Piratenpartei:Flaute und Spaß dabei

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Dem Hype folgt die Ernüchterung: Die so furios gestartete Piratenpartei scheint eine Entwicklung im Zeitraffer durchgemacht zu haben. In Berlin entdeckt sie die Langsamkeit für sich. In welche Richtung soll sich die Partei entwickeln? Ein Ortsbesuch.

Michael König

Liegestühle stehen auf dem Bürgersteig vor der Bar, Sitzkissen liegen im Fensterrahmen. Wäre der "Breipott" nicht seit langem die Stammkneipe der Berliner Piraten, man müsste ihnen zu einer gelungenen Inszenierung gratulieren. Die Aufmachung der Szenebar in Friedrichshain ist betont entspannt, und so präsentiert sich auch der Vorstand des Landesverbands, der 2011 ins Rote Rathaus einziehen möchte.

Ein Mitglied der Piratenpartei geht in Berlin am Reichstag vorbei. (Foto: rtr)

"Nach dem Ansturm", sagt Andreas Baum, "ist es für uns notwendig, uns zu finden und inhaltliche Positionen auszubauen." Der Berliner Landesvorsitzende lehnt sich in seinen Liegestuhl zurück. Baum macht gerade Urlaub vom Hype. Es soll kein Dauerzustand werden, aber hohe Wellen gab es in jüngster Vergangenheit genug. Und der nächste Sturm ist auch schon in Sicht.

Auf einem Landesparteitag im Herbst wollen sich die Piraten für die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus rüsten. Als Ziel wird dann voraussichtlich der Einzug ins Parlament ausgegeben - mindestens. Pressesprecher Philipp Magalski will gar die FDP überholen - dazu wären bei der Wahl 2006 knapp acht Prozent nötig gewesen. Bei der Bundestagswahl 2009 holten die Piraten in Berlin mehr als drei Prozent.

Die Ziele sind ehrgeizig und passen nicht recht zur Szenerie beim dienstäglichen Treffen im Breipott. 15 Piraten haben sich zum Meinungsaustausch versammelt. Die Mehrheit lümmelt in Liegestühlen. Die schwarzen T-Shirts mit dem Parteilogo oder den Aufschriften "Zensursula" und "Stasi 2.0" sind aus der Mode gekommen. 2010 trägt der Pirat türkis, weiß, hellgrün. Statt eines Computers hält er eine Club Mate in der Hand. Gerade einmal ein iPhone und ein Netbook sind zu sehen. Die Generation Internet gibt sich an diesem Abend betont offline. Und das ist nicht die einzige Überraschung.

Rückblick: Als Andreas Baum die Berliner Piraten im Oktober 2009 zum Meinungsaustausch in den Breipott bittet, platzt die damals noch in Kreuzberg ansässige Kneipe aus allen Nähten. 50 Menschen sind gekommen, die Mehrheit trägt den schwarz-orangen Parteidress. Dutzende Notebooks sind in Betrieb, ihre Lüfter verbreiten einen eigentümlichen Geruch. Als der Landesvorsitzende nach Neulingen fragt, meldet sich ein Drittel der Gäste. Baum tröstet jene, die noch keine Bestätigung ihrer Mitgliedschaft bekommen haben: Die Geschäftsstelle sei schlichtweg überfordert.

Die Bundestagswahl ist da gerade mal einige Tage alt, die Piraten haben aus dem Stand 2,5 Prozent geholt. Die Mitgliederzahl steigt täglich um etwa 70, von 870 Mitgliedern im Februar 2009 geht es hinauf bis zu derzeit 12.200 Mitgliedern. In der Welt schwärmt der Journalist und Buchautor Hajo Schumacher: "Wie keine andere Partei haben die Piraten die Chance, einen emotionalen Überbau zu bilden, jene geheimnisvolle Kraft, die Herzen zu entflammen."

Hamburgs Regierender Bürgermeister Ole von Beust erklärt die neue Partei zu einem Vorbild, von dem die CDU lernen müsse. Angela Merkel erwähnt die Piraten am Tag nach der Wahl zwei Mal in ihrer Rede - einmal mehr, als sie ihre Schwesterpartei CSU erwähnt.

Auf zu neuen Ufern: Der Berliner Landesvorsitzende Andreas Baum will das Programm der Partei vorsichtig erweitern. (Foto: oH)

Die Piraten segeln hart am Wind, der Einzug in die Landesparlamente scheint greifbar nah. "Klarmachen zum Ändern" ist das Motto. Es wird dann tatsächlich alles anders - aber nicht im positiven Sinne.

"Die Piraten haben eine Entwicklung im Zeitraffer durchgemacht. Andere Parteien brauchten dafür ein Jahrzehnt", sagt der Gießener Politikwissenschaftler Christoph Bieber. Eine gewisse "Bremswirkung" sei da nur normal.

Sie macht sich zunächst daran bemerkbar, dass der Partei die Feindbilder abhanden kommen: "Zensursula" alias Familienministerin Ursula von der Leyen wechselt ins Arbeitsministerium. Innenminister Wolfgang Schäuble, bei den Piraten als "Stasi 2.0" verschmäht, wird Finanzminister.

Mit den Ministern verschwinden auch ihre umstrittenen Projekte, die Internetsperren à la von der Leyen genauso wie die Schäuble'sche Vorratsdatenspeicherung. Mit beiden Reizthemen hatte die Piratenpartei im Wahlkampf punkten können. "Sie waren ein Glücksfall für uns", gibt der Berliner Landesvorsitzende Baum zu. "Aber jetzt ist es gut, dass wir uns selbst mehr in den Vordergrund stellen können."

Das neue Personal am Kabinettstisch steht dem Internet offener gegenüber. Die neue Familienministerin Kristina Schröder (CDU) outet sich im Spiegel als Online-Junkie, der sein Mobiltelefon auch nachts nicht ausschaltet. Im Justizministerium kämpft Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) einen Kampf für Bürgerrechte und Datenschutz. Die Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) wettert gegen Google und legt sich wegen zu komplizierter Datenschutzoptionen mit Mark Zuckerberg an, dem millionenschweren amerikanischen Gründer des sozialen Netzwerks Facebook.

Und schließlich ist da Thomas de Maizière (CDU), der neue Innenminister, der im Vergleich zu seinem Vorgänger Schäuble als "Anti-Hysteriker" ( Die Zeit) gefeiert wird. Er gibt zu, die Politik habe das Internet erst ignoriert, dann unterschätzt und schließlich bestaunt. Damit müsse Schluss sein. Also stellte er Thesen zur Netzpolitik auf, die nicht revolutionär waren, aber ein erster Versuch, konservative Politik mit der Kultur des Internets in Einklang zu bringen.

Zehn Monate nach der Wahl ist Netzpolitik nicht mehr die alleinige Spielwiese der Piraten. "Die etablierten Parteien setzen sich damit auseinander, weil sie gesehen haben, was passiert, wenn sie es nicht tun", sagt Politikwissenschaftler Bieber. "Sie sind aber noch nicht so weit, dass sie mit ihren Vorschlägen Jubelstürme bei potentiellen Piratenwählern auslösen können." Der Berliner Landesvorsitzende Baum mahnt: "Wenn uns das gleich aus der Bahn wirft, wenn sich die anderen Parteien unseren Themen zuwenden, sollten wir uns als Partei mal grundsätzlich überdenken."

Anderen Piraten ist eine gewisse Nervosität jedoch deutlich anzumerken. Der Bundesvorsitzende Jens Seipenbusch gibt sich im Hinblick auf Aigners Streit mit Facebook ungewohnt wadenbeißerisch: Die Verbraucherschutzministerin solle sich auf ihre "Kernkompetenz Landwirtschaft" konzentrieren. Einen Monat nach de Maizière stellt der Geschäftsführer der Piraten, Christopher Lauer, eigene Thesen zur Netzpolitik vor. Dem Innenminister hält er vor, ein "Hinterbliebener der Industriegesellschaft" zu sein, "der sich in der Komplexität einer Informationsgesellschaft nicht wohl fühlt". Die Thesen würden von einer "rührenden Ahnungslosigkeit" zeugen.

Vor Naivität sind aber auch Piraten nicht gefeit. Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai träumten viele Parteimitglieder von drei bis fünf Prozent. Letztlich standen 1,5 Prozent zu Buche - ein schwächeres Ergebnis als bei der Bundestagswahl. Auf dem anschließenden Parteitag in Bingen am Rhein dauert es zehn Stunden, bis ein neuer Vorstand gewählt ist. Weil es bei den Piraten keine Delegierten gibt, hat jedes Mitglied Fragerecht. Viele der 1000 Anwesenden machen davon Gebrauch.

