Piratenangriffe vor Singapur:Phantome in der Nacht

Sie haben keine Säbel, sie nehmen keine Geiseln - dennoch beunruhigt eine Gruppe Seeräuber den Inselstaat.

Von Arne Perras

Seltsame Piraten: Nicht mal einen Säbel hatten sie im Gürtel stecken, sie kamen unbewaffnet. Unentdeckt schlichen sie durch die Gänge des Öltankers Stena Immortal und hatten schließlich den Maschinenraum erreicht, als der Chefingenieur die Eindringlinge bemerkte und Alarm schlug. Sollte die Crew bis dahin einen ruhigen Heiligen Abend verbracht haben, so war er nun abrupt zu Ende.

Den aufgescheuchten Banditen gelang die Flucht zum Heck, von wo sie mit einem kleinen Boot davonbrausten. Sechs Piratenangriffe innerhalb von sechs Tagen registrierte das Anti-Piraterie-Zentrum ReCaap, alle rund um Weihnachten, alle vor der Küste von Singapur, eigentlich unvorstellbar in einer so engen und streng kontrollierten Schifffahrtszone.

Die Täter wirken wie Phantome in der Nacht, wo sie es an Bord schaffen, gehen sie wie geschmeidige Taschendiebe vor, sie kommen ohne Getöse, sie passen auch kaum ins Klischee vom ruchlosen, bis an die Zähne bewaffneten Freibeuter. Eher Jack Sparrow als Blackbeard - wollte man Figuren aus Hollywood bemühen.

Immerhin, manche der Räuber vor Singapur hatten Messer bei sich, auf dem Tanker Bamzi fesselten sie zwei Crewmitglieder, auf dem Frachter Akij Globe ließen sie Ersatzteile aus dem Maschinenraum mitgehen. Am übelsten erging es noch zwei Ingenieuren des Tankers Jag Lalit: Sie bezogen Prügel, und der Chef war schließlich sein Goldkettchen los.

Verglichen mit den skrupellosen Piraten-Gangs, die den Süden der Philippinen unsicher machen oder Schifffahrtsrouten vor Afrika bedrohen, wirken die jüngsten Angriffe vor Singapur beinahe wie Petitessen. Dennoch bezeichnete das asiatische Anti-Piraterie-Zentrum ReCapp die Vorfälle als "ernsthaft beunruhigend". Für Nervosität sorgt dabei weniger das Ausmaß der Verluste, als die Tatsache, dass es unbekannten Banditen in einer maritimen Hochsicherheitszone gelingt, unbemerkt an Bord zu kommen und auch wieder zu verschwinden.

Dennoch: Piraten haben es deutlich schwerer als in vergangenen Jahren. Die Zahl der Attacken ging weltweit stark zurück, von 445 Angriffen 2010 sank sie auf 201 im Jahr 2018, der Trend hielt auch dieses Jahr weiter an. Entlang der Küsten von Somalia, die noch vor zehn Jahren zu den gefährlichsten Routen der Welt zählten, patrouillieren Marineverbände der europäischen "Operation Atalanta", um den Seeweg am Horn von Afrika zu sichern. Sie haben damit Erfolg.

Es bleiben Risiken in entlegenen Gebieten Südostasiens, etwa in den Gewässern zwischen Mindanao und den Molukken, wo Piraten Seeleute oder auch mal einsame Segler als Geiseln nehmen, um Lösegeld zu erpressen. Auch der Golf von Guinea im Westen Afrikas, wo es Banditen auf Ölladungen und Geiseln abgesehen haben, gilt noch immer als riskant.

In der Straße von Singapur geht unterdessen die Jagd nach jenen Dieben weiter, die sich in Maschinenräume schleichen und Ersatzteile klauen. Alle Kapitäne sind angewiesen zu höchster Wachsamkeit, wenn sie nun, rund um die malaiische Halbinsel, ins neue Jahr steuern. Denn: Keiner der leisen Seeräuber ist bisher gefasst.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: