Piraten treffen sich zum Parteitag:Klarmachen statt Kentern

Seit der Berlin-Wahl kann sich die Piratenpartei vor Aufmerksamkeit kaum retten, die Mitgliederzahlen steigen rasant. Bei ihrem Parteitag am Wochenende in Offenbach müssen sich die Polit-Novizen nun überlegen, wofür sie inhaltlich stehen - und darauf achten, dass sie nicht im Chaos versinken.

Hannah Beitzer

Als die Piraten vor einigen Monaten ihren zweiten Programmparteitag planten, hatten sie wohl nicht damit gerechnet, dass es im beschaulichen Offenbach zu eng werden könnte für sie. Seit ihrem Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus ist die Partei um die Hälfte gewachsen: von 12.000 auf 18.000 Mitglieder.

Piraten Partei und Scientology

Auf Kurssuche: die Piraten.

(Foto: dpa)

Und jedes von ihnen kann zum Parteitag kommen und abstimmen, Delegierte gibt es nicht. Deswegen müssen die Piraten nun am Wochenende deutlich mehr als die zunächst erwarteten 800 Piraten in die Stadthalle quetschen - 1500 Teilnehmer werden kommen, schätzen sie jetzt, dazu etwa 150 Journalisten. "Wir mussten die Planung komplett überdenken", sagt Piraten-Sprecher Aleks Lessmann, "es wird halt jetzt ein sehr kuscheliger Parteitag."

Wofür stehen die eigentlich?

Aber nicht nur die Koordination ist schwierig, es geht auch um viel. Zwar haben sie ihren Erfolg zu einem großen Teil ihrem betont unprofessionellen Auftreten und der Ablehnung politischer Konventionen zu verdanken. Aber sie wissen auch, dass der Glanz des Neuen, Unverbrauchten, schnell verblassen kann. Der Bundesparteitag ist ein wichtiger Schritt hin zur Antwort auf die vielgestellte Frage: Wofür stehen die Piraten eigentlich inhaltlich?

Die Piraten probieren, so jedenfalls sieht es im Moment aus, auf diesem Parteitag einen Spagat - einerseits müssen sie zeigen, dass sie thematisch mehr drauf haben als nur Internetthemen. Ohne eine Meinung zu Sozialpolitik oder zur Eurokrise kommt man wahrscheinlich nicht in den Bundestag, auch wenn Umfragen zufolge sieben bis zehn Prozent der Menschen die Piraten schon jetzt wählen würden.

Andererseits dürfen sie ihre Kernthemen aber auch nicht aus den Augen verlieren - wo doch gerade die Grünen auf ihrem Parteitag mit einer ambitionierten netzpolitischen Agenda vorgeprescht sind.

Fahren ohne Fahrschein

Schon seit mehreren Wochen entwerfen die Mitglieder online Anträge für den Parteitag - von Bildung über Wirtschaft bis hin zur Sozialpolitik sind dabei alle Themenfelder vertreten. Ebenfalls im Internet durften dann die Mitglieder darüber abstimmen, welche Anträge sie am wichtigsten finden. Die hat der Parteivorstand nun schon einmal zu einem Paket zusammengeschnürt.

Am Samstag soll zum Beispiel über ein bedingungsloses Grundeinkommen, die Begrenzung von Leiharbeit, aber auch über die Einführung eines fahrscheinlosen öffentlichen Nahverkehrs debattiert werden - eine Forderung, die auch im Berliner Wahlprogramm der Piraten enthalten war. In einem Antrag wird der gesetzliche Mindestlohn gefordert, in einem anderen die Abschaffung von Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger.

Aber auch ein Hauch Marktliberalität weht durch das Antragsbuch, das auch vollständig online steht. Ein Antragssteller fordert eine Steuervereinfachung à la Kirchhof, ein anderer lehnt einen unbefristeten Rettungsschirm ab, weil sich Rettungsmaßnahmen für überschuldete Staaten "nicht mit ordnungspolitischen Prinzipien vereinbaren lassen".

Drogen an erster Stelle

Am Sonntag soll es dann um typische Piratenthemen gehen: Transparenz, Mitbestimmung, freie Software und Datenschutz. Über Bundes- und Staatstrojaner soll debattiert werden. Und darüber, ob der Datenschutz als Grundrecht ins Grundgesetz gehört. Aber auch über das Urheberrecht. Dessen Reform gehört zu den Kernthemen der Piraten: Zwar sollen die Rechte der Urheber weiterhin geschützt sein - dennoch soll der freie Zugang zu Wissen und Kultur ausgebaut werden.

NRW-Parteitag der Piraten

Die Piraten treffen sich am Samstag in Offenbach zum Bundesparteitag. Stimmen die Mitglieder so ab wie angedeutet (hier ein Archivbild von einer Abstimmung auf dem NRW-Parteitag in Soest), ergäbe sich ein sozialliberales Programm.

(Foto: dpa)

Der Antrag aber, der auf der Hitliste der Piraten im Internet ganz nach oben gewählt wurde, behandelt ein ganz anderes Thema: die Drogenpolitik. Dafür hatte es einige hämische Bemerkungen in den Medien gegeben. Nach dem Motto: Ist den Piraten Kiffen wichtiger als das Urheberrecht?

Sozial-liberale Ausrichtung

Auch Sprecher Aleks Lessman hat sich gewundert, dass gerade dieses Thema ganz nach oben gespült wurde. Dass es für die Piraten nicht erst seit der Berlin-Wahl aber sehr wichtig ist, erklärt er so: "Wir haben in den letzten 100 Jahren eine Drogenpolitik erlebt, die keine gesunden Resultate hervorbringt." Man müsse nun andere Wege suchen als Verbote und Kriminalisierung, das Drogenproblem zu lösen. Damit spiele man lediglich mafiösen Strukturen in die Hände. Ähnlich hatte Ende Oktober die Linke argumentiert, die in ihr Grundsatzprogramm schrieb, alle Drogen freigeben zu wollen.

Würde der Parteitag tatsächlich so ablaufen wie geplant, dann wäre eine gewisse sozial-liberale Ausrichtung der Piraten nicht mehr zu verkennen. Allein: Dass es so kommt, ist keinesfalls sicher. Die Piraten-Parteitage sind - wohlwollend ausgedrückt - reichlich anfällig für Überraschungen. Man könnte auch sagen: chaotisch. So wird beispielsweise die Tagesordnung erst auf dem Parteitag entschieden. Es ist also gut möglich, dass der Ablauf und die Anträge noch einmal über den Haufen geworfen werden.

"Demokratie ist kein einfaches System, wenn man es ernst nimmt", sagt Piratensprecher Lessmann dazu - und beharrt darauf, weiterhin auf Delegierte zu verzichten: "Das ist es, was uns hilft, nicht verkrustet zu sein. Es ist ein lebendiges System. In der Schweiz gibt es schließlich auch Volksversammlungen mit abertausenden Menschen." Er finde es allemal besser, wenn "1500 Mal eigene Ideen" eingebracht würden, als wenn Delegierte für etwas abstimmen, wovon sie vorher "im Hinterzimmer überzeugt wurden".

Unsere Autorin berichtet am Wochenende auf Twitter unter @HannahBeitzer vom Piraten-Parteitag.

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