen Eltern könne er darüber nicht sprechen, sagte er, er werde noch ganz verrückt. Seit 17 Jahren arbeite er für die Partei und könne doch jetzt nicht alles aufgeben. Örüm, damals immerhin einer der Gebietsverantwortlichen der PKK in Deutschland, hat dann bei einer weiteren Aussprache in Karlsruhe in aller Öffentlichkeit geweint, was Özlem Akan ziemlich peinlich fand.
Und am Ende kam sogar der Mann angereist, den der Verfassungsschutz und die Polizei damals für den höchstrangigen PKK-Kader in der Bundesrepublik hielten. Sein Name ist Hüseyin Acar. In Polizeiakten wird er als "türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit" geführt und als "Deutschlandverantwortlicher". Der mutmaßliche Chef der illegal operierenden Organisation, die in Deutschland rund 10000 Mitglieder haben soll, machte sich augenscheinlich wegen der kleinen Liebesgeschichte gewaltige Sorgen.
Es gibt noch andere blutige Geschichten von verbotenen Liebesbeziehungen innerhalb der PKK. Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.
Das Pärchen und der Obere haben sich dann am 5. oder 6. August 2007, genau ist das Datum nicht mehr zu ermitteln, in einem Café getroffen, und Acar soll unbarmherzig gewesen sein. Özlem Akan hat von der Begegnung später so berichtet: "Er hat gesagt, entweder machst du das, oder wir machen das." Sie wollte Mutter werden, aber die Angst nach dieser Drohung war dann doch zu groß. Sie ging in eine Klinik und ließ den vier Monate alten Fötus abtreiben.
Der erzwungene Abbruch ist einer der Punkte in der Anklage, die die Karlsruher Bundesanwaltschaft Ende Dezember gegen Hüseyin Acar erhoben hat. Dem bereits im Juli vergangenen Jahres festgenommenen 48-jährigen Kurden wird außerdem für die Zeit von Februar 2007 bis April 2008 Rädelsführerschaft "im gesamten Gebiet der Bundesrepublik" vorgeworfen. Der Prozess soll vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf stattfinden.
Das Beziehungsverbot von Frauen und Männern ist Doktrin
Es gibt noch andere blutige Geschichten von verbotenen Liebesbeziehungen innerhalb der PKK. Besonders grauenhaft war der sogenannte "Bunkermord" in Bremen im August 1999. Das kurdische Liebespaar wurde dabei auf so bestialische Weise hingerichtet, dass es selbst gestandene Polizisten grauste. PKK-Aktivisten wurde zwar der Prozess gemacht, aber der Doppelmord war so barbarisch, dass sich selbst die Organisation offiziell davon distanzierte.
Das Beziehungsverbot von Frauen und Männern steht nicht in den Statuten der PKK, ist aber Doktrin. Die Begründung dafür klingt ziemlich absurd. In einem 2007 in Deutschland erschienenen und von einer Autorin namens Anja Flach verfassten Buch mit dem Titel "Frauen in der kurdischen Guerilla" findet sich dazu folgende Passage: "Um die Rekonstruktion der klassischen Frauenrolle" in Kurdistan zu verhindern "und den Frauen einen Entwicklungsraum zu verschaffen", habe die PKK "keine andere Möglichkeit" gesehen, "als die Liebesbeziehungen zunächst ganz zu verbieten".
Die Deutsche Andrea Wolf, die erst mit der RAF sympathisierte und dann 1993 in die Berge Kurdistans zog, um mit der Waffe zu kämpfen, schrieb in ihrem Tagebuch: "Ich persönlich empfinde die Trennung und auch das klare Beziehungsverbot als sehr angenehm. Ich konnte mich noch nie so frei bewegen im Verhältnis zu Männern, weil es einfach klar ist: Es gibt eine Grenze." Andrea Wolf, Codename "Ronahi", starb 1998. Angeblich wurde sie vom türkischen Militär getötet. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelte gegen unbekannte türkische Armeeangehörige wegen Mordverdachts.
Geheimbund in Deutschland arbeitet im Untergrund weiter
Seit fast fünfzehn Jahren beschäftigen sich Hundertschaften deutscher Polizisten, Verfassungsschützer, Bundesanwälte, Richter von Staatsschutzsenaten und auch die Geheimen des Bundesnachrichtendienstes mit solchen Geschichten, und je länger das Räuber-und-Gendarm-Spiel dauert, desto unwirklicher erscheint die Mimikry.