Eine Software zur einfachen Meinungsbildung und Abstimmung, genannt "Liquid Feedback" (flüssige Rückmeldung), war da noch in der Testphase. In Berlin soll damit organisatorisches Chaos vermieden werden. In der Hauptstadt wird es bereits eingesetzt. "Ich glaube nicht, dass wir noch einmal so lange für eine Vorstandswahl brauchen werden", sagt Baum und fügt an: "Es war eine Erfahrung, die wir machen mussten. Besser jetzt als in zehn Jahren."

Die dringend notwendige inhaltliche Standortbestimmung fällt in Bingen aus, dafür bleibt keine Zeit. Sie wird auf einen Sonderparteitag verschoben. Vor der NRW-Wahl hatte der dortige Landesverband das eigene Programm um klassische Themen der Landespolitik erweitert: Bildung für alle, mehr erneuerbare Energien, Verbraucherschutz als Grundrecht. Eine überhastete Aktion, wie Spitzenkandidat Nico Kern einräumte. Der Parteienforscher Oskar Niedermayer von der FU Berlin warnte: "Wenn sie jetzt einen Gemischtwarenladen aufmachen, kommen sie den anderen Parteien schnell ins Gehege."

Bundesvorsitzender Seipenbusch fordert eine moderate Öffnung der Partei, weg von den reinen Lehre des freien Internets, hin zu Bürgerrechten und digitalem Verbraucherschutz. Der Berliner Oberpirat Baum sekundiert: "Wir sollten nicht versuchen, jeder Wurst, die aufs Tablett kommt, hinterherzuhecheln. Sonst werden wir unglaubwürdig."

Auf einer Konferenz in Kassel, der Open Mind 2010, sollen erste Vorschläge gesammelt werden. Im November folgt die Abstimmung. Zur Debatte steht auch, der Partei ein prägnanteres Gesicht zu geben. Selbst der Bundesvorsitzende Seipenbusch, ein Physiker aus Münster, ist bislang nur wenigen Nicht-Piraten ein Begriff. Die Bildung einer Partei-Elite widerspricht bislang jedoch dem Anspruch der totalen Basisdemokratie. Auch hier soll die neue Internetplattform helfen: "Liquid Feedback bringt belastbare Zahlen, auf deren Grundlage der Vorstand Entscheidungen treffen kann", sagt Baum. "Da wird sehr genau darauf geachtet werden, dass die Meinung der Mitglieder Berücksichtigung findet. Sonst wird der Vorstand nicht sehr viel Freude an seinem Job haben."

Sollte es jedoch im September 2011 bei der Wahl in Berlin nicht zu einem guten Ergebnis reichen, wäre die Neuausrichtung wohl Makulatur. "Wenn wir nicht ins Abgeordnetenhaus kommen, wäre das ein Rückschlag", räumt der Landesvorsitzende Baum ein. Der Politikwissenschaftler Bieber sieht langfristig die Gefahr, dass magere Ergebnisse langfristig Unterstützer vergrätzen könnten: "Wenn die Piraten ständig an der Fünfprozenthürde scheitern, könnten die zu dem Schluss kommen, sich woanders umzuschauen."

Den Hype um die Partei für beendet zu erklären, kommt Bieber jedoch nicht in den Sinn. Vielmehr sei sie "in der normalen Geschwindigkeit der Parteientwicklung" angekommen: "Was jetzt passiert, ist eine Art Reality-Check." Erst in vier bis fünf Jahren werde sich zeigen, ob sich die Piraten als politische Kraft halten können." An Problemfeldern werde es bis dahin nicht mangeln: "Da gibt es den Jugendmedienstaatsvertrag, Wikileaks, Video-Überwachung, Netzneutralität. Das Thema Internet ist beileibe noch nicht durch."

So sieht es auch der Berliner Landesvorsitzende Baum: "Der Bedarf für die Piraten wird nicht kleiner, auch wenn der große Ansturm vorerst vorbei ist." Die nächste T-Shirt-Kollektion sei für den Wahlkampf 2011 schon in Planung, verrät er. Mehrere Slogans stünden zur Abstimmung, darunter "Piraten - die Freiheit wähl ich mir". Unstrittig ist die Farbgebung: Es soll wieder schwarz sein.

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