Piraten vor Somalia:Mit dem Enterhaken auf den Supertanker

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Wie Seeräuber an Bord von Schiffen wie der Sirius Star kommen - und warum die Staaten noch kein wirksames Mittel gegen sie gefunden haben.

Peter Blechschmidt und Arne Perras

"Ein Schiff ist ein Einkaufszentrum, solange es nicht geschützt ist", sagt Wilhelm Probst. Der ehemalige Kampfschwimmer der deutschen Marine hat in der Nähe von Hamburg seine eigene Firma gegründet und berät Schiffseigner, wie sie sich gegen Piratenüberfälle schützen können. Kleinere Schiffe hat Probst auch schon selbst sicher durch den Golf von Aden geleitet, der sich zum Schwerpunkt der weltweiten Piraterie entwickelt hat.

Mit simplen Methoden kapern Piraten Schiffe wie die "Sirius Star" vor der Küste Kenias (im Bild eine Archivaufnahme). Meist greifen sie nachts an und gelangen mit Hilfe von Tauen an Bord. (Foto: Foto: AP)

Einzig wirksamer Schutz gegen diese Überfälle ist nach seiner Ansicht, Schiffe von professionellem Sicherheitspersonal begleiten zu lassen. Natürlich dient diese Einschätzung auch seinen Geschäftsinteressen; andererseits hat sie vieles für sich, solange sich die internationale Gemeinschaft so schwer tut, wirksam gegen die immer dreister werdenden Überfälle vorzugehen. Die umstrittene US-Sicherheitsfirma Blackwater bietet sogar inzwischen ein eigenes Schiff als Begleitschutz an.

Die Methoden der Piraten sind vergleichsweise simpel. Meist greifen sie nachts an, wenn die Wachsamkeit auf den Schiffen geringer ist. Sie nähern sich auf ihren kleinen wendigen Booten, die mit starken Außenbordmotoren bestückt sind. Häufig operieren sie vor dem herankommenden Schiff, das sie sich als Beute ausgesucht haben, mit zwei Booten, zwischen denen ein langes Tau gespannt ist. Wenn der Bug des Schiffes auf das Tau trifft, zieht es die beiden Boote an die Längsseiten des Frachters. Dann gelangen sie mit Hilfe von Enterhaken und Tauen an Bord. Dabei überwinden sie locker Höhen von acht bis zehn Metern. Höher allerdings ragen Bordwände von schwer beladenen Containerschiffen oder Tankern nicht aus dem Wasser.

So dürften die Piraten auch an Bord des Supertankers Sirius Star gelangt sein, den sie am vergangenen Samstag vor der Küste Kenias gekapert haben. Bemerkenswert daran ist allerdings, wie weit von der Küste entfernt die Seeräuber inzwischen zuschlagen. Dabei operieren sie von sogenannten Mutterschiffen aus, die ihnen als Versorgungs- und Ausgangsbasis dienen. Das Piracy Reporting Centre in Kuala Lumpur nennt auf seiner Internetseite drei Schiffe und zeigt sogar Fotos von ihnen, die als solche Mutterschiffe gelten.

Fragen, warum man gegen diese Schiffe nicht vorgeht, wenn sie doch bekannt sind, werden von Regierungsvertretern mit rechtlichen Problemen, von Versicherungsexperten und Reedern mit Schulterzucken beantwortet. Letztere wünschen sich mehr staatliche Aktivitäten. "Da ist der Leidensdruck offenbar noch nicht groß genug", sagte der Experte eines großen Rückversicherers am Dienstag der Süddeutschen Zeitung.

Dabei könne entschlossenes Handeln von Staaten durchaus etwas bewirken. Er verwies auf das Jahr 2005, als die Piratenüberfälle in der Straße von Malakka zwischen Malaysia und Indonesien überhand nahmen. Als der Londoner Versicherer Lloyds daraufhin die Prämien drastisch erhöhte, übten die in Südostasien stark vertretenen Reeder Druck auf ihre Regierungen aus, die wiederum mit Polizei und Marine verstärkt gegen die Piraten vorgingen. "In neun Monaten sank die Rate der Überfälle um 80 Prozent", sagte der Versicherungsfachmann.

Den Handlungsdruck erhöhen könnte das Risiko, das nun von der gekaperten Sirius Star ausgeht. Mit dem Öl an Bord des 320.000-Tonnen-Tankers könnten die Piraten eine Umweltkatastrophe auslösen. Schon die Gefahr, von den mit immer stärkeren Waffen ausgerüsteten Piraten beschossen zu werden, was etwa bei Öl- oder Chemietankern ein hohes Risiko darstellt, zwingt manchen Kapitän, beizudrehen und sich den Seeräubern zu ergeben.

Gleichzeitig schränkt dieses Drohmittel die Möglichkeiten ein, gewaltsam gegen diese vorzugehen. Bislang wurden Schiffe und Besatzungen immer mit Lösegeld freigekauft, wobei die Verhandlungen darüber oft wochenlang dauern. Mit der Zahlung eines Lösegelds kommt überdies die Gewaltspirale weiter in Gang. Mit den erbeuteten Millionen - in diesem Sommer wurden angeblich schon bis zu drei Millionen Dollar für ein Schiff gezahlt - kaufen die Seeräuber neue stärkere Waffen und schnellere Boote, mit deren Hilfe sie größere Schiffe erbeuten können, die dann wieder mehr Lösegeld bringen.

Erschwerend kommt hinzu, dass es in der autonomen somalischen Region Puntland, welche die Hochburg der somalischen Seeräuber ist, praktisch keine staatliche Gewalt gibt. Gefangene Piraten müssten entweder den Behörden ihres Heimatlandes übergeben werden oder in den Herkunftsstaaten der Schiffe, die sie aufgegriffen haben, vor Gericht gestellt werden. Eine Übergabe an somalische Behörden scheidet praktisch aus, weil es in Somalia keine funktionierende Justiz gibt. Die Alternative stellt allerdings derzeit die EU-Staaten vor große Probleme und verzögert so den Beginn der bereits beschlossenen Anti-Piraterie-Mission der EU.

Die kriminellen Banden rekrutieren ihre Mitglieder unter den vielen jungen Männern, die im vom Krieg zerstörten Somalia keine Perspektive haben und sich deshalb den gut organisierten Netzwerken anschließen. Die Seeräuberei ernährt Tausende Familien und hilft den verfeindeten Clans, ihre Milizen für den Machtkampf in Somalia aufzurüsten.

Etwa 30 Prozent der weltweiten Öltransporte verlaufen über die Route durch das Rote Meer und den Suez-Kanal, die von den somalischen Piraten besonders bedroht ist. Doch die Sirius Star fuhr viel weiter südlich. Das Schiff hatte offenbar schon Kurs auf das Kap der Guten Hoffnung genommen, um Afrika durch diese Route zu umfahren. Immer mehr Reeder entscheiden sich inzwischen für den Umweg, der natürlich zu Zeitverlusten und höheren Kosten führt. Andere zahlen ihren Besatzungen Zuschläge dafür, dass sie sich auf dieser Strecke durch den Golf von Aden wagen.

Mittlerweile hat die Piraterie auch schädliche Auswirkungen auf afrikanische Länder. "Es könnte dazu kommen, dass bestimmte afrikanische Häfen wegen der Gefahr gar nicht mehr angelaufen werden", hieß es am Dienstag in Schifffahrtskreisen.

© SZ vom 19.11.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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