Serienweise werden noch immer Kader der seit 1993 in Deutschland verbotenen Partei, die in den vergangenen Jahren häufig umbenannt wurde, wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu Freiheitsstrafen verurteilt. An die Stelle der Inhaftierten treten andere, die auch wieder belauscht, festgenommen und inhaftiert werden.
Dabei ist die Zeit der großen Gewalt in den neunziger Jahren, in der sich PKK-Aktivisten in Deutschland selbst verbrannten, Autobahnen blockierten oder Konsulate besetzten, längst vorbei. Seit dem 11. September 2001 kennt die Welt andere Beunruhigungen als die Sorge um das Treiben der PKK, deren Chef Abdullah Öcalan seit 1999 in türkischer Haft sitzt und die in der Heimat inzwischen ziemlich zerstritten ist.
Aber als ginge es immer noch um alles oder nichts, arbeitet der Geheimbund in Deutschland im Untergrund weiter. Kader werden mit gefälschten Pässen versorgt, verletzte Aktivisten werden nach Europa geschleust. Eine der Hauptaufgaben aber scheint es zu sein, viele der in Deutschland lebenden rund 450000 Kurden unter Druck zu setzen. Sie müssen "Steuern" an die PKK zahlen. Wer sich weigert, muss damit rechnen, zumindest zusammengeschlagen zu werden.
"Bei den Sammlungsarbeiten sollte man hartnäckig und beharrlich sein und die festgelegten Beträge auf jeden Fall annehmen", heißt es zynisch in einer Handlungsanweisung aus dem Jahr 2005. Eine andere Order lautete: "Lege dein Ziel fest, und nimm dir das Festgelegte."
Die Polizei bekam mit, wie ein Belauschter im Auto eines Berliner PKK-Kaders die Prügelstrafe für einen zahlungsunfähigen kurdischen Ladeninhaber verlangte. Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.
Der mutige Kurde Mülsüm Y., der von der Bundesanwaltschaft als Zeuge für einen Prozess gegen Acar benannt wurde, warf 2006 der Organisation in einem Brief vor, ihre Aktivitäten hätten sich "in das gegenseitige Ruinieren, in List, in Komplott, Intrigen und Lügen umgewandelt". Am Telefon verglich er die Organisation mit einer "Bande", die nur noch hinter Geld her sei. Dass der Verräter Todesdrohungen erhielt, überrascht nicht.
Als Spezialisten der Polizei im Dezember 2007 im Auto eines Berliner PKK-Kaders eine Wanze platzierten, bekamen sie mit, wie der Belauschte die Prügelstrafe für einen zahlungsunfähigen kurdischen Ladeninhaber verlangte. Das wäre auch eine "Botschaft für die übrigen Kreise". Einem vergleichsweise reichen Bremer Drogenhändler wurde ein Arm mit einem Metzgermesser abgeschnitten, weil er partout nicht spenden wollte. "Armloser Held" wurde er danach im Milieu genannt.
Im ewigen Krieg
Der festgenommene mutmaßliche Deutschland-Chef der PKK, Hüseyin Acar, hat in der Szene den Spitznamen "Colak", was für einarmig, einhändig oder verkrüppelt steht. In einem Interview mit einer kurdischen Zeitung hat er erzählt, dass bei Auseinandersetzungen zwischen Türken und Kurden im Jahr 1978 eine Bombe in seinen Händen explodiert sei - da war er knapp 18 Jahre alt.
Seine Biographie erinnert an eine Karteikarte aus dem Zettelkasten des sogenannten Befreiungskampfes. Er wurde Anfang der achtziger Jahre von einem türkischen Militärgericht zum Tode verurteilt. Die Strafe wurde 1991 in 40Jahre Haft verwandelt. Im Januar 2001 kam er frei; kurz darauf wurde er erneut festgenommen und zu knapp vier Jahren Haft verurteilt. Er wurde vorzeitig entlassen, reiste nach Deutschland, wurde 2003 als Asylberechtigter anerkannt und arbeitete angeblich als Bauhelfer in Ostwestfalen.
In Wirklichkeit aber war er im ewigen Krieg, machte in der deutschen PKK-Filiale Karriere, bezog Arbeitslosengeld II, und seine Miete zahlten die Sozialbehörden in seinem Wohnort Detmold. Ein im vergangenen Jahr aufgenommener Film zeigt Hüseyin Acar in Militärkluft zusammen mit kurdischen Guerilla-Kämpfern im Nordirak. Er ist ein eher unauffälliger Typ, das Auffälligste ist seine fehlende Hand.
Auch die im Juni 1986 geborene Özlem Akan, eine kleine, schmale Person, war mit der Bewegung eng verbunden. Ihr Vater und eine ihrer Schwestern waren in der Türkei wegen Zugehörigkeit zur PKK inhaftiert worden und sollen sich in Deutschland am Eintreiben von Zwangsspenden beteiligt haben. Zwei ihrer Brüder starben an den Fronten in der Türkei und im Irak.
Einst wollte die Kurdenpartei eine Welt ohne Hierarchien
Der Tod des jüngeren Bruders 2005 löste bei Özlem Akan massive psychische Probleme aus. Sie wollte sich das Leben nehmen. Ein weiterer Bruder, Mehmet, ist Kader der PKK. Die junge Frau, die erst 2000 nach Deutschland gekommen ist, war nicht fest in die Strukturen der Partei integriert, aber sie half, wo sie konnte. Noch Anfang 2007 schaffte sie mit ihrem Freund Tayfur Örüm 500.000 Euro Spenden zur Europaführung nach Brüssel. Sie kannte selbst dort viele der professionellen Kader und spürte die Widersprüche zwischen der Theorie und dem wahren Leben.
Einst wollte die Kurdenpartei eine Welt ohne Hierarchien, ohne Patriarchat schaffen, in der Praxis aber funktioniert sie wie eine Sekte mit strengstem Patriarchat und mit ausgeprägten Hierarchien. Özlem Akans einstiger Liebhaber Tayfur Örüm wurde nach einem Treffen in Stuttgart von zwei Männern nach Brüssel gebracht und soll dann in den Irak geschickt worden sein.
Özlem Akan hat später mal ein Mitglied der Europaführung gefragt, warum Örüm in den Irak gebracht worden sei. "Der muss bestraft werden", soll der gesagt haben. Es wäre für die Organisation zu gefährlich gewesen, ihn gleich in Europa zu liquidieren. Ihrer Schilderung zufolge hat sie dann nur noch geschrien: "Bringt mich doch auch um." Daraufhin habe sie die kühle Antwort erhalten: "Das kommt noch, das können wir aber in Deutschland nicht machen."
Sie hat dann bei der Polizei ausgepackt und viele Geschichten aus dem Untergrund erzählt. Selbst über ihren Bruder Mehmet hat sie geredet. Der habe gemeinsam mit einem anderen PKK-Mann aus dem Stuttgarter Raum Jugendliche in den Irak bringen lassen.
Mutmaßlichen Deutschlandchef sind Gefühle nicht fremd
Wenn sich ein junger Mensch dazu entschlossen habe, im Zweistromland zu kämpfen, hätten ihr Bruder und der andere alles Notwendige getan. Im Düsseldorfer Prozess gegen den mutmaßlichen PKK-Deutschlandchef Acar soll auch sie als Zeugin aussagen. Als Zeugenanschrift kursiert eine Adresse des Landeskriminalamts Baden-Württemberg. Sie ist im Zeugenschutzprogramm.
Hüseyin Acar hat sich zur Sache noch nicht geäußert. Als ihm am 17. Juli der Haftbefehl vorgelesen wurde, sagte er nur, der ihm zugeschriebene Alias-Name "Hüseyin Colak" sei ihm unbekannt. Das Hauptverfahren könnte seine Anhänger enttäuschen, denn auch dem mutmaßlichen Deutschlandchef der PKK sind Gefühle nicht fremd.
Aus abgehörten Gesprächen geht hervor, dass er eine Liebesbeziehung zu einer Genossin unterhielt. Wenn die ihn anrief, wurden sie meist von Fahndern abgehört. Diese bekamen mit, dass er in einem Gespräch mit ihr plötzlich ganz wichtig tat, weil ein hochrangiger PKK-Führer aus Brüssel neben ihm saß. Er rief später seine Freundin an und erklärte die Situation.
Der ranghohe Gast sei trotzdem misstrauisch geworden. Der habe ihm fast das Telefon aus der Hand gerissen, um mitzubekommen, mit wem Acar redete. Er habe sich verwundert gezeigt, dass Acar so weich gesprochen habe. Mit nachgeordneten Kadern gehe er sonst doch viel härter um, habe der Gast gesagt. Acar habe sich wohl zu einem "light man" verändert.
Fünf Tage nach der Festnahme Hüseyin Acars wurden in kurzen Abständen zwei Telefonate einer seiner Schwägerinnen mit seiner heimlichen Geliebten aufgezeichnet. Die Schwägerin wusste nichts von diesem Verhältnis, und die beiden Frauen schimpften über Özlem Akan, sie sei eine "Hure" und "Hündin", sie habe den Tod verdient. Die Organisation werde sie nicht so einfach davonkommen lassen.