Piratenpartei und Online-Aktivismus:Verbrannt im Feuer der Parteifreunde

Bundesparteitag Piratenpartei

So ein Bällebad gilt bei Piraten als Mittel gegen Stress. Hilft nur leider nicht viel.

(Foto: dpa)

Die Piratenpartei muss am Wochenende einen neuen Vorstand wählen. Der bisherige hat weniger als sechs Monate durchgehalten. Mitglieder der Netzpartei zerbrechen an ihrem Engagement. Und sie sind nicht die einzigen. Macht Online-Aktivismus kaputt?

Von Hannah Beitzer

Allein die Tatsache, dass es diesen Parteitag geben muss, zeigt, dass etwas falsch läuft. Und zwar gewaltig. Am Wochenende wählen die Piraten in Halle an der Saale einen neuen Vorstand. Der alte hat nicht einmal ein halbes Jahr durchgehalten. Im November 2013 hatten ihn die Piraten auf ihrem Parteitag in Bremen eingesetzt. Im März schmissen der politische Geschäftsführer, die Generalsekretärin und der Schatzmeister hin. Das oberste Piraten-Gremium war damit auch offiziell das, was es viele längst schimpften: handlungsunfähig.

Hintergrund war ein Richtungsstreit, der sich an der umstrittenen Aktion einer Berliner Politikerin der Partei entzündet hatte. Die hatte sich zum Jahrestag des Bombardements von Dresden im Zweiten Weltkrieg "Thanks Bomber Harris" auf den nackten Oberkörper gepinselt, also den Alliierten für die Luftangriffe auf Deutschland gedankt.

"Online-Aktivismus brennt aus"

Die Piraten führten die Diskussion selbst für ihre Verhältnisse erbarmungslos. Viele traten aus der Partei aus, andere boykottierten den Europawahlkampf. Freiwillige Helfer traten in den "Orgastreik", Anhänger beider Seiten beschimpften sich wüst und anhaltend in den sozialen Medien. Um Zeitpunkt und Ort des hastig anberaumten außerordentlichen Parteitags gab es ebenso heftigen Streit wie um die Frage, ob die Einladung der Briefform bedurfte.

Beobachter waren fassungslos. Die Bloggerin Teresa M. Bücker schreibt auf Faz.net über die Piratenpartei: "Sie war und ist vielleicht mehr ein loser Zusammenschluss von Aktivistinnen und Aktivisten, die sich organisieren wollten und dafür die falsche Form gefunden haben." Die falsche Form ist laut Bücker genau das, was vor allem in ihrer Anfangszeit als wichtiges Alleinstellungsmerkmal der Piraten galt: "Online-Aktivismus brennt aus und bewegt wenig" lautet Bückers deprimierendes Fazit.

Aktivisten klagen über Stress

Sie schreibt nicht nur aus der Außensicht: Die Autorin ist selbst in feministischen und netzpolitischen Debatten aktiv. Sie berichtet von dem Gefühl vieler Aktivisten, sich für eine Sache aufzuopfern und nichts oder nur wenig zu bewegen. Sie schreibt von wüsten Beschimpfungen, Hassmails, erzählt von Stress und Überforderung - und davon, wie viele einstige Idealisten resignieren und sich aus der Debatte zurückziehen, ihre Profile in den sozialen Medien verwaisen lassen: "Die Revolution frisst ihre Kinder oder: In der digitalen Revolution löschen sich ihre virtuellen Kämpfer_innen selbst."

"Dass Aktivisten ausbrennen, ist kein neues Phänomen, es kommt häufig vor, dass sie sich sehr für ihre Sache ins Zeug legen, rund um die Uhr arbeiten", sagt dazu der Protestforscher Dieter Rucht. Als Beispiel nennt er Petra Kelly, eine Schlüsselfigur der deutschen Friedensbewegung und Gründungsmitglied der Grünen, die 1992 unter nie völlig geklärten Umständen ums Leben kam: "Sie war der Inbegriff einer rastlosen Person, die versucht hat, an allen Ecken und Enden die Welt zu retten - und die dabei über ihre Kräfte lebte." Dennoch sei Aktivismus heute oft noch belastender als damals. Doch woran liegt das?

Irres Tempo, persönliche Angriffe, wenig Struktur

1. Online-Aktivismus hat ein irres Tempo: Durch das Internet hat sich die Geschwindigkeit der Kommunikation enorm erhöht. "Da prasseln Aufrufe, Handlungsaufforderungen und Kritik unheimlich schnell auf die Personen ein, die eine Schlüsselfunktion haben", sagt Rucht. "Früher schrieb man einen Brief, dann blieb der auch mal zwei Tage liegen, notfalls konnte man eine Verzögerung immer ein wenig auf die Post schieben - und so war eine Zeitspanne von acht Tagen für eine Reaktion völlig akzeptiert", sagt der Protestforscher.

Ohne die Möglichkeit, einen Konflikt permanent über soziale Medien zu thematisieren, hätten Aktivisten früher oft auf Treffen wie eine Jahreshauptversammlung oder den Parteitag warten müssen.

Aktivisten im Internet könnten es sich heute gar nicht leisten, auf eine Anfrage nicht zu reagieren, sagt Rucht. Wer zu Vorwürfen schweige, gelte häufig automatisch als schuldig: "Das produziert enorme Hektik."

2. Kritik wird persönlicher: Teresa Bücker sieht auch die Diskussionskultur unter Aktivisten als Problem. "Wir kontrollieren in den Bewegungen Eigenschaften von Menschen manchmal so harsch wie der Mainstream, den wir kritisieren", sagte sie in einem Vortrag auf der Blogger-Konferenz Republica. Die Kritik im Online-Aktivismus sei häufig unsachlich und verletzend. " Es geht schnell nicht mehr um den Vorfall, der stört - sondern um die Person", sagte Bücker.

Diese Personalisierung des Aktivismus ist für die Politikwissenschaftler W. Lance Bennett und Alexandra Segerberg ein wesentlicher Aspekt moderner, digital gesteuerter Protestformen. Politisches Engagement sei heute mehr ein Ausdruck persönlicher Hoffnungen, Lebensstile und wahrgenommener Missstände als Ausdruck einer festen Ideologie oder Zugehörigkeit zu einer Partei oder etablierten Organisation, schreiben sie in ihrem Aufsatz "The logic of connective action - Digital media and the personalization of contentious politics".

Unter connective action verstehen die beiden Autoren eine Form von politischem Engagement, in der soziale Netzwerke eine maßgebliche Rolle spielen. Als Beispiel nennen sie die Occupy-Bewegung, deren Slogan "Wir sind die 99 Prozent" 2011 durch die sozialen Netzwerke wanderte. Das allgemein gehaltene Motto und der weitgehende Verzicht auf konkrete Forderungen zog viele Menschen unterschiedlichster Prägung an. Jeder konnte seine eigene Geschichte dazu erzählen und die eigenen Probleme mit anderen teilen.

Diese Form der connective action habe einen entscheidenden Vorteil, schreiben Bennett und Segerberg: So sei es schlicht leichter, Menschen zu motivieren, sich über soziale Medien politisch zu betätigen als zum Beispiel in einer Gewerkschaft oder Partei, weil der persönliche Aufwand für die Beteiligung gering sei. Das deckt sich auch mit den Erkenntnissen einer Studie des Alexander Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft.

Aber auch die Nachteile liegen auf der Hand. Für den einzelnen Aktivisten gilt, wie Bücker richtig feststellt: Wird der Aktivismus persönlicher, dann wird es auch die Kritik daran - und somit die psychische Belastung für jeden, der sich mit einem politischen Bekenntnis an die Öffentlichkeit traut.

3. Es fehlen Struktur und Schutz: Das Fehlen des Bekenntnisses zu einer Partei, von Organisation oder Ideologie empfinden viele Aktivisten etwa der Occupy-Bewegung zunächst als befreiend. Es hat jedoch einen entscheidenden Nachteil: Damit fehlen Online-Aktivisten auch die Strukturen und Regeln einer Organisation, die Debatten und Entscheidungsprozesse lenken, den einzelnen Aktivisten entlasten und somit schützen können.

Klaus Peukert war bis November 2013 im Vorstand der Piraten, hat sich aber - wie so viele andere - zurückgezogen aus der Partei. Inzwischen ist er Fußball-Schiedsrichter. "Als Schiedsrichter stehe ich zwar auch immer in der Kritik. Aber wenn ich eine Rote Karte zeige, dann geht der Spieler vom Platz", sagt Peukert. Selbst in einem Konflikt mit dem uneinsichtigsten Spieler sorgten irgendwann die Mitspieler dafür, dass der Schiedsrichter seinen Willen bekommt. Sonst kann das Spiel schließlich nicht weitergehen. Die Regeln schützen den Schiedsrichter - und letztlich auch die Spieler, weil sie dafür sorgen, dass es voran geht.

"In der Piratenpartei war das nicht so. Selbst wenn es einen Parteitagsbeschluss zu einem Thema gab, wurde weiter in epischer Breite diskutiert." Diese Debattenkultur ist nicht nur für einen Piratenvorstand belastend, sondern für alle, die an einer solchen Diskussion beteiligt sind. Es gibt schlicht keinen von allen akzeptierten Abschluss einer Auseinandersetzung. Der Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger sagt dazu: "Die Kultur sozialer Medien ist nicht dazu geeignet, starke Regeln zu schaffen." Es herrsche dort ein anti-hierarchischer Geist, der oft in Widerspruch zu Strukturen stehe, wie sie etwa Parteien hätten und auch brauchten.

Zudem ist das Engagement häufig flüchtiger als früher. Occupy zum Beispiel hat es nicht geschafft, von einem spontan aufwallenden Erregungssturm zu einer dauerhaften Bewegung zu werden.

Und nun?

"Mir fällt kein Beispiel ein, in dem es gelang, dauerhaft einen Ausgleich zwischen der Offenheit der Internetdebatte und struktureller Organisation auf der anderen Seite zu finden", sagt Neuberger. Sein Kollege Dieter Rucht rät dazu, Debatten bewusst zu verlangsamen. Dabei können zum Beispiel Moderatoren helfen, die den Diskussionsteilnehmern sagen: Wir lassen diese Diskussion eine Weile laufen - fällen eine Entscheidung aber erst in einigen Wochen. Regeln wie diese müsse jedoch auch jemand durchsetzen. "Es ist offenkundig, dass zum Beispiel der Vorstand der Piraten als Instanz der Konfliktregulierung nicht funktioniert", sagt Rucht.

Teresa Bücker appelliert deswegen - ganz der Logik der personalisierten connective action entsprechend - lieber an jeden einzelnen ihrer Mitstreiter, Menschen nicht öffentlich zurechtzuweisen und damit zu "verbrennen", sondern sie lieber zur Seite zu nehmen, wenn es Kritik gebe. "Wenn wir breite Bündnisse wollen, können wir es uns nicht leisten, Menschen auszuschließen", sagt sie.

Und die Piraten? Sie diskutieren wenige Tage vor ihrem Parteitag darüber, ob der erfolglose Bundesvorstand, der an diesem Wochenende abgelöst werden soll, ein offizielles Danke zum Abschied überhaupt verdient hat.

